Hamburg. Kopfverletzungen werden in der Fußballbranche kleingeredet. Lasse Sobiech vom FC St. Pauli spricht über seine Erfahrungen.

Mittlerweile kann Lasse Sobiech schon wieder lachen. „Das ist jetzt mein Schutzhelm“, scherzt der Abwehrspieler des FC St. Pauli, als er sein Baseball-Cap auf den Holztisch im Medienraum des Trainingszentrums an der Kollaustraße legt, um anschließend über ein ernstes Thema zu sprechen.

Tatort Paderborn: Vor drei Wochen knallten Sobiech und Gegenspieler Dennis Srbeny beim Erstrundenspiel im DFB-Pokal in einem Luftduell mit den Köpfen zusammen. Für den ehemaligen U-21-Nationalspieler hatte der Zusammenprall gravierende Folgen. „Ich dachte, dass ich getackert werde, und dann geht es weiter. Als ich aufgestanden bin, merkte ich aber, dass mir schwindelig ist. Da wusste ich, dass ist nicht so easy, wie ich dachte“, erinnert sich Sobiech. Neben einer klaffenden Platzwunde folgte eine Diagnose: schwere Gehirnerschütterung. Nicht die erste, wie der St.-Pauli-Profi zugibt. „Aber es war die mit Abstand am längsten dauernde.“

Beginn einer Leidenszeit

Es war der Beginn einer Leidenszeit, die der sonst so fröhliche Sobiech, dessen Teamkameraden an diesem Sonnabend (13 Uhr, Sky und Liveticker Abendblatt.de) auf den FC Ingolstadt treffen, mit ernster Miene schildert. „Ich sollte viel spazieren gehen, aber ich bin dann lieber in den Park oder an die Alster und nicht in die Stadt, wo viele Menschen waren“, erklärt Sobiech, der von den Medizinern für zehn Tage ein TV- und Handyverbot auferlegt bekam.

„Laute Geräusche waren nervig, helles Licht unangenehm. Alles, was den Kopf anstrengt, selbst Lesen und Telefonieren hat mich angestrengt“, erzählt Sobiech: „Aber man kann auch nicht den ganzen Tag herumliegen und an die Decke gucken. Natürlich habe ich auch mal aufs Handy geschaut und geschrieben, wie es mir geht. Aber ich habe es auf eine halbe Stunde beschränkt.“

Einschränkungen im Alltag

Gedanken an eine Rückkehr auf den Rasen waren in diesen Momenten ganz weit weg. Die Einschränkungen im Alltag, so sagt Sobiech, sei das, was ihm am meisten Sorgen bereitet hat. „Man will einfach nur, dass es weggeht. Gott sei Dank sind Gehirnerschütterungen im Fußball selten, das ist in anderen Sportarten ein größeres Thema.“

Ein in der Fußballbranche noch immer weit verbreiteter Trugschluss, wie der Hamburger Mediziner und Orthopäde Jan Schilling sagt. „Die Dunkelziffer im Fußball ist hoch, das Thema Gehirnerschütterungen wurde und wird noch immer ausgeklammert. Es gibt aber die positive Entwicklung, dass realisiert wird, dass auch der Kopf im Fußball gefährdet sein kann“, sagt der Leiter des Therapiezentrums HafenCity.

Es drohen schwere Folgeschäden

Schilling, der 14 Jahre Mannschaftsarzt beim Eishockeyteam Hamburg Freezers war, beschäftigt sich intensiv mit dem Thema Gehirnerschütterung. Der 46-Jährige ist einer der Gründerväter der Deutschen Gesellschaft für Sport-Neuropsychologie, die sich mit Hirnverletzungen im Sport befasst. Im Juni fand das alljährliche Symposium der Kommission im Fifa Medical Centre in Regensburg statt. „Dort wird viel Forschungsarbeit geleistet. Aber es gibt noch nicht genügend Daten, um zu sagen: Fußball ist schädlich. Nach heutigem Kenntnisstand ist es aber so, dass im Laufe einer Karriere Tausende Kopfbälle, die alle kleine Traumata sind, langfristig zu Wesensveränderungen führen können“, erklärt Schilling.

Dass Gehirnerschütterungen nur im Eishockey, beim Boxen oder American Football vorkommen, sei „nicht mehr zeitgemäß“, sagt Schilling. Schließlich wirken gerade bei Kopfbällen und Schlägen große Kräfte auf den Kopf. „Die Hauptgefahr ist, dass man eine nicht schwerwiegende Erstverletzung hat. Anschließend besteht eine vulnerable Phase, in der man besonders verletzbar ist. Wenn dann erneut ein Trauma auftritt, ist eine Schwelle überschritten, und Nervenzellen gehen kaputt. Wenn das über Jahre passiert, drohen schwere Folgeschäden.“

Immenser Imageschaden möglich

Das Business Fußball müsste einen immensen Imageschaden befürchten, würde man die beliebteste Sportart der Welt mit Hirnverletzungen in Verbindung bringen. „Es geht nicht darum, eine Hysterie loszutreten und zu sagen: Mein Kind darf nicht mehr spielen, weil es Hirnschäden erleiden könnte. Das ist Quatsch. Es geht darum, dass Trainer, Funktionäre und Mediziner sensibilisiert werden. Entscheidend ist die Dia­gnostik, die selbst für gute Mediziner manchmal schwer ist“, sagt er.

Seit zwei Wochen ist Sobiech endlich symptomfrei. Am Mittwoch probierte er erstmals Kopfbälle. „Bei den ersten beiden war ich noch vorsichtig, aber dann ging es“, sagt Sobiech, der sich auch künftig wieder in jedes Kopfballduell reinpanzern will. „Was soll man machen? Wir können ja nicht alle mit Helm spielen“, sagt Sobiech.

FC St. Pauli: Himmelmann – Dudziak, Hornschuh, Avevor, Buballa – Nehrig, Flum – Sobota, Möller-Daehli – Allagui, Bouhaddouz.
FC Ingolstadt 04: Nyland – Träsch, Matip, Bregerie, Gaus – Cohen – Christiansen, Kittel – Pledl, Lex – Lezcano.