Ewald Lienen tobte, Thomas Meggle schäumte, die Spieler wüteten: Als Schuldigen für die Niederlage gegen Fürth hatten die Verantwortlichen des FC St. Pauli schnell Schiedsrichter Martin Petersen ausgemacht.

Hamburg. Den Kampf gegen seine ständig rutschende Lesebrille hatte Ewald Lienen irgendwann an diesem trostlosen Abend gewonnen. Im Ringen um den Klassenerhalt des FC St. Pauli jedoch steht dem dünnhäutigen Trainer eine weitaus schwerere Aufgabe bevor. Besonders wenn er, wie bei der 0:1 (0:1)-Heimniederlage gegen die SpVgg Greuther Fürth, die Hauptschuld für die sportliche Misere beim Tabellenletzten auch in Zukunft in erster Linie bei den Unparteiischen sucht. Aber statt seine Spieler für ihren fußballerischen armseligen Auftritt am Millerntor anzuzählen, machte der Coach zuallererst das Schiedsrichter-Team für die sechste Heimniederlage der Hamburger verantwortlich.

„Es war ungeheuerlich, was hier abgelaufen ist. Wir wurden da im eigenen Stadion mit einer Arroganz vorgeführt, das habe ich selten erlebt“, giftete der 61-Jährige vor den TV-Kameras speziell gegen den Stuttgarter Schiedsrichter Martin Petersen. Lienen geriet vor allem wegen einer Szene in der 16. Minute in Rage. Zunächst hatte Petersen bei einem Handspiel des Fürthers Benedikt Röcker im Strafraum auf Elfmeter entschieden. Nach Rücksprache mit seinem Assistenten Arno Blos nahm er die Entscheidung zur Überraschung der 22.383 Zuschauer im Millerntorstadion zurück. Blos hatte ein unabsichtliches Handspiel gesehen. „Die Elfmeter-Szene ist Wahnsinn. Dass ein Linienrichter das entscheidet, wo kommen wir denn dahin“, ärgerte sich auch St. Paulis Sportdirektor Thomas Meggle.

„Die Grenzen der Fairness sind hier überschritten worden. Die Fürther haben zehn Spieler in ihren Reihen, die 1,95 Meter groß sind, und die liegen bei jedem Zweikampf auf dem Boden. Und der Schiri pfeift das auch noch. Ich bin selten von einem Schiedsrichter im eigenen Stadion so vorgeführt worden“, sagte Lienen direkt nach der Partie. Auch Lienens Spieler übten massive Kritik. „Wir sind total verpfiffen worden. Wir geben echt alles für den Verein – und dann so etwas“, zürnte Kapitän Sören Gonther. Sportdirektor Thomas Meggle legte verärgert nach: „Da hat der Schiedsrichter leider massiv ins Spiel eingegriffen, ein bitterer Abend für uns.“ Und eine hochgefährliche Situation.

St. Pauli blieb vieles schuldig

Abgesehen von der umstrittenen Entscheidung blieben die Hanseaten aber äußerst blass. Besonders im Sturm fehlten die Ideen. So beklagte Sportchef Meggle die katastrophale Chancenverwertung: „Offenbar ist es ein Mix aus wenig Vertrauen und Pech.“ Lienens Bilanz ließt sich seit seinem Amtsantritt am 16. Dezember demzufolge äußerst mager: Aus vier Spielen unter seiner Regie holten die Kiezkicker einen Sieg, ein Remis sowie zwei Niederlagen. Nach der neuerlichen Heimpleite ist der erste Nicht-Abstiegsplatz für die Norddeutschen bereits drei Punkte und acht Tore entfernt.

Hier geht‘s zur Einzelkritik

In der Pressekonferenz trat Lienen schon etwas gefasster auf. „Ich verstehe den Schiedsrichter nicht. Er hat klare Sicht auf die Situation, entscheidet auf Strafstoß, lässt sich aber dann vom Linienrichter umstimmen. Bekommen wir den Elfmeter und gehen mit 1:0 in Führung, sehen wir ein ganz anderes Spiel“, sagte Lienen zur ausgemachten Schlüsselszene. Das Tor des Tages erzielte so Fürths Kacper Przybylko (27.). „Ich bin mit der Leistung meiner Truppe in der zweiten Halbzeit zufrieden. Ich denke, dass wir mindestens einen Punkt verdient hätten“, befand Lienen.

Pyro-Show auf dem Bunker

In den kommenden beiden Partien gegen die Mitkonkurrenten 1860 München und Erzgebirge Aue könnte schon eine Vorentscheidung darüber fallen, ob der Traditionsklub nach acht Jahren in Liga eins oder zwei zurück in die Drittklassigkeit stürzt. Kapitän Sören Gonther schien den Ernst der Lage jedenfalls erkannt zu haben: „Wir werden in München alles raushauen.“ Das taten übrigens auch die Fans der Braun-Weißen: Vor dem Spiel begrüßten einige von ihnen die Fürther mit einer Pyro-Show vom Feldstraßenbunker aus in der „Hölle von St. Pauli“. Da ahnte noch niemand, dass sich letztlich das Heimteam in der Schiedsrichterhölle schmoren sah.

Und so geht auf St. Pauli jetzt geht die Angst vor einem weiteren Horrorszenario um: Im Juli ist das Stadion mit der neuen Nordtribüne fertiggestellt, und die Mannschaft ist dann schon in der Dritten Liga angekommen. 13 Spieltage vor Saisonende sind es für den Tabellenletzten mit 17 Punkten drei Zähler Rückstand auf einen Nichtabstiegsplatz. Der Druck vor dem Abstiegsduell beim TSV 1860 München am Sonnabend (13 Uhr, im Liveticker auf abendblatt.de) könnte nicht größer sein.

Statistik

St. Pauli: Himmelmann – Schachten, Sobiech, Gonther, Halstenberg – Koch, Daube (69. Nöthe) – Sobota, Thy (87. Maier), Rzatkowski – Verhoek (78. Budimir). – Trainer: Lienen

Fürth: Hesl – Korcsmar, Thesker, Benedikt Röcker, Schröck – Fürstner, Caligiuri – Przybylko, Wurtz (90.+1 Philp) – Freis (81. Gießelmann), Zulj (87. Sukalo). – Trainer: Kramer

Schiedsrichter: Martin Petersen (Stuttgart)

Tor: 0:1 Przybylko (27.)

Zuschauer: 23.383

Gelbe Karten: Koch, Sobiech (7) – Sukalo (5)