Kaiserslautern. Der Kapitän feiert beim Sieg in Kaiserslautern das perfekte Jubiläum - nur seine Mutter sieht das anders. Koch verpetzt sich selbst.

Man kennt das ja mit den Fußballfloskeln. Wir schauen nur auf uns. Was die anderen machen, interessiert uns nicht. Wir gucken nicht auf die Tabelle. Natürlich nicht. Welcher Fußballer guckt schon auf eine Tabelle? Wie schön ist es da doch, wenn es einen Mann wie Ewald Lienen gibt. Der Trainer des FC St. Pauli machte sich mal kurz verbal bemerkbar, als er seine Spieler dabei erwischte, wie sie auf ihren Handys eben doch auf die Tabelle guckten. Und wie sie die Spiele der Konkurrenten verfolgten. Am Freitagabend war das. Im Hotel. „Macht die Sch.... aus. Ich will das nicht sehen. Wir sind doch nicht im Rechenkurs“, soll Lienen der Legende nach seinen Spielern zugerufen haben.

Vielleicht war es aber auch ganz gut, dass die Hamburger Profis vor dem Spiel beim 1. FC Kaiserslautern doch noch einen Blick auf die Tabelle riskiert haben. Denn so wurde ihnen bewusst, dass nach den Siegen der Konkurrenz im Kampf um den Klassenerhalt ein Dreier auf dem Betzenberg überlebenswichtig war. Auch wenn ein Auswärtssieg vor dem Spiel auf dem Papier als schier unmögliche Mission erschien und die Lage „im Grunde aussichtslos“ war, wie Lienen mit leichter Ironie bemerkte. Es traf die beste Heimmannschaft auf die schwächste Auswärtself, St. Pauli hatte von 14 Spielen auf dem „Betze“ nur eins gewonnen, der FCK hätte mit einem Unentschieden einen Rekord von 22 Heimspielen in Serie ohne Niederlage aufstellen können. Hätte, hätte, Viererkette. Der 2:0 (0:0)-Sieg des FC St. Pauli in der Pfalz zeigte mal wieder, dass Statistiken im Fußball nur selten die Wahrheit erzählen. 22:6 Torschüsse für den FCK standen nach dem Spiel auf dem Auswertungsbogen. Getroffen hatten aber nur die Hamburger.

Koch verpetzt sich selbst

„Wir sind selbst schuld. Wir hatten so gute Chancen, jetzt wird es eng“, sagte der vom HSV an Lautern ausgeliehene Kerem Demirbay, der den zweiten Tabellenplatz mit seiner Mannschaft an diesem Montag an den Karlsruher SC oder Darmstadt 98 verlieren wird. Für St. Pauli ging es dagegen wieder raus aus der Abstiegszone auf Platz 15. „Beim Blick auf die Tabelle war der Sieg natürlich Gold wert“, sagte Julian Koch und verpetzte sich damit selbst. Er hatte auf die Tabelle geguckt. Aber das konnte ihm an diesem Tag nicht mal Trainer Lienen verübeln.

Es war ein Tag, den vor allem ein Spieler so schnell nicht vergessen wird: Jan-Philipp Kalla. Wenige Tage nach seiner Vertragsverlängerung machte „Schnecke“ sein 100. Zweitligaspiel an dem Ort, an dem er fast auf den Tag genau vor sieben Jahren sein Profidebüt für St. Pauli gegeben hatte. Er trug die Kapitänsbinde des gesperrten Sören Gonther und brachte seine Mannschaft kurz nach der Halbzeit mit einem Linksschuss auf die Siegerstraße (47.). „Es gibt sicher schlimmere Wochen“, sagte Kalla am Tag danach mit seinem trockenen hamburgischen Humor.

St. Pauli beim 1. FC Kaiserslautern

Jan-Philipp Kalla jubelt nach seinem Führungstreffer
Jan-Philipp Kalla jubelt nach seinem Führungstreffer © WITTERS | ThorstenWagner
Marcel Halstenberg tritt zum Elfmeter an...
Marcel Halstenberg tritt zum Elfmeter an... © WITTERS | ThorstenWagner
.. und verwandelt sicher
.. und verwandelt sicher © dpa | Uwe Anspach
Halstenberg jubelt
Halstenberg jubelt © dpa | Uwe Anspach
Jan-Philipp Kalla (l.) im Duell mit Lauterns Simon Zoller
Jan-Philipp Kalla (l.) im Duell mit Lauterns Simon Zoller © WITTERS | ThorstenWagner
 Kaiserslauterns Markus Karl (l) kämpft um den Ball mit Jan-Philipp Kalla
Kaiserslauterns Markus Karl (l) kämpft um den Ball mit Jan-Philipp Kalla © dpa | Uwe Anspach
Karim Matmour (Kaiserslautern), Marcel Halstenberg und  Simon Zoller (v.l.) im Dreikampf
Karim Matmour (Kaiserslautern), Marcel Halstenberg und Simon Zoller (v.l.) im Dreikampf © WITTERS | ThorstenWagner
Dennis Daube und Karim Matmour (r.) im Duell
Dennis Daube und Karim Matmour (r.) im Duell © WITTERS | ThorstenWagner
Kaiserslauterns Dominique Heintz (r.) kämpft um den Ball mit Lennart Thy vom St. Pauli
Kaiserslauterns Dominique Heintz (r.) kämpft um den Ball mit Lennart Thy vom St. Pauli © dpa | Uwe Anspach
Lennart Thy und Markus Karl (r.) schenken sich nichts
Lennart Thy und Markus Karl (r.) schenken sich nichts © WITTERS | ThorstenWagner
1/10

Erst um ein Uhr nachts waren Kalla und seine Kollegen nach einer langen Busfahrt in Hamburg angekommen. Auf dem Autorasthof Lohfelden bei Kassel machte die Mannschaft noch eine längere Pause. Es gab Spargel und Kartoffeln. Schlafen konnte Kalla nach der achstündigen Reise trotzdem kaum. Zu emotional waren die Erlebnisse von Kaiserslautern. Zunächst hatte sich St. Pauli nach einer äußerst einseitigen ersten Halbzeit mit Mühe in die Pause gerettet. Doch im zweiten Durchgang schlugen die Hamburger „eiskalt zu“, wie es Mittelfeldmann Marc Rzatkowski formulierte.

Halstenberg war vor Elfer „etwas nervös“

Nur sieben Minuten nach der Führung bekam St. Pauli nach einem Foul von Willi Orban an Christopher Buchtmann einen Elfmeter zugesprochen. Marcel Halstenberg verwandelte in der Tat eiskalt (55.). „Der Trainer hat mich vor dem Spiel dafür eingeteilt. Ich war etwas nervös und habe mir fest vorgenommen, in die Mitte zu schießen“, sagte der Torschütze, der sein zweites Saisontor erzielte. Schon im Hinspiel hatte er gegen Kaiserslautern beim 1:3 den Treffer für St. Pauli erzielt. In der letzten halben Stunde verteidigten die Hamburger dann mit „allen Mitteln, die ihnen zur Verfügung standen“, sagte FCK-Trainer Kosta Runjaic. „Wir haben alles reingedonnert. So muss man am Betzenberg spielen“, meinte St. Paulis Sportchef Thomas Meggle. Trotzdem kam Kaiserslautern noch zu mehreren Möglichkeiten, doch irgendein Hamburger Körperteil war immer im Weg. „Es war wichtig, dass wir zu diesem Zeitpunkt 2:0 geführt haben, sonst hätte ich bei jedem Angriff des FCK einen Nervenzusammenbruch bekommen“, sagte Lienen. Nachdem Robin Himmelmann sieben Minuten vor Schluss eine Lauterer Doppelchance vereitelte, war sich Lienen sicher, das Spiel gewinnen zu können.

Kallas Mutter war von ihrem Sohn enttäuscht

Als das Unmögliche schließlich möglich gemacht wurde, bedankte sich Lienen auch bei seinem Kapitän. „Schneckes Kampfkraft ist ansteckend. Er hat einen unbändigen Willen“, sagte St. Paulis Trainer. Nur eine war mit dem Auftritt des Torschützen nicht ganz zufrieden. „Ich bin ein bisschen enttäuscht. Hätte einen Fallrückzieher erwartet“, schrieb Kallas Mutter Eva bei Facebook mit einem Augenzwinkern. Ihr Sohn entschuldigte sich dann auch am Muttertag mit einem Anruf. „Sie wird noch ein paar Kleinigkeiten bekommen“, sagte Kalla und grinste.

Nur eines wollte er am Sonntag nicht. Fußballgucken. Auch nicht auf die Tabelle. Ein weiteres Lob von Lienen ist Kalla damit wohl sicher.