Der Trainer des abstiegsbedrohten FC St. Pauli setzt mit mutigen Entscheidungen wie dem Torwartwechsel Akzente. Doch der Abstand zum rettenden Ufer wird immer größer.
Hamburg. Die Entscheidung reifte bei Thomas Meggle in der Stunde nach dem 3:3 seines Teams am Freitagabend beim VfL Bochum. Nach einigem Überlegen und Abwägen gab der Trainer des FC St. Pauli seinen Spielern für Sonnabend und Sonntag komplett frei. Selbst das sonst nach Punktspielen obligatorische, gemeinsame Auslaufen am nächsten Vormittag sagte er ab.
Auch wenn es zwar wieder nicht zum ersten Auswärtssieg der Saison gereicht hatte und St. Pauli als jetzt Tabellen-17. weiter auf einem direkten Abstiegsplatz steht, hatte diese „Belohnung“ des Trainers für seine Spieler durchaus seine Berechtigung. Auch mit einem gewissen Abstand ohne die emotionale Aufgewühltheit unmittelbar nach dem dramatischen Spielverlauf mit drei Führungstreffern der St. Paulianer und den jeweils folgenden Ausgleichstoren der Bochumer kann der Auftritt als positiver Entwicklungsschritt des abstiegsbedrohten Millerntor-Teams angesehen werden.
In der Mannschaft war diesmal über die gesamte Spielzeit Leidenschaft zu erkennen, der Wille, offensive und defensive Zweikämpfe für sich zu entscheiden, aber auch das Zutrauen, mutige Angriffe vorzutragen. Und selbst die in dieser Spielzeit so oft zu Recht gescholtene Abwehrarbeit funktionierte so lange gut, wie die Viererabwehrkette in ihrer Startformation spielen konnte, ehe Kapitän Sören Gonther in der Halbzeitpause verletzt ausschied. Die erste Halbzeit von Bochum kann – abgesehen vom recht unglücklichen Eigentor von Philipp Ziereis zum 1:1-Ausgleich – als Vorlage dafür dienen, wie die Mannschaft des FC St. Pauli auch künftig spielen muss – ganz gleich ob auswärts oder im eigenen Stadion –, um den Kampf um den Klassenverbleib am Ende erfolgreich zu gestalten.
Rund drei Monate nach der Amtsübernahme als Trainer scheint es Thomas Meggle zu gelingen, dem Zweitligateam des FC St. Pauli seine eigene Handschrift aufdrücken zu können. Dies hängt nicht zuletzt damit zusammen, dass er inzwischen bei seinen Entscheidungen den Mut hat, sich allein von seinen Überzeugungen leiten zu lassen und keine Rücksicht mehr auf irgendwelche Befindlichkeiten anderer nimmt.
Meggle rechtfertigt Torwartwechsel
Musterbeispiel dafür war sein zu diesem Zeitpunkt unerwarteter Entschluss, einen Wechsel auf der Torwartposition zu vollziehen. Anstelle von Philipp Tschauner, 29, schenkte er Robin Himmelmann, 25, das Vertrauen. Der wie Weltmeister Manuel Neuer beim FC Schalke 04 ausgebildete, allerdings im Profifußball noch unerfahrene Himmelmann (vor Freitag 110 Spielminuten in der Zweiten Liga) ist fußballerisch versierter als St. Paulis bisher unumstrittene Nummer eins. „Bei eigenem Ballbesitz ist Robin der elfte Feldspieler“, hatte St. Paulis Torwarttrainer Mathias Hain bereits vor knapp einem Jahr über Himmelmann gesagt. Dennoch hatte bis jetzt kein St.-Pauli-Cheftrainer einen Anlass gesehen, den seit Sommer 2011 als ersten Keeper gesetzten Tschauner infrage zu stellen.
Trainer Meggle war jetzt clever genug, den Torwartwechsel diplomatisch zu kommentieren: „Wir haben drei Torhüter (inklusive Philipp Heerwagen, d. Red.) mit einem richtig guten Niveau. Es war eine sportliche Entscheidung, aber keine gegen Philipp Tschauner, sondern für Robin Himmelmann. Dieser Entschluss ist nicht kurzfristig gefallen. Wir betrachten als Trainerteam Zeiträume. Robin hat seit Wochen sehr gut trainiert.“
Gleichzeitig stellte Meggle klar, dass Himmelmann erst einmal sein Vertrauen genießt: „Wir werden hier nicht von Woche zu Woche etwas ändern.“ Von außen betrachtet schienen sich auch St. Paulis Feldspieler damit wohlzufühlen, Himmelmann im Tor zu wissen. An den drei Gegentoren war er machtlos.
Thomas Meggles Handschrift wurde zudem deutlich in seiner Entscheidung, trotz des Ausfalls von sieben Profis die beiden erstligaerfahrenen Tom Trybull und Bernd Nehrig nicht einmal für den 18-Spieler-Kader zu nominieren. „Wir hatten ja mit Andrej Startsev einen Außenverteidiger und mit Okan Kurt einen defensiven Mittelfeldspieler auf der Ersatzbank“, sagte Meggle zur Begründung. Die beiden 19 Jahre (Kurt) und 20 Jahre (Startsev) alten Talente aus dem eigenen Nachwuchs stehen also bei Meggle höher im Kurs als die im Sommer 2013 (Nehrig) und Januar 2014 (Trybull) als Stammkräfte geholten Spieler. Es liegt auf der Hand, dass diese beiden die ersten Kandidaten sind, an die Sportchef Rachid Azzouzi denkt, wenn er von einer „Verschlankung“ des Kaders in der Winterpause spricht.