Hamburg. Die Mitgliederversammlung des Zweitliga-Schlusslichts zeigt deutlich: Finanziell geht es dem Kiezclub gut wie lange nicht mehr.
Die Uhrzeit ließ Böses erahnen. Um 11.11 Uhr eröffnete Versammlungsleiter Christian Heiser am Sonntagvormittag im Saal drei des Congress Center Hamburg (CCH) die Mitgliederversammlung des FC St. Pauli. Wer geglaubt hatte, den 587 anwesenden Mitgliedern würde eine emotionale und karnevalsähnliche Veranstaltung geboten, der irrte. Nach exakt 193 Minuten endete trotz der prekären sportlichen Situation eine der wohl ruhigsten Versammlungen in der Geschichte des Kiezclubs.
Wütende Rufe aus dem Publikum? Fehlanzeige! Einforderung von Erklärungen für das schlechte sportliche Abschneiden? Kaum! Nachfragen zu der Entlassung von Sportdirektor Thomas Meggle? Genau eine Wortmeldung! Stattdessen übten die anwesenden Mitglieder und der Verein den Schulterschluss. Frei nach dem Motto: Nur gemeinsam sind wir stark. Da passte es irgendwie ins Bild, dass die Mannschaft von Trainer Ewald Lienen nach gut zweistündiger Anwesenheit mit tosendem Applaus und St.-Pauli-Sprechchören verabschiedet wurde. Auch bei der Danksagung für die Verdienste Meggles gab es keine Pfiffe oder Kommentare. Nein, es gab Beifall für den Ex-Profi.
Steigerung der Transfererlöse
„Es tut uns als Verein gut, nicht den branchenüblichen Mechanismen zu folgen und Alleinschuldige zu suchen. Wir stehen immer im engen Austausch mit unseren Mitgliedern“, sagte Präsident Oke Göttlich, der zumindest abseits des Sports gute Neuigkeiten verkünden konnte. Finanziell ist der Verein so gut aufgestellt wie schon lange nicht mehr. Im abgelaufenen Geschäftsjahr erwirtschaftete St. Pauli einen Konzernüberschuss in Höhe von 1,315 Millionen Euro. Ein Jahr zuvor betrug dieser lediglich 235.981,94 Euro.
Kommentar: Ruhig und besonnen zum Klassenerhalt
Das gute Ergebnis liegt vor allem an der Steigerung der Transfererlöse. Verkäufe wie der von Linksverteidiger Marcel Halstenberg zu RB Leipzig ließen die Transfer- und Ausbildungsentschädigungen auf 3,211 Millionen Euro steigen. Den größten Zuwachs gab es im Bereich Merchandising. Nach 82.884,88 Euro im Vorjahr konnte St. Pauli die Erlöse bei den Fanartikeln auf knapp 3,5 Millionen Euro steigern. Stolz verkündete Göttlich den Start eines Online-Shops in den USA, um dort präsent zu sein. Auch die Logen im Stadion sind so begehrt wie zu Bundesliga-Zeiten. „In dieser Saison werden wir neue Rekordzahlen in diesem Bereich vorweisen können“, sagte Göttlich.
Horrorszenario Dritte Liga
Der Präsident wehrte sich gegen den Vorwurf, die derzeit schlechte Platzierung in der Zweiten Liga sei das Ergebnis eines zu radikalen Sparkurses. „Wir haben den Lizenzspieleretat in den vergangenen beiden Spielzeiten um knapp 50 Prozent gesteigert. Damit sind wir im oberen Drittel der Zweiten Liga“, sagte der 40-Jährige, der noch einmal betonte, dass man in der Wintertransferperiode nachrüsten will. Mit großen Summen will St. Paulis Interimssportchef Andreas Rettig aber nicht auf die Spielersuche gehen. Lediglich ein kalkulierbares Risiko wäre man bereit einzugehen. Zugleich gab der Verein bekannt, dass Rettig, der bislang als Geschäftsführer aktiv war und nach wie vor ist, für die Doppelbelastung keine Gehaltserhöhung eingefordert hat.
Göttlich machte keinen Hehl daraus, wie schwierig die aktuelle Situation sei. Der Vereinsverantwortliche bestätigte, dass man sich auch auf das Horrorszenario Dritte Liga vorbereite. „Wir beschäftigen uns mit allen Ligen, aber ich bin felsenfest überzeugt, dass wir die Qualität haben, die Zweite Liga zu halten“, so der Präsident, der im Bericht des Präsidiums eine flammende Rede hielt. „Wir stehen mächtig im Wind. Für uns beginnt jetzt eine neue Saison. Das Team auf dem Rasen und mit den Fans auf den Rängen, lasst uns zusammen die Liga rocken. Wir im Verein glauben an euch und eure Stärke.“
Nachhaltigkeit und Umweltthemen
Weit weniger emotional waren die anderen Tagesordnungspunkte. So wurde beschlossen, eine Arbeitsgemeinschaft zur Überprüfung der Vereinsstruktur zu gründen, die Verbesserungspotenziale herausfinden soll. Ein Antrag eines Fans, der forderte, sich sofort vom umstrittenen Ausrüster Under Armour zu trennen, wurde abgelehnt. Da der antragstellende Österreicher nicht anwesend war, man das Thema aber nicht totschweigen wollte, stellte ein Mitglied der Abteilung Fördernde Mitglieder (AFM) formell den Antrag. „Das wäre auch ein fatales Zeichen an unsere anderen Partner“, sagte Präsidiumsmitglied Joachim Pawlik, der den Rat gab, sich gegen den Antrag zu positionieren.
Großen Wert will St. Pauli weiter auf Nachhaltigkeit und Umweltthemen legen. Die 16 Jahre alte Ana Witmann bekam große Zustimmung für ihren Antrag, dass der Kiezclub künftig bei Fanartikeln auf das „Fairtrade“-Siegel wert legt. Da dies aber nur schwer in die Tat umzusetzen sei, so Präsidiumsmitglied Reinher Karl, wurde der Antrag modifiziert und anschließend mit großer Mehrheit verabschiedet. Eine Arbeitsgruppe nimmt sich der Thematik an.
Und so gingen um 14.24 Uhr die verbliebenen Mitglieder zufrieden nach Hause, in der Hoffnung, dass es dem Verein schon bald auch sportlich wieder so gut geht wie finanziell.