Paderborn. St. Paulis Trainer möchte erst nach dem nächsten Heimspiel gegen Sandhausen Bilanz ziehen. Abwehr der Kiezkicker geht auf Rekordjagd.
Die Klage der Autogrammjägerin mehr als eine Stunde nach Spielschluss war nicht zu überhören. „Noch nicht einmal die Hälfte der Mannschaft ist bisher aus der Kabine gekommen“, haderte die junge, mit Stift und Block bewaffnete Dame, die am Spielerausgang der Paderborner Benteler Arena auf die Profis des FC St. Pauli wartete.
Dabei gab es einen einfachen Grund, warum sich die Spieler des Kiezclubs nach dem 0:0 beim SC Paderborn länger als gewohnt im Kabinentrakt des Stadions aufhielten. Cheftrainer Ewald Lienen hatte nach Spielschluss entschieden, dass er seinen Profis nach den drei Punktspielen innerhalb von sechs Tagen zwei volle freie Tage, Sonntag und Montag, gönnen wollte. Dafür mussten sie allerdings das sonst am Tag nach einem Spiel obligatorische Regenerationstraining vor der Rückreise nach Hamburg absolvieren. Vorsorglich waren einige Fahrradergometer im Teambus mit nach Ostwestfalen transportiert worden, die nun auch zum Einsatz kamen.
Die Stimmungslage nach dem 0:0 von Paderborn war bei den St. Paulianern einhellig, aber eben doch gemischt. „Wenn wir in der ersten Halbzeit in Führung gehen, gewinnen wir hier auch“, sagte Trainer Lienen in seiner treffenden Analyse. „Doch wir haben es eben versäumt, unsere Überlegenheit zu ein, zwei Treffern zu nutzen.“ Tatsächlich bestand im ersten Spielabschnitt zwischen dem Bundesligaabsteiger Paderborn und dem im Mai gerade noch in der Zweiten Liga verbliebenen FC St. Pauli ein klarer Klassenunterschied. Die Hamburger dominierten das Geschehen gegen eine nach sechs Niederlagen in den ersten acht Saisonspielen offensichtlich völlig verunsicherte Paderborner Mannschaft praktisch nach Belieben.
FC St. Pauli verpasst Sieg in Paderborn
Lienen mit leiser Kritik an Maier
Die Überlegenheit war ähnlich klar wie in der ersten Halbzeit des Auswärtsspiels knapp eine Woche zuvor in Braunschweig (ebenfalls 0:0) – allerdings mit dem Unterschied, dass es nicht nur gefährliche Distanzschüsse, sondern noch hochkarätigere Torchancen für die Braun-Weißen gab. Stürmer Lennart Thy tauchte gleich zweimal (13. und 48. Minute) allein vor Paderborns Torwart Lukas Kruse auf und vergab, Jeremy Dudziak strebte ebenfalls allein auf das gegnerische Tor zu (25.) und zögerte so lange mit dem Torschuss, dass ihm der Ball doch noch vom Fuß gespitzelt werden konnte.
Und als der normalerweise so schussstarke Sebastian Maier von der Strafraumgrenze abzog (20.), kam dabei nur ein harmloser Flachschuss heraus. Maier hätte in dieser Szene besser zum rechts völlig frei stehenden Waldemar Sobota abspielen sollen. „Waldi hätte den Torwart noch fragen könne, in welche Ecke er den Ball denn schießen soll“, sagte später Trainer Lienen. Auf der anderen Seite wollte Lienen mit dem 22 Jahre alten Mittelfeldspieler wegen dieser Szene auch nicht zu hart ins Gericht gehen. „Eigentlich sind wir ja froh, dass Basti jetzt auch das Zutrauen hat, selbst zu schießen“, sagte Lienen und dachte dabei an Maiers Siegtor drei Tage zuvor beim 1:0-Heimerfolg gegen Heidenheim. „Da hatte ich noch Angst, er würde nach rechts abspielen, anstatt selbst zu schießen.“
Spieler wirkten zunehmend müder
Trotz des Ärgers über die nicht genutzte Überlegenheit reisten die St. Paulianer nicht völlig unzufrieden aus Paderborn ab. „In der zweiten Halbzeit mussten wir noch zittern“, sagte Lennart Thy und brachte auf den Punkt, dass der Gegner im zweiten Spielabschnitt deutlich entschlossener auftrat und auch gefährlicher wurde. Die Kiezkicker wirkten dagegen zunehmend müder, daran konnten auch die drei Auswechslungen nicht viel ändern.
„Vielleicht hätte ich in diesem dritten Spiel innerhalb von sechs Tagen ein paar mehr frische Spieler in die Startelf stellen sollen“, sagte Trainer Lienen. So hatte er nur Konterstürmer Thy anstelle von John Verhoek, der gegen Heidenheim seine Startelfchance bekommen, aber nicht genutzt hatte, wieder in die erste Elf beordert. „Die englische Woche war anstrengend“, sagte Innenverteidiger Philipp Ziereis.
Immerhin hatte der erneut weitgehend souverän auftretende Abwehrspieler noch Kraft genug, um nach einem Schlag des eingewechselten Paderborner Stürmers Srdjan Lakic (90.) stehen zu bleiben. „Ich habe plötzlich seine Hand oder sogar seinen Ellenbogen im Gesicht gehabt, dabei war der Ball fast 50 Meter entfernt“, sagte Ziereis. Lakic selbst gab wortreich vor, seinen Gegner gar nicht berührt oder „höchstens leicht über den Kopf gestrichen“ zu haben. Jedenfalls wertete Schiedsrichter Harm Osmers die völlig unnötige Aktion abseits des Spielgeschehens als Tätlichkeit und zeigte Lakic Rot. Zuvor hatte sich der Stürmer schon mit Lasse Sobiech angelegt.
Seit 404 Spielminuten ohne Gegentor
Mit solchen Nebensächlichkeiten aber wollten sich die St. Paulianer am Ende ihrer Arbeitswoche nicht aufhalten. „Wir haben innerhalb von sechs Tagen ein Heimspiel gewonnen und auswärts bei zwei namhaften Teams gepunktet“, sagte Robin Himmelmann und lenkte damit den Blick auf die Bilanz der jüngsten drei Partien. Mit einem einzigen Tor haben die Kiezkicker aus diesen Spielen fünf Punkte erzielt – effektiver geht es nicht. Grundlage dafür ist die weiterhin stabile Defensive, die nun schon seit 404 Spielminuten keinen Gegentreffer mehr zugelassen hat.
Mit dem Punktgewinn von Paderborn hat St. Pauli den dritten Tabellenplatz verteidigt. Die aus St.-Pauli-Sicht wichtigste Erkenntnis ist allerdings, dass der Vorsprung auf den Abstiegsrelegationsplatz 16, der von Fortuna Düsseldorf eingenommen wird, nun bereits zwölf Punkte beträgt. „Wir wissen, woher wir kommen“, sagte Mittelfeldspieler Christopher Buchtmann. Derweil wollte Lienen die Tabellensituation nicht weiter kommentieren. Erst nach zehn Spielen wolle er einmal auf das Liga-Ranking schauen. Nach dem nächsten Heimspiel am kommenden Sonnabend (13 Uhr) wäre es dann so weit.