Hamburg. Seit einem Jahr ist der 64-Jährige Technischer Direktor beim FC St. Pauli und fühlt sich in neuer Rolle wohl.
Ewald Lienen ist ein gefragter Mann. Fast im Minutentakt leuchtet das iPad des 64-Jährigen auf. E-Mails ohne Ende füllen das elektronische Postfach, als der Technische Direktor des FC St. Pauli in den Konferenzraum des Millerntor-Stadions zum Gespräch lädt. In jenen Ort, der hin und wieder als Büro für den umtriebigen Publikumsliebling dient. Ein festes Büro hat der ehemalige Trainer, der seit einem Jahr in der eigens für ihn geschaffenen Funktion tätig ist, nicht. „Ich bin nicht oft im Büro, mal arbeite ich von Zuhause, mal an der Kollaustraße. Ohnehin bin ich viel unterwegs. Da würde es keinen Sinn ergeben, ein festes Büro zu beziehen“, sagt Lienen ganz pragmatisch.
Die Vielschichtigkeit seiner Arbeit lässt den ehemaligen Vollblut-Fußballer und Trainer vergessen, wie sehr er eigentlich den grünen Rasen und den Ball liebt. Bei seiner Vorstellung als Technischer Direktor im Mai 2017 wollte Lienen nicht ausschließen, irgendwann wieder ins Trainergeschäft einzusteigen. Ausschließen will er ein Comeback immer noch nicht, wenngleich man heraushört, dass alles darauf hindeutet, dass es einen leisen Trainer-Abschied des so gar nicht leisen „Meinungs-Epizentrums“ des FC St. Pauli geben wird. „Ich denke über einen möglichen Trainerjob im Moment gar nicht nach. Mir macht die Aufgabe sehr viel Spaß. Viele Projekte sind langfristig angelegt. Ich komme viel herum und treffe sehr viele interessante Menschen“, erklärt Lienen, der noch einen Vertrag bis 2020 beim Kiezclub hat.
Tanz auf vielen Hochzeiten
Wer glaubt, Lienen würde weniger Stress haben, seit er nicht tagtäglich auf dem Platz steht, der irrt. Der Technische Direktor tanzt seit einem Jahr auf vielen Hochzeiten. Repräsentant, Ansprechpartner und Coach der Jugendtrainer, Vorträge zum Thema Führungsstärke intern wie extern bei St.-Pauli-Sponsoren und bei sozialen Projekten. Eine 35-Stunden-Woche kennt der ehemalige Fußballprofi nur vom Hörensagen. „Ich musste aufpassen, mich nicht zu verzetteln“, scherzt Lienen in Anlehnung an seinen Spitznamen „Zettel-Ewald“.
Damit das ab sofort nicht mehr passiert, will das eloquente Multitalent künftig seine Aufgaben besser ordnen. „Alle Felder, um die ich mich gekümmert habe, sind hochinteressant. Gerade die Vorträge vor Führungskräften machen mir großen Spaß. Aber ich kann einfach nicht mehr alle Anfragen annehmen. Jetzt ist der Punkt gekommen, an dem ich Prioritäten setzen muss“, sagt Lienen. „Ich möchte nicht einzelne Bereiche, die ich im ersten Jahr betreut habe, aufgeben, sondern ab sofort innerhalb dieser Themen einfach mehr selektieren.“
Lienen will Nachwuchstrainer entwickeln
Vor allem die Entwicklung im Jugendbereich ist ihm eine Herzensangelegenheit. Zuletzt besuchte Lienen die Nachwuchsleistungszentren von 1899 Hoffenheim und Borussia Mönchengladbach. Geplant sind in diesem Jahr weitere Reisen zu Clubs im In- und Ausland. Ideen sammeln, um die Entwicklung der Stars von morgen voranzutreiben. Deshalb widmet sich Lienen in Abstimmung mit NLZ-Leiter Roger Stilz der Ausbildung der Trainer.
Zuletzt saß der ehemalige St.-Pauli-Trainer beim U-19-Derby gegen den HSV auf der Tribüne und machte sich fleißig Notizen. „Es geht da gar nicht um taktisch-technische Dinge, sondern eher darum: Wie trete ich als Trainer auf, wie kommuniziere ich mich, wie kann ich mich weiterbilden“, sagt Lienen, der die Trainer-Ausbildung als elementares Puzzleteil sieht, damit die Förderung der Talente in Deutschland wieder in die richtige Richtung geht. „Wir brauchen mehr Spezialisten, die entsprechend bezahlt werden müssen, damit sie die Arbeit im Nachwuchs nicht nur als Sprungbrett in den Profibereich sehen. Talente entwickeln ist ein Spezialjob“, glaubt Lienen.
Nicht nur sportliche Themen
Doch nicht nur sportliche Themen bewegen den ehemaligen Bundesligaprofi. Lienen schaut über den Tellerrand hinaus. Vor allem die Arbeit mit Kindern interessiert den Technischen Direktor: „Mein Spezialthema, das ich gerne pushen möchte, hat etwas mit Schule, Erziehung, Bewegung und Sport zu tun. Das gehört zu den wichtigsten Themen überhaupt, was von unseren Politikern leider nicht immer so wahrgenommen wird“, sagt Lienen, der gemeinsam mit Stadtteilschulen in St. Pauli dieses Thema realisieren will.
Wahrnehmen wird Lienen auch weiterhin seine Expertenrolle beim Pay-TV-Sender Sky. Dort wird er auch in der neuen Saison regelmäßig bei Champions-League-Übertragungen und im Talk-Format „Sky90“ zu Gast sein. „Ich werde weiterhin bei Fußballthemen die Finger in die Wunde legen, ohne natürlich Tobsuchtsanfälle zu bekommen“, scherzt Lienen. Langweilig wird es ihm also auch künftig nicht werden. Garantiert.