Hamburg. Das 0:2 beim 1. FC Heidenheim war für den Tabellenletzten die siebte Niederlage aus den letzten acht Partien.

Was guter Schlaf so alles bewirken kann, wurde am Sonntagmorgen an der Kollaustraße deutlich. 24 Stunden nach dem 0:2 beim 1. FC Heidenheim fiel die Bewertung der siebten Niederlage des FC St. Pauli in den vergangenen acht Spielen deutlich anders aus als noch unmittelbar nach der Partie. Da raunzte beispielsweise Trainer Ewald Lienen einen Sky-Reporter an, der es gewagt hatte, den Auftritt der Kiezkicker zu kritisieren. Es sei das beste Spiel seit Wochen gewesen, entgegnete der Coach, der an diesem Montag seinen 63. Geburtstag feiert. Auch Sportdirektor Andreas Rettig stimmte in den Tenor ein. Auf die Frage, ob Trainer Lienen um seinen Job fürchten müsse, sagte der 53-Jährige: „Wenn wir den Trainer nach schlechten Spielen nicht entlassen, warum sollen wir das nach einem guten tun?“

Trainer Lienen kritisiert seine Führungsspieler öffentlich

Das Problem: St. Pauli war in Heidenheim von einem guten Spiel so weit entfernt wie die Stadt Hamburg von einer Ausrichtung der Olympischen Spiele. Gerade im ersten Durchgang war es mal wieder ein emotionsloser und planloser Auftritt der Kiezkicker gewesen. Erst in der zweiten Halbzeit, als Heidenheim mit der Führung im Rücken in den Verwaltungsmodus schaltete, hatte St. Pauli die Spielkontrolle, ohne allerdings auch nur einen Hauch von Torgefahr zu versprühen. Torhüter Kevin Müller musste im Tor der Gastgeber nicht eine Parade zeigen. Für die knapp 1500 Fans, die das Team nach dem Spiel zunächst mit Pfiffen in der Kurve empfingen, klang das fast schon groteske Schönreden wie blanker Hohn.

Kommentar: Lienen hat sich bei St. Pauli verbraucht

Deshalb ruderte allen voran Ewald Lienen am Sonntag merklich zurück. „Ich stand nach dem Spiel noch unter dem Eindruck der zweiten Halbzeit, die in Ordnung war. Es gibt nichts schönzureden. Gerade in der ersten Halbzeit war das gar nichts von uns. Glauben Sie mir: Über das Warum machen wir uns jeden Tag Gedanken“, sagte Lienen und ergänzte. „Das können wir nicht akzeptieren und manchmal auch nicht erklären.“

Dies sind Aussagen, die man seit Monaten immer und immer wieder hört. Allein an Lösungen mangelt es beim Tabellenletzten der Zweiten Liga, der zum achten Mal in dieser Spielzeit ohne eigenen Treffer blieb. Bei der Ursachenforschung scheint Lienen an seine Grenzen zu stoßen.

In Heidenheim stellte der Trainer das Team auf fünf Positionen um. Eine Maßnahme, die mal wieder keinerlei Wirkung erzielte. Auch nach dem 14. Spieltag hat sich keine klare Stammformation herauskristallisiert.

Woche für Woche probieren die Hamburger etwas Neues. Mal sind es die erfahrenen Spieler, die es richten sollen, mal werden die Talente zu Hoffnungsträgern gemacht. Eine kontinuierliche Entwicklung einer Spielidee sucht man vergebens. Aktuell wirkt es so, als würde Lienen die Aufstellungen würfeln und beten, dass am Ende etwas herauskommt, das funktioniert. „Wenn die halbe Welt die Ablösung des Trainers fordert, hilft mir das nicht weiter. Ich stelle mich jeden Tag infrage“, so der freudsche Versprecher des Trainers.

Im Training funktioniert es

Vielmehr wollte er mitteilen, dass er sich hinterfragt. An den eigenen Fähigkeiten zweifelt der erfahrene Coach nach wie vor nicht. Auf die Frage, ob er beim FC St. Pauli mit seinem Latein am Ende sei, folgte nur eine süffisante Antwort. „Ich kenne das große Latinum und habe noch ein paar Vokabeln zur Verfügung.“ Bis zu seinen Profis scheinen diese nicht durchzudringen. Am Sonntagvormittag unternahm Lienen einen neuen Versuch, um sich Gehör in der Mannschaft zu verschaffen. 

Um zehn Uhr trafen sich die Spieler zum obligatorischen Auslaufen. Nach einer Videoanalyse setzte sich Lienen mit dem Mannschaftsrat um Kapitän Sören Gonther, Lasse Sobiech, Jan-Philipp Kalla, Philipp Heerwagen, Bernd Nehrig und Marc Hornschuh zusammen. Erst um 12.39 Uhr kamen die Spieler zum Training aus den Katakomben.

„Wenn es nicht läuft, brauche ich die Führungsspieler, dass sie mit gutem Beispiel vorangehen und dass sie auch die anderen entsprechend coachen und das einfordern. Das Kuriose ist, dass es im Training funktioniert. Da hauen wir uns gegenseitig die Ohren vielmehr weg als wir es auf dem Platz machen“, polterte Lienen, der nicht nur seine Führungsspieler an den Pranger stellte, sondern die gesamte Mannschaft öffentlich in die Pflicht nahm. „Uns hilft es weiter, auch mal mit elf Spielern, die alle ihre Topleistung bringen, auf dem Platz zu stehen. Das kriegen wir fast nie hin. Wir haben immer zwei bis drei Spieler, die ihre Leistung nicht abrufen können“, kritisierte Lienen.

Außer auf den häufig bemitleidenswerten Torhüter Robin Himmelmann kann man sich beim FC St. Pauli in dieser Saison auf keinen Spieler verlassen. Die Fehlerquelle trägt in jedem Spiel einen anderen Namen. Beim 0:1 eskortierten die zweitligaerfahrenen Routiniers Sobiech, Nehrig und Gonther Torschütze Marc Schnatterer. Gerade im ersten Durchgang zeigten die Spieler nicht, dass sie bedingungslos für ihren Trainer kämpfen. Die insgesamt zehnte Niederlage – so viele hat kein anderes Zweitligateam – lässt die Hoffnungen auf den Klassenerhalt weiter schwinden. Sechs Punkte beträgt St. Paulis Rückstand auf Platz 15. Fakt ist aber auch: St. Pauli hat mehr als eine Ergebniskrise. Der Kiezclub steuert sehenden Auges die Dritte Liga an.