Hamburg. Das Nordderby zwischen St. Pauli und Holstein Kiel ist ein Hochrisikospiel. Beide Clubs appellieren an die Fans, friedlich zu bleiben.

Hochrisikospiele im deutschen Profifußball sind seit Mittwoch dieser Woche wieder ein häufig benutzter Begriff. Anlass war das viel beachtete und diskutierte Urteil des Bremer Oberverwaltungsgerichts. Demnach ist es rechtens, dass die zuständigen Behörden den betroffenen Vereinen oder der Deutschen Fußball Liga (DFL) Gebühren für den personellen und damit finanziellen Mehraufwand der Polizei bei Spielen mit besonders hoher Gefahr für die allgemeine Sicherheit auferlegen können.

Wie ein solcher erhöhter Aufwand konkret aussieht, wird bereits an diesem Sonntag (13.30 Uhr) rund um das Millerntor-Stadion des FC St. Pauli zu besichtigen sein. Im Nordderby der Zweiten Liga empfängt St. Pauli das Team von Holstein Kiel. Dies wäre schon aus rein sportlicher Sicht ein spannungsgeladenes Duell, da die Hamburger mit einem Sieg bis auf drei Punkte an den aktuellen Tabellendritten aus Kiel heranrücken könnten.

Im Hinspiel eskalierten Kieler Fans

Richtig brisant aber ist das Aufeinandertreffen wegen der Rivalität der Fans beider Clubs und speziell auch wegen der Ereignisse beim Hinspiel im Kieler Holstein-Stadion.

Diese Vorkommnisse vom 19. September 2017 sind noch längst nicht vergessen. Während des Aufwärmens beider Mannschaften überwanden rund 25 Personen aus dem Kieler Fanblock den Stadionzaun, stürmten über das Spielfeld und entwendeten eine Fahne aus dem St.-Pauli-Block.

Auf dem Rückweg stoppten unter anderem St. Paulis Torwarttrainer Mathias Hain und Stürmer Sami Allagui den Fahnendieb, Allagui eroberte dabei die entwendete Devotionalie zurück.

Diebstahl von Fahnen sorgt für Brisanz

Dieser letztlich gescheiterte Fahnendiebstahl soll eine Reaktion gewesen sein auf einen Vorfall wenige Tage zuvor. Dabei waren die Insassen eines Kieler Fanbusses am Holstein-Stadion nach der Rückkehr vom Auswärtsspiel in Aue überfallen worden. Die Opfer sollen Mitglieder der Fan-Gruppierung „Supside Kiel“ gewesen sein. Ihnen wurde dabei eine Zaunfahne gestohlen. In Tatverdacht gerieten St.-Pauli-Anhänger.

Die Polizei durchsuchte inzwischen unter Federführung der Kieler Staatsanwaltschaft mehrere Wohnungen in Hamburg. Was dabei gefunden wurde, ist bislang nicht bekannt.

Es liegt auf der Hand, dass angesichts dieser Vorgeschichte eine weitere Eskalation rund um das Spiel am Sonntag befürchtet wird. Die Hamburger Polizei stuft das Verhältnis der beiden Fanlager denn auch als „feindschaftlich“ ein. Entsprechend groß werde der Kräfteeinsatz rund um das Spiel sein, heißt es. Eine konkrete Zahl, wie viele Polizisten im Einsatz sein werden, nennt die Polizei allerdings nicht.

Kieler Fan-Farben verboten

Fest steht dagegen bereits, dass das Millerntor-Stadion mit 29.546 Zuschauern ausverkauft sein wird. Davon sind 2800 Kieler Fans im Gästeblock auf der Nordtribüne untergebracht und weitere 100 Holstein-Anhänger, insbesondere Sponsoren-Vertreter, auf der Haupttribüne.

Die Führungen beider Vereine sind unterdessen bemüht, deeskalierend auf die Anhänger ihrer Teams einzuwirken. „Wir bitten alle Besucherinnen und Besucher, Heim- und Gastbereiche auch als solche zu respektieren“, sagte St. Paulis Präsident Oke Göttlich in einem gemeinsam mit der Kieler Vereinsführung formulierten Aufruf.

Konkret heißt dies, dass auf der Südtribüne und der Gegengeraden sowie im Heimbereich der Nordtribüne keine Holstein-Fanbekleidung getragen werden darf. Auch Kieler Fahnen sind in diesen Bereichen nicht gestattet. „Bei Spielen mit besonders hoher Rivalität und einer Vorgeschichte sind wir – auch wenn wir uns mit der Entscheidung schwergetan haben – in der Verantwortung und Verpflichtung, besondere Maßnahmen zu treffen“, sagte Göttlich.

Sein Kieler Amtskollege Steffen Schneekloth sagt: „Ich wünsche mir einen Tag, an dem es auf dem Rasen sportlich intensiv, aber fair, zugeht und sich alle Zuschauer abseits des Spielfeldes friedlich und respektvoll verhalten.“

Wird Kieler Fahne von St.-Pauli-Dieben gezeigt?

Das Verbot von gegnerischen Devotionalien in den Heimbereichen wird auch von St. Paulis Fanvertretern begrüßt. „In diesem besonderen Fall halten wir das Farbenverbot als Maßnahme zur Deeskalation für richtig. Wir brauchen keinen Funken unnötiger Aggressivität“, sagte Tilman M. Brauns vom Fanclub-Sprecherrat des FC St. Pauli.

Im Raum steht die Frage, ob die entwendete Zaunfahne noch im Besitz von bestimmten St.-Pauli-Anhängern ist und ob diese als Trophäe am Sonntag im Stadion gezeigt wird. Dies wäre die höchste Form der Eskalation und hätte eine massive Gegenreaktion zur Folge. „Das Präsentieren von gegnerischen Fan-Devotionalien hat bei uns keine Tradition und würde aus Sicht des Fanclub-Sprecherrates einen eklatanten Tabubruch darstellen“, sagt Brauns dazu.

Grundsätzlich rührt die Rivalität beider Lager schon aus den 80er-Jahren. Hinzu kommt, dass ein kleiner Teil der Kieler Fangruppierungen als rechtsextrem eingestuft wird.

Zusammenstöße am Sonnabend befürchtet

Vor dem Spiel werden sich die Kieler Fans am Sonntagmorgen auf dem Hans-Albers-Platz treffen und dann in einem von der Polizei begleiteten Marsch über die Reeperbahn, Glacischaussee und Feldstraße zum Stadion gelangen. Die Polizei hat Erkenntnisse, dass viele Holstein-Anhänger bereits am Sonnabend anreisen und sich am späten Abend auf dem Kiez aufhalten werden.

Hier werden auch HSV-Fans, die aus Bremen zurückkommen, sowie Anhänger des 1. FC Magdeburg, die beim Drittliga-Topspiel in Rostock waren, erwartet – eine brisante Mischung, die Zusammenstöße mit St.-Pauli-Fans befürchtet lässt.

Der vom FC St. Pauli an Kiel verliehene Torjäger Marvin Ducksch appelliert angesichts der Lage an die Fans seines Teams: „Lasst bitte den ganzen Scheiß drumherum. Wir werden alles raushauen, um dann gemeinsam ein Fußballfest feiern zu können.“