Belek/Hamburg. Nach zehn Tagen in Belek zieht St. Paulis Trainer Bilanz und nimmt Stellung zu den aktuellen Themen rund um sein Team.
Am Montag um kurz vor 15 Uhr landete die Mannschaft des FC St. Pauli nach zehn Tagen Trainingslager in Belek wieder in Hamburg. Zuvor nahm sich Cheftrainer Ewald Lienen, 62, die Zeit, Bilanz der Tage in der Türkei zu ziehen und Stellung zu den aktuellen Themen rund um sein Team zu nehmen. Im einzelnen sagte Lienen ...
...die Dauer des Trainingslagers: „Man kann in einem Trainingslager intensiver als sonst arbeiten. Insgesamt war es recht kurz mit den zehn Tagen, zumal wir ja auch noch drei Spiele gemacht haben. Da wir hier aber nicht die Möglichkeiten etwa für das Krafttraining und die medizinische Versorgung wie zu Hause hatten, war die Dauer schon passend. Dazu kommt die Kostenfrage eines längeren Trainingslagers. Außerdem müssen wir uns jetzt ja auch wieder an die Bedingungen zu Hause gewöhnen. Dafür war es in Belek ganz gut, dass es nicht so sehr warm war.“
... die Gefahr eines Lagerkollers: „Wer in gerade einmal zehn Tagen einen Lagerkoller bekommt, sollte sich einen anderen Beruf suchen.“
... das Ziel, taktische Varianten einzustudieren: „Wir haben damit anfangen können. Es ist natürlich nicht möglich, solche Dinge innerhalb weniger Tage zur Perfektion zu bringen. Aber wir haben uns mit unserem offensiven Flügelspiel und verschiedenen Angriffsvarianten beschäftigt. An den Tagen, an denen wir Testspiele hatten, konnten wir ja auch nicht noch bis zum Abwinken trainieren. Aber es gab Anfang der vergangenen Woche schon ein intensives Programm, das Kraft gekostet hat.“
Der Kader des FC St. Pauli 2015/16
... die Umsetzung der taktischen Ziele in den Testspielen: „Wir haben gerade gegen Vaduz eine gute Szenen im Flügelspiel gesehen und auf die Art und Weise auch zwei Treffer erzielt. Das werden wir den Jungs auch noch mal im Video zeigen. Grundsätzlich war es sehr positiv, dass wir gegen Vaduz fünf Tore geschossen haben, weil unsere Torausbeute ja insgesamt bisher nicht überragend ist. Zum Abschluss gegen Wien haben wir uns sehr gute Kontersituation erspielt, aus denen mehr als nur ein Tor hätte entstehen können und sollen.“
... die Defensivarbeit in den Testspielen: „Man sollte es nicht überbewerten, dass wir in den ersten beiden Testspielen ohne Gegentor geblieben sind. Wir haben es defensiv überwiegend ordentlich gemacht und hatten dazu in den Situationen, in denen wir etwas nachlässiger waren oder in denen es der Gegner gut gemacht hat, auch das Glück, dass kein Tor gefallen ist. Dazu haben dann auch die Paraden unserer Torhüter beigetragen.“
... die Zukunft von Testspieler Leroy Mickels: „Ich halte ihn für einen sehr talentierten Jungen und werde mit Sportchef Thomas Meggle besprechen, was wir mit ihm machen. Er hat darunter gelitten, dass sein Vater meinte, er könne ihn coachen und irgendwo unterbringen. Das sind so Allmachts-Fantasien. Die Folge war, dass er ein halbes Jahr ohne Verein war. In der U-23-Mannschaft von Borussia Mönchengladbach war er einer der nächsten, die auf dem Sprung waren, bei den Profis dabei zu sein. Aber dann hat der Vater ihn rausgenommen und ihm gesagt, er werde ihn zu Real Madrid bringen. Das war natürlich lächerlich. Der Junge war der Leidtragende. Er ist aber ein großes Talent und hat in Mönchengladbach die gesamte Ausbildung durchlaufen. Er ist ein technisch sehr guter, offensiver Mittelfeldspieler, der erst 20 Jahre alt und den man auf Sicht hier aufbauen könnte. Er hat sich völlig problemlos in unser Trainingsprogramm hier eingeordnet, nachdem er vor Weihnachten noch in einer wesentlich schlechteren körperlichen Verfassung bei uns angekommen ist.“
FC St. Pauli gewinnt erstes Testspiel
... die aktuelle Entwicklung des in der bisherigen Saison enttäuschenden Stürmers John Verhoek: „John ist hoch motiviert aus der Winterpause gekommen, um anzugreifen und sich zu profilieren entweder für Einsätze bei uns oder für einen anderen Verein, wenn sich einer findet. Er hat vor der Winterpause nicht viele Chancen bekommen. Aber er hat auch zu wenig gearbeitet, um eine vollwertige Alternative zu sein. Er hatte dann im Laufe der Hinrunde ein bisschen aufgegeben und auch nicht mehr so trainiert, wie er das jetzt in den vergangenen drei Wochen gemacht hat. Und er hat gesehen, dass er dafür auch mit Toren belohnt wird. Wenn er körperlich in einer guten Verfassung ist, kann er auch pressen, nachsetzen und weite Wege gehen. Wenn wir dann noch ein bisschen auf sein Spiel eingehen, kann er uns auch helfen, wie man bei seinen beiden Toren gegen Vaduz gesehen hat. Ich freue mich für ihn.“
... die gegen Vaduz praktizierte Variante mit zwei Sturmspitzen, also Lennart Thy und John Verhoek: „Wenn wir das jetzt nicht ausprobieren, wann denn dann?“
... die Entscheidung von Lennart Thy, im Sommer zu Werder Bremen zu wechseln: „Ich habe das gefasst aufgenommen. Es ist das Ziel von uns allen, in der ersten Liga zu spielen. Jeder Spieler und jeder Verein möchte das. Wir hätten dieses Ziel gern mit ihm gemeinsam erreicht – irgendwann mal. Aber wenn er die Möglichkeit hat, in der ersten Liga einen Vertrag zu unterschreiben, kann man ihm das nicht verdenken.“
... die Chance für Thy, in der Bundesliga auch regelmäßig zu spielen: „Ich traue es allen unseren Spieler zu, das zu schaffen. Es ist immer eine Frage der Weiterentwicklung. Lenny hat tolle Leistungen für uns abgeliefert und ist körperlich ein Monster. Der nächste Schritt, den Lenny machen muss, ist es, nicht bei jedem Angriff mitspielen zu wollen, sondern auch darauf zu spekulieren, im richtigen Moment vor dem Tor aufzutauchen. Daran arbeitet er. Andere Stürmer, die mehr Tore schießen, beteiligen sich oft viel weniger an den Spielzügen ihrer Mannschaft.“
... die Erwartungen an Thy in den verbleibenden 15 Spielen der Zweiten Liga: „Es ist gut, dass das Thema des Wechsels jetzt offen kommuniziert und damit vom Tisch ist. Wir erwarten von ihm, dass er dieselbe Einstellung und Laufbereitschaft an den Tag legt wie bisher und noch an ein paar Stellschrauben dreht, um torgefährlicher zu werden. Je mehr Tore er schießt, desto besser für uns, aber auch für sein Standing beim nächsten Team.
... das Luxusproblem in der Innenverteidigung und im defensiven Mittelfeld mit einer großen Auswahl an leistungsstarken Spielern: „Es ist nicht leicht für mich, hier Entscheidungen zu treffen. Wir sind mit Rzatkowski, Nehrig, Buchtmann und Alushi für die beiden „Sechser“-Position extrem gut aufgestellt. Ich freue mich, dass wir hier diese Alternativen haben. So kann man einen verletzten Spieler immer gleichwertig ersetzen. Das selbe gilt in der Innenverteidigung mit Sobiech, Ziereis und Gonther für die beiden Positionen. Oder ich führe die Dreierkette ein und lasse alle drei spielen.“
... Neuverpflichtungen in diesem Winter: „Es ist nicht einfach, im Winter jemanden zu finden, der sofort hilft. Es macht aber Sinn, sich Gedanken über einen Nachfolger von Lennart Thy zu machen, der vielleicht jetzt schon kommt, damit wir sehen können, ob es der richtige Mann ist, um Lenny zu ersetzen. Ideal wäre es, jetzt jemanden auszuleihen, für den man im Sommer eine realistische Kaufoption hätte. Da wir von allen Mannschaften, die in der Tabelle oben stehen, die wenigsten Tore geschossen haben, ist es legitim zu schauen, ob uns ein Spieler hier besser machen kann.“
... Gedanken an das Ende der Trainerkarriere: „Keine Lust mehr zu haben, Trainer zu sein, würde für mich heißen, dass ich keine Lust mehr hätte zu leben.“