Hamburg. St. Paulis Punkteabstand zu den Aufstiegsrängen hat sich nach der 0:1-Niederlage in Berlin verdoppelt. Janßen: “Wichtigste Phase der Saison.“
„Ich habe die Partie die halbe Nacht noch einmal durchgespielt. Das Ergebnis ist immer 1:0 geblieben“, seufzte Olaf Janßen. Der Chefcoach des FC St. Pauli hatte die unverdiente Last-minute-0:1-Niederlage im Zweitliga-Spitzenspiel bei Union Berlin auch am Sonntagmorgen noch nicht ganz verdaut. Im Gegenteil. „Wir sind mit Schmerzen nach Hause gefahren. Das tut uns wirklich weh.“
Denn: Noch mehr als die ausgepowerten Körper leidet derzeit die Seele der Kiezkicker. „Wenn man die letzten vier Spiele betrachtet, hat man Tränen in den Augen. Wir haben vier Tore kassiert – alle nach Standards. Das sind neun Punkte, die ohne große Veränderungen in unserer Tasche hätten sein können“, analysierte Janßen knallhart. Auch der Gegentreffer durch Unions Torjäger Sebastian Polter in der letzten Minute der Nachspielzeit resultierte aus einem – wenn auch zweifelhaften – Freistoß. Ein Déjà-vu-Erlebnis für die Hamburger.
Qualität eines Spitzenclubs
Seit nun schon vier Spieltagen wartet St. Pauli auf einen Sieg (drei Unentschieden, eine Niederlage). Der aufstiegsambitionierte Kiezclub hat den Anschluss zum Spitzentrio – auch durch einen nicht gegebenen Elfmeter an Sami Allagui (34.), der stattdessen Gelb von Schiedsrichter Bastian Dankert wegen einer vermeintlichen Schwalbe sah – vorerst verloren. Berlin steht mit sechs Zählern Vorsprung auf Platz drei der Tabelle. Für den bärenstarken Innenverteidiger Lasse Sobiech, der den Angriff der Eisernen zumindest über 90 Minuten abgemeldet hatte, ist die große Punktespanne kaum zu begreifen. „Wir haben nur ein Spiel gegen die ersten sechs Clubs der Tabelle verloren. Das ist eine super Bilanz. Eigentlich sollten wir eine ähnliche Punktzahl haben“, sagte Sobiech unmittelbar nach der erst zweiten Auswärtspleite der Saison.
Keine Frage: St. Pauli hat die Qualität, um zu den Spitzenclubs der Liga zu gehören. Dass sein Team eine Menge an wertvollen Punkten hat liegen lassen, weiß aber auch Chefcoach Janßen: „Wir befinden uns jetzt in der wichtigsten Phase der Saison. Warum? Wenn man nach einem Spiel das Gefühl hat, dass man alles richtig gemacht hat, beginnt man gerne mit dem Finger auf andere zu zeigen. Vor der Prüfung stehen wir jetzt.“ Dass seine Mannschaft im Endspurt der Hinrunde auseinanderbricht, befürchtet der Trainer allerdings nicht. „Das Team hält brutal zusammen.“
Fehlende Optionen im Angriff
Schön und gut. Fakt ist jedoch: Der Abstand nach oben besteht aus genauso vielen (oder wenigen) Punkten wie zu den ungeliebten Abstiegsrängen. Der Relegationsplatz, auf dem aktuell Heidenheim rangiert, ist nur sieben Punkte entfernt. Obwohl St. Pauli als Fünfter im Unterhaus gelistet wird und ohne Zweifel eines seiner besten Saisonspiele an der Alten Försterei vor 22.012 Zuschauern abgeliefert hat, kann sich das dünne Punktepolster zügig in Luft auflösen. Quo vadis? Wohin geht die Reise?
„Das ist eine bittere Sache, wenn man sieht, was wir in den letzten Wochen und Monaten investiert haben. Aber es liegt in unseren eigenen Händen. Wir sind diejenigen, die entscheiden, ob uns der Weg nach oben führen kann“, betonte Janßen.
Richtig. Doch derzeit entwickeln sich nicht nur die Gegentore nach Standards zu einem echten Problem bei den Hamburgern, sondern auch die leichtfertige Chancenverwertung. St. Pauli hat nach 13 Saisonspielen nur zwölf Tore erzielt – dramatischer sieht die Bilanz nur bei Schlusslicht Kaiserslautern mit acht Treffern aus. Mangelnde Effizienz kann man den Kiezkickern trotz Torflaute jedenfalls nicht vorwerfen.
Der Cheftrainer sieht die Schuld bei den fehlenden Optionen im Angriff. „Uns stehen nur wenige Stürmer zur Verfügung. Aziz Bouhaddouz ist über die Hälfte der Saison ausgefallen. Er fehlte uns besonders. Das liegt nicht nur an der Anzahl der Tore, die er letztes Jahr für uns geschossen hat, sondern das merkt man auch unserem Spiel an“, sagte Janßen.
Sein Sturm setzt sich derzeit aus dem Ex-Herthaner Allagui, U-23-Spieler Jan-Marc Schneider und dem wiedergenesenen Bouhaddouz zusammen. Letzterer gab in Berlin nach überwundener Wadenverletzung für 20 Minuten sein Comeback. Schneider musste aufgrund eines grippalen Infekts kurzfristig passen. Also blieb für das Verfolgerduell beim Aufstiegskandidaten aus der Hauptstadt mit Allagui nur ein fitter Angreifer übrig. Allerdings: Der Deutschtunesier hat in dieser Saison bisher nur einmal getroffen und vergab auch gegen Union gleich mehrere Großchancen.
In welche Richtung geht es nun?
Muss der FC St. Pauli in der Winterpause im dünn besetzten Sturm nachrüsten? Janßen hielt sich bei dem Thema Transfers noch zurück: „Wir wollen unter dem Weihnachtsbaum unsere genauen Ziele formulieren. Wir werden unseren Kader durchgehen und überlegen uns mögliche Optionen auf den verschiedensten Positionen. Außerdem müssen wir gucken, wer von den verletzten Spielern zurückkehrt.“
An diesem Dienstag wird mit großer Wahrscheinlichkeit Flügelflitzer Cenk Sahin (Innenbandanriss im Knie) wieder ins Mannschaftstraining einsteigen. Auch Bouhaddouz, der nicht für die marokkanische Nationalelf nominiert worden ist, kann die anstehende zweiwöchige Länderspielpause nutzen, um vollständig zu regenerieren.
An diesem Freitagabend (19 Uhr) testet der FC St. Pauli gegen den dänischen Erstligisten Odense BK am Millerntor-Stadion, bevor es am 19. November im Heimspiel gegen Aufsteiger Jahn Regensburg wieder ernst wird. Und sich weiter herausstellen wird, in welche Richtung es für den Kiezclub geht.