Hamburg. St. Paulis Sportchef Thomas Meggle spricht über Strategien und Ziele und erklärt, wie er Verstärkungen ans Millerntor lockt.

Seit fast elf Monaten ist Thomas Meggle, 40, Sportchef des FC St. Pauli, nachdem er zuvor 13 Spiele als Cheftrainer tätig war und die Mannschaft als Tabellenschlusslicht an Ewald Lienen übergab. Im Gespräch mit dem Abendblatt spricht Meggle über den Reiz seiner Aufgabe, die Entwicklung der Mannschaft und sein Comeback als Trainer.

Hamburger Abendblatt: Hätte der Spieler Thomas Meggle gern mit dem Sportchef Thomas Meggle verhandelt?

Thomas Meggle: Ja.

Warum?

Meggle: Weil es sich aus meiner Sicht immer auf einer fairen Ebene abspielt. Manchmal geht die Wahrnehmung auseinander, was der eine für eine Einschätzung darüber hat, was er selbst wert ist und sich selbst ausbezahlen würde.

Hatten Sie als Spieler selbst immer die richtige Wahrnehmung, was Sie wert sind?

Meggle: Auf keinen Fall. Ich hatte als Spieler mal gedacht, dass die Profis bei St. Pauli richtig viel Geld verdienen würden, weil auch alle so getan haben, dass sie hier richtig Geld bekommen. Dann sprach mich der damalige Präsident Heinz Weisener an, ich sollte mir mal Gedanken über eine Vertragsverlängerung machen. Ich hatte dann auf einem Zettel meine Gehaltsvorstellung notiert. Zum Glück hat dieser Termin bei ihm dann nie stattgefunden. „Papa Heinz“ hätte mich wahrscheinlich aus seinem Büro geprügelt.

Zur aktuellen Situation: Das Team ist nach 13 Spieltagen Tabellendritter, hat den Ersten und Zweiten geschlagen. Aber Trainer Ewald Lienen wehrt sich gegen die Bezeichnung Spitzenteam. Wie sehen Sie das?

Meggle: Zu einem Spitzenteam fehlt uns schon noch ein Stück. Das Charakteristikum eines Spitzenteams ist Konstanz. Auf der einen Seite geht es darum, nicht nur gegen die oberen Teams zu punkten sondern auch die sogenannten „Schweinespiele“ zu gewinnen. Ich erinnere da an die Spiele beim FSV Frankfurt und gegen den SV Sandhausen, die wir verloren haben. Übergeordnet wehren wir uns gegen die Bezeichnung Spitzenteam, weil in der Zweiten Liga 16 Mannschaften absteigen können. Außer Leipzig und Freiburg kann es jeden in dieser Liga erwischen. Das haben wir in der vergangenen Saison beinahe selbst erlebt und haben deshalb jetzt die Demut, dass wir erst einmal die für den Klassenerhalt nötigen 40 Punkte holen wollen. Alles andere wäre der dritte, vierte und fünfte Schritt. Die Erfahrung zeigt, dass Mannschaften aufgestiegen sind, die sich zum Saisonende hin in einen Rausch gespielt haben. Das Allerwichtigste dabei war , dass sie nicht über den Aufstieg geredet haben.

Ist es angesichts von 23 Punkten aus den ersten 13 Spielen nicht unglaubwürdig, 40 Punkte als Ziel auszugeben?

Meggle: Mit 23 Punkten steigt man ab. Und in dieser Liga kann man gegen jedes Team verlieren. Das bekommen ein paar Mannschaften gerade ganz bitter zu spüren.

Vor einem halben Jahr mussten Sie zweigleisig planen, für die Zweite und die Dritte Liga. Wie planen Sie jetzt für die kommende Saison? Für Liga eins und zwei, oder spielt der Abstieg gedanklich doch noch eine Rolle?

Meggle: Wir planen langfristig die Sommer-Transferperiode, und zwar ausgerichtet auf die Zweite Liga. Dennoch muss man auf alle Eventualitäten reagieren können.

Womit kann der FC St. Pauli interessante Spieler ans Millerntor locken? In Sachen Budget gehört er ja auch in der Zweiten Liga nur zum Mittelfeld.

Meggle: Wir sind beim Etat für die Liga-Mannschaft sogar nur im unteren Mittelfeld der Zweiten Liga angesiedelt. Wir achten deshalb darauf, dass Spieler nicht primär des Geldes wegen zu uns kommen. Wir wollen sie mit unserem Verein, einer sportlichen Perspektive und unserer Stadt locken. Zudem ist entscheidend, dass ein Spieler unsere Aufbruchstimmung spürt und merkt, dass wir uns um ihn intensiv bemühen und ihn wirklich haben wollen.

St. Pauli erkämpft sich einen Punkt im Topspiel bei Bochum

Jan-Philipp Kalla köpfte St. Pauli in der zehnten Minute in Führung
Jan-Philipp Kalla köpfte St. Pauli in der zehnten Minute in Führung © dpa | Guido Kirchner
St. Pauli feiert die Führung in Bochum
St. Pauli feiert die Führung in Bochum © dpa | Guido Kirchner
Bochums Simon Terodde (r.) jubelt über seinen Ausgleichstreffer
Bochums Simon Terodde (r.) jubelt über seinen Ausgleichstreffer © dpa | Guido Kirchner
Lasse Sobiech verzieht das Gesicht nach seinem verschossenen Elfmeter in der zweiten Halbzeit
Lasse Sobiech verzieht das Gesicht nach seinem verschossenen Elfmeter in der zweiten Halbzeit © WITTERS | UweSpeck
Marc Rzatkowski traf in Bochum auf seine ehemaligen Kollegen
Marc Rzatkowski traf in Bochum auf seine ehemaligen Kollegen © dpa | Guido Kirchner
Daniel Buballa klärt resolut gegen Jan Simunek
Daniel Buballa klärt resolut gegen Jan Simunek © WITTERS | UweSpeck
Jeremy Dudziak behauptet den Ball vor Janik Haberer
Jeremy Dudziak behauptet den Ball vor Janik Haberer © WITTERS | UweSpeck
Robin Himmelmann bewahrte St. Pauli mehrfach vor dem Rückstand
Robin Himmelmann bewahrte St. Pauli mehrfach vor dem Rückstand © WITTERS | UweSpeck
Waldemar Sobota (l.) kämpft gegen Patrick Fabian um den Ball
Waldemar Sobota (l.) kämpft gegen Patrick Fabian um den Ball © WITTERS | UweSpeck
Marc Hornschuh (r.) verteidigt gegen Marco Terrazzino
Marc Hornschuh (r.) verteidigt gegen Marco Terrazzino © WITTERS | UweSpeck
St. Paulis Kapitän Lasse Sobiech (l.) klärt per Kopf vor Timo Perthel
St. Paulis Kapitän Lasse Sobiech (l.) klärt per Kopf vor Timo Perthel © dpa | Guido Kirchner
Bochums Felix Bastians (l.) und Jan-Philipp Kalla im Luftduell
Bochums Felix Bastians (l.) und Jan-Philipp Kalla im Luftduell © WITTERS | UweSpeck
Gertjan Verbeek und Ewald Lienen halten einen kurzen Plausch vor dem Spiel
Gertjan Verbeek und Ewald Lienen halten einen kurzen Plausch vor dem Spiel © WITTERS | UweSpeck
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Kann mit solchen Argumenten heute wirklich noch echte Verstärkungen locken?

Meggle: Man kann damit sicher keine Spieler holen, die bei anderen Zweitligavereinen deutlich mehr Geld verdienen können. Es gibt aber viele interessante Spieler, die auch zum FC St. Pauli passen und die sich ganz bewusst für unseren Verein entschieden haben, weil sie von der sportlichen Perspektive und unserer Idee überzeugt sind. Ich denke da Jungs wie Ryo Miyaichi, Jeremy Dudziak und Marc Hornschuh.

Hätten Sie gern vor einem Jahr als Trainer das Glück gehabt, eine Mannschaft zu haben, die so gut funktioniert wie die aktuelle?

Meggle: Als Trainer übernimmt man nie eine Truppe, die funktioniert. Sonst wäre ja der alte noch da. Um aus einer Mannschaft ein Team zu formen, das funktioniert, braucht man Zeit und auch eine Vorbereitung, in der man vier bis sechs Wochen in Ruhe arbeiten kann. Als ich Trainer war, hatten wir phasenweise eine verflixte Verletztensituation. Ich zolle Ewald Lienen höchste Anerkennung, sein Anteil am Klassenerhalt war enorm. Er hat ein schnell ein Gespür für die Mannschaft entwickelt, hat sie mit seiner Ansprache sofort erreicht und hat eine Einheit geformt, die das Ziel erreicht hat. Das war schon großes Kino.

Wird es den Trainer Thomas Meggle noch einmal geben?

Meggle: Ich habe mein Comeback vor drei Wochen gegeben. Da haben wir mit der Jugendmannschaft meines Sohnes vom SC Nienstedten aber gegen eine Mädchenmannschaft von Komet Blankenese verloren. Ich musste einsehen, dass ich in der Truppe nichts bewirken konnte.

Und im Ernst?

Meggle: Ich sehe meine nahe Zukunft im Managementbereich. Für die nächsten fünf bis zehn Jahre möchte ich nichts ausschließen. Aber für mich ist wichtig, dass ich nicht zu einem Sessel-Hopper werde, der von Position zu Position springt. Ich bin in der aktuellen Situation glücklich und freue mich, dass ich im Hintergrund arbeiten und Strukturen schaffen kann, um nachhaltig erfolgreich zu sein.

Es gab große Zweifel, als Sie im Dezember 2014 vom Trainer zum Sportchef ernannt wurden. Spüren Sie jetzt angesichts des Erfolges Genugtuung?

Meggle: Überhaupt nicht. Ich habe damals auf die Zweifler nicht gehört und höre auch jetzt nicht auf die Schulterklopfer. Ich hatte damals auch nicht die Zeit, auf Leute zu hören, die keinen vernünftigen Input geben konnten. Es ging nur darum, sich mit den entscheidenden Leuten über den einzuschlagenden Weg abzustimmen.

Haben Sie als Sportchef eigentlich mehr oder weniger Zeit als als Trainer?

Meggle: Eindeutig weniger Zeit. Ich habe jetzt auch noch viele Termine abends. Das hängt auch damit zusammen, dass das Präsidium und der Aufsichtsrat ehrenamtlich tätig sind und man sich daher entweder früh morgens oder eben abends mit den Vertretern dieser Gremien abstimmen muss.

Wie viele Berater rufen täglich bei Ihnen an, um Spieler anzubieten?

Meggle: Das ist unterschiedlich, je nachdem, ob gerade eine Transferperiode ansteht oder nicht. Aber unsere Spieler-Akquise ist nicht darauf ausgerichtet, auf Tipps von außen angewiesen zu sein. Es ist vielmehr so, dass wir gezielt zwei bis drei Kandidaten für eine jeweilige Position im Auge haben und dann versuchen aus dem Kandidatenkreis Transfers zu realisieren. Wichtig ist aber, dass man bei Überraschungen mit im Boot sitzt. Wenn also ein guter irgendwo unzufrieden ist, muss man rechtzeitig den Hinweis bekommen, dass er wechseln möchte.

Am Montagabend kommt Fortuna Düsseldorf ins Millerntor-Stadion. Dort ist Ihr unmittelbarer Vorgänger Rachid Azzouzi Sportchef. Er hat kürzlich betont, dass er im Wesentlichen die jetzt so erfolgreiche Mannschaft des FC St. Pauli zusammen gestellt hat.

Meggle: Das stimmt. Rachid war bis zum vorletzten Sommer für alle Transfers verantwortlich.

Sie müssen in den verbleibenden sechs Spielen bis zur Winterpause nur noch gegen Mannschaften aus der unteren Tabellenhälfte antreten, beginnend mit dem Heimspiel am Montag (20.15 Uhr) gegen den Tabellen-16. Fortuna Düsseldorf. Ist das eine große Chance, schon den bewussten 40 Punkten sehr nah zu kommen, oder birgt das auch eine Gefahr in sich?

Meggle: Bisher war jedes unserer Spiele sehr eng. In jedem Spiel gab es eine Ausfahrt für einen Sieg, ein Unentschieden und eine Niederlage. Oft hat das Pendel auf Grund des Willens und der Mentalität zu unseren Gunsten ausgeschlagen. Jetzt wird es darum gehen, dieses erworbene Selbstvertrauen mitzunehmen und noch eine Schippe draufzulegen. Am Ende geht es aber darum, nur das nächste Spiel zu betrachten und sich klar zu machen, dass die Wahrscheinlichkeit eines Sieges relativ hoch ist, wenn man alles investiert. Entscheidend ist die Gier, weiter Erfolge einfahren zu wollen.

Sie hatten nach dem Transfer von Marcel Halstenberg nach Leipzig gesagt, dass die Ablösesumme von mehr als drei Millionen auch dafür verwendet werden soll, Strukturprojekte umzusetzen. Welche sind das?

Meggle: Es geht da auch um Personalien, die nicht direkt den Kader des FC St. Pauli betreffen. So konnten wir jetzt Stefan Studer als Chefscout zurückholen, der eine sehr gute Expertise und große Erfahrung besitzt. Wir setzen zudem interne Strukturprojekte und Softwarethemen um und suchen derzeit eine neue Leitung des Nachwuchsleistungszentrums.

Welche Zugänge oder auch Abgänge planen Sie für die Winterpause?

Meggle: Zunächst einmal hat jeder Spieler einen laufenden Vertrag. Aber wir überlegen natürlich, wo wir die Mannschaft im Winter besser machen können. Grundsätzlich gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder starten wir einen Vorgriff auf die neue Saison oder wir schauen nach einem Spieler, der uns sofort für die kommenden sechs Monate weiterhilft. Wenn wir aktiv werden, bedeutet das natürlich für andere Spieler, dass ihre Möglichkeit schwindet, Einsatzzeiten zu bekommen. Vielleicht kommt dann einer auf uns zu und möchte sich aufgrund der neuen Situation verändern.

Wie gestalten sich die Gespräche mit den Spielern, deren Verträge am Saisonende auslaufen und die sie gern halten möchten?

Meggle: Wir sind aktuell mit allen im Gespräch, deren Verträge auslaufen und die in den vergangenen Wochen zu den Stammspielern gezählt haben. Wir sind interessiert, den Stamm der Mannschaft zu halten, es wird aber auch wieder Härtefälle geben. Es ist klar, dass jeder Spieler immer mehr als bisher verdienen möchte. Ich bin sehr optimistisch, wieder 22 Spieler zu finden, die gern für den FC St. Pauli spielen. Wir bezahlen hier ja auch nicht mit Kokosnüssen oder Melonen, sondern mit ordentlichem Geld.

Wann werden Sie den ersten Vertrag mit einem Stammspieler verlängert haben? Das könnte ja auch eine Signalwirkung haben.

Meggle: Wir haben mit allen Spielern individuell eine Zeitschiene vereinbart, die für beide Seiten fair ist.

Wie sehen Sie Ihre Zusammenarbeit mit Trainer Ewald Lienen, der Sie im Dezember 2014 abgelöst hat?

Meggle: Die Zusammenarbeit ist ausgezeichnet, sowohl fachlich als auch zwischenmenschlich. Ich denke, es ist auch zu spüren, dass wir sehr gut zusammenpassen. Ewald ist wirklich ein ganz toller Mensch. Man sieht, dass er die Mannschaft im Griff hat, dass er das Team formt und dass wir jetzt den nächsten Schritt gemacht haben und auch dominant Fußball spielen können.

Wie bewerten Sie mit dem Abstand einiger Wochen den viel kritisierten Vorgang, dass die Trikotnummer 17 von Fabian Boll so frühzeitig anderweitig vergeben wurde?

Meggle: Sicher hätte man das – auch von meiner Seite – besser anders lösen können. Ich habe das aber mit Fabian Boll besprochen. Es ist klar, dass der Spieler und seine Leistungen niemals vergessen werden.

Gibt es ein Konzept, wie künftig mit verdienten Spielern und deren Rückennummern umgegangen werden soll?

Meggle: Das steht noch auf unserer Agenda. Wir wollen ehemalige Spieler und auch Leute aus der Fanszene mit ins Boot holen, mit denen wir genau klären werden, wie zukünftig verdiente Spieler verabschiedet werden sollen.

Seit zwei Monaten ist Andreas Rettig als kaufmännischer Geschäftsführer im Amt. Wie gestaltet sich die Zusammenarbeit?

Meggle: Es ist zu spüren, dass Andreas sehr gut in unser Team passt. Er hat sich hier gut integriert, und wir haben ihn gut integriert. Integration ist ja etwas, was immer in beide Richtungen funktionieren muss. Es macht Spaß, mit ihm zusammenzuarbeiten, logischerweise hole ich mir bei ihm auch Input. Es wäre ja fatal, wenn ich mir nicht bei einem Mann mit seiner Erfahrung einen Ratschlag einholen würde.

Wie stehen Sie zu der Kritik einiger Fans am künftigen Ausrüster Under Armour? Ist das Geld dieses Konzerns wichtiger als dessen umstrittene Werbung in den USA?

Meggle: Wir sind uns bewusst, dass uns die Entscheidung für Under Armour uns auch Kritik einbringt. Für uns aber waren die Punkte, die für diese Partnerschaft sprechen, zahlreicher und bedeutender als die Punkte, die dagegen sprachen. So wird sich Under Armour sozial engagieren und auch unser NLZ unterstützen. Zudem profitieren wir als Verein von technischen Innovationen und der Qualität der Produkte.