Die ausgebooteten Präsidiumsmitglieder des FC St. Pauli ziehen Bilanz ihrer Amtszeit und rechnen zwei Wochen vor der Jahreshauptversammlung mit dem Kontrollgremium ab, das sich für den Musikunternehmer Oke Göttlich und sein Team als Nachfolger ausgesprochen hat.

Hamburg Eine Aufforderung, ihre persönlichen Dinge aus der Geschäftsstelle mitzunehmen, haben sie schon erhalten. Auf der Jahreshauptversammlung des FC St. Pauli am 16. November im CCH endet die Amtszeit des Präsidenten Stefan Orth sowie die der vier Vizepräsidenten Bernd Georg Spies, Tjark Woydt, Gernot Stenger und Jens Duve. Der Aufsichtsrat hat keinen von ihnen zur Wiederwahl vorgeschlagen, vielmehr sollen künftig Oke Göttlich, 39, und sein Team den Kiezclub führen. Zuvor nahmen sich die noch amtierenden Präsidiumsmitglieder Zeit zu einem großen Interview mit dem Abendblatt und redeten Klartext zu den brisanten Themen.

Hamburger Abendblatt: Welches war, ganz persönlich betrachtet, Ihr intensivstes oder emotionalstes Erlebnis während Ihrer Amtszeit im Präsidium des FC St. Pauli?

Jens Duve: Für mich war das – ganz spontan gesagt – das erste Spiel mit der neuen Gegengeraden. Da war aus meiner Sicht das Stadion fast fertig. Da wurde bei mir die ganze Masse, die man hier durch die ganzen Aktionen bewegt hat, noch einmal präsent.

Stefan Orth: Auch ganz spontan: 11. Februar 2011, 1:0-Sieg beim HSV.

Tjark Woydt: Für mich war es die erste Begegnung mit dem Ständigen Fanausschuss, damals noch im Fanladen in der Brigittenstraße. Das war ein intensives Erlebnis und zeigte mir, dass für mich eine neue Zeit beginnt. Ansonsten natürlich auch die großartige Verabschiedung der Fans von Holger Stanislawski nach dem 1:8 gegen Bayern München.

Bernd-Georg Spies: Das Ausgleichstor von Deniz Naki beim Spiel in Fürth am 2. Mai. Am Ende gewannen wir trotz der frühen Verletzung von Torwart Mathias Hain mit 4:1 und waren damit in die Bundesliga aufgestiegen. Das zweite Erlebnis, das mir emotional sehr nahe gegangen ist, war der Abwahlantrag gegen Gernot Stenger vor zwei Jahren. Die Begleitumstände und die Gespräche, die man in dieser Phase führen musste, haben mich sehr nachdenklich gemacht.

Gernot Stenger: Ich fand unseren ersten St.-Pauli-Kongress ausgesprochen zukunftsweisend. Persönlich nahe gegangen ist mir 2008 die Feier zum 75-jährigen Jubiläum der Rugby-Abteilung in der Südtribüne mit den Gästen aus Israel.

Welches sind für Sie die wichtigsten Meilensteine und Erfolge, die dieses Präsidium erreicht hat?

Spies: Wir fünf haben ja unterschiedliche Amtszeiten. Als ich 2007 dazu kam, war das gesamte Vereinskonstrukt extrem wackelig. Präsident Corny Littmann und seine Mitstreiter hatten damals einen wegweisenden, aber auch sehr mutigen Beschluss gefasst, nämlich die Südtribüne zu bauen. Von vielen wurde dieser Beschluss für hirnrissig erklärt. Wir hatten damals einen Lizenzspieleretat von 2,5 Millionen Euro bei einem Gesamtetat von sechs Millionen Euro. Wir waren keine gute Adresse in Hamburg. Die Banken haben uns im Hintereingang abgefertigt. Wenn man anschaut, was seitdem passiert ist – das Stadion ist ein Schmuckkästchen geworden, das Trainingszentrum an der Kollaustraße ist fertig –, dann ist das nahezu unglaublich. Und das Ganze bei großer wirtschaftlicher Solidität. Heute sind wir eine gute Adresse in Hamburg. Dazu haben wir die Seele des Clubs nicht nur bewahrt sondern auch weiterentwickelt.

Orth: Vor acht Jahren, als ich ins Präsidium kam, mussten wir erst einmal eine neue Diskussionskultur im Verein schaffen. Wir mussten mal wieder miteinander reden, um Vertrauen in den einzelnen Gremien und Abteilungen zu gewinnen und dieses dann auch nach außen tragen. Wirtschaftlicher Erfolg kommt nicht von heute auf morgen, sondern bedarf einer harten, vertrauensvollen und kontinuierlichen Arbeit.

Woydt: Für mich hat die Fan-Anleihe über acht Millionen Euro eine sehr große Bedeutung. Von einigen Fachleuten und Fachmedien sind wir ja quasi zerrissen worden für diese Anleihe. Dennoch ist sie durch eine gute Vorarbeit in den Gremien ein großer Erfolg geworden. Ich hatte allerdings nicht einmal davon geträumt, dass wir die Anleihe noch einmal erhöhen konnten. Es hat sich gezeigt, dass wir eine ganz andere Anhängerschaft haben als etwa Hansa Rostock oder Hertha BSC, bei denen zuvor eine Anleihe nicht erfolgreich war. Unsere Fans sind eben bereit, in den Verein zu investieren.

Duve: Wie schon gesagt ist der Neubau des Trainingszentrums an der Kollaustraße ein großer Erfolg unseres gesamten Teams. Dazu kommt der Umbruch der Mannschaft nach der„goldenen Generation“. Ich denke, wir haben eine Mannschaft mit viel Potenzial, auch wenn es sportlich derzeit eine kleine Delle gibt. Und ganz wichtig ist der Nachwuchsbereich. Die ersten Früchte ernten wir jetzt mit den Spielern, die in den vergangenen Wochen ihr Profidebüt gegeben haben. Da wird in den kommenden Jahren noch viel kommen, weil die Strukturen stimmen. Der Verein steht heute ganz anders da, als noch vor sieben oder acht, aber auch als vor vier Jahren, als ich hier begonnen habe.

Orth: Das Trainingszentrum und das Nachwuchsleistungszentrum sind und werden für uns immer immens wichtig sein. Wir müssen alles daran setzen, selbst talentierte Spieler für unsere Profimannschaft zu entwickeln, Nur so können wir überleben und wachsen.

Duve: Dabei wollen wir nicht nur Spieler sondern auch Trainer entwickeln.

Stenger: Ganz wichtig ist für mich, dass wir bei allen Projekten die Mitglieder und Fans mitgenommen haben, insbesondere beim Bau der Gegengerade und der Nordtribüne. Da gab es auch hitzige Diskussionen. Aber es war sensationell, mit welch einem Einsatz und einer Begeisterung die Fans ihre Gegengerade gestaltet haben. Das wird auch bei der Nordtribüne so sein.

Woydt: Es ist bemerkenswert, mit welchem Einsatz sich Gernot mit Themen der Fanszene auseinandergesetzt hat. Dazu gehört auch viel Leidensfähigkeit, die er bewiesen hat. Die Kultur im Umgang miteinander ist gerade durch ihn eine andere geworden.

Sie wären ja mit Ausnahme von Bernd-Georg Spies und Tjark Woydt, der wegen dieses ominösen Alterparagraphen in der Satzung nicht mehr kandidieren darf, gern für eine weitere Amtszeit angetreten. Was wären Ihre nächsten Projekte gewesen?

Orth: Auf jeden Fall hätten wir eine Lösung für Tjark gesucht, ihn weiter einzubinden, weil er eine große Kompetenz auf der Finanzebene besitzt.

Duve: Der Neubau der Nordtribüne und der externen Stadionwache sowie der weitere Ausbau des Nachwuchsleistungszentrums wären die nächsten Projekte.

Orth: Dazu kommt das Museum in der Gegengerade. Wir haben hier durch die Auslagerung der Polizeiwache fast 700 Quadratmeter Raum geschaffen zur Nutzung durch den eigenen Verein in den nächsten 30 Jahren. Das gilt es jetzt umzusetzen. An der Kollaustraße haben wir nach intensiver Verhandlung die Möglichkeit, ein 40.000 Quadratmeter großes, neues Nachwuchsleistungszentrum zu bauen. Außerdem stehen wir kurz davor, einen wirtschaftlichen Partner dafür präsenttieren zu können.

Stenger: Hinzu kommt das Thema der Merchandisingrechte. Per Stand heute liegen sie wieder beim Verein. Das Verfahren vor dem Bundesgerichtshof läuft ja noch. Aber im Moment liegen die Vorteile bei uns. Für die nahe Zukunft wäre das ein ganz gewichtiges Pfund, mit dem wir wuchern könnten.

Orth: Wirtschaftlich geht es hier um einen höheren Millionenbetrag. Wichtig ist für uns, dass die Rechte künftig in Vereinshand bleiben und dass man sie niemals mehr an eine Agentur gibt und man damit fremdbestimmt ist.

Woydt: Zur externen Polizeiwache muss man noch sagen, dass wir hier einstimmig der Meinung waren, dass man sie bauen muss, obwohl es ökonomisch schwierig vertretbar ist. Wir haben hier etwas getan für den Verein und dabei einen politischen Aspekt vor einen wirtschaftlichen Aspekt gestellt. Das kostet uns eine ganze Menge mehr.

Stenger: An diesem Thema haben wir gemeinsam mit allen Kräften gearbeitet. Wir konnten an allen Stellen vorsprechen, auch weil Bernd Spies in der Stadt so gut vernetzt ist. Man legt den Hörer nicht mehr beiseite, wenn einer von uns anruft.

Wie hoch sind denn die Mehrkosten konkret?

Woydt: Hundertprozentig wissen wir es immer noch nicht, weil die Kosten für die Polizeiwache noch nicht endgültig feststehen. Es ist aber auf jeden Fall eine sehr herausfordernde finanzielle Anstrengung.

Dieses Präsidium besteht ja aus fünf Personen, die von ihrem Wesen und vor ihrer Herkunft sehr unterschiedlich sind. Wo lagen die Stärken und die Schwächen?

Orth: Unsere große Stärke liegt im Teamgeist und immensen Sachverstand. Wir haben mit großem zeitlichen und persönlichen Aufwand ehrenamtlich gearbeitet. Das ist mit Geld nicht zu bezahlen.

Spies: Wir haben hier innerhalb des Präsidiums auch immer sehr robust und ehrlich miteinander diskutiert und sind dann geschlossen nach außen aufgetreten. Das war ja historisch gesehen auch mal anders. Man konnte bei jedem von uns anrufen, und jeder hat dann dieselbe Meinung vertreten. Ich finde, eine Schwäche von uns war, dass wir viele gute Sachen gemacht haben, aber zu wenig darüber geredet haben. Wir waren fast bescheiden und sind nicht alle zwei Wochen mit einer Pressekonferenz an die Öffentlichkeit gegangen. Wir haben ja auch in der Vermarktung vieles erreicht, obwohl die Voraussetzungen schwierig sind.

Wie meinen Sie das?

Spies: Es tut sich im deutschen Profifußball eine riesige Schere auf zwischen den mega-erfolgreichen Clubs wie Bayern München und Borussia Dortmund sowie denjenigen, hinter den große Unternehmen wie rote Brause, Auto- oder Chemiewerken und den anderen. Die Kluft wird immer größer. Die Vermarktung wird für einen Club wie unseren immer schwieriger. Ich finde, dass wir in diesem Punkt eine gute Balance gehalten haben zwischen den wirtschaftlichen Notwendigkeiten eines Proficlubs und der Maßgabe, nicht die Seele des Clubs zu verkaufen. Dies wird in Zukunft noch schwieriger werden. Nur auf eine alternative Vermarktung zu setzen, wird schwer werden, denn Rechnungen müssen bezahlt werden und die Banken wollen ihre Annuitäten bedient haben. Das ist wie im Eiskunstlauf. Es gibt Kür und Pflicht. Und zunächst einmal kommt die Pflicht.

Woydt: Das Wechselspiel unserer Unterschiedlichkeit hat sehr oft zu Kreativität geführt. Jeder hat die die Eigenheiten des anderen akzeptiert.

Stenger: Entscheidend aber war, dass es keine Eifersüchteleien untereinander gab. Alle Präsidiumssitzungen waren geprägt durch den Willen, etwas für den Verein zu tun.

Seit der Entscheidung des Aufsichtsrates, dieses Präsidium nicht wieder für die Wahl zu nominieren sondern stattdessen Oke Göttlich als Präsidenten vorzuschlagen, ist jetzt einige Zeit vergangen. Haben Sie seither irgendwelche konkreteren Erkenntnisse gewonnen, warum sich der Aufsichtsrat so entschieden hat. Die öffentlich genannten Gründe wirkten ja ein wenig hergesucht und schwammig.

Duve: Ich bin persönlich wirklich vom Aufsichtsrat enttäuscht. Ich habe die Entscheidung nur von Stefan Orth gehört und die Gründe in der Zeitung gelesen. Doch mit mir hat kein einziges Mitglied des Aufsichtsrates persönlich gesprochen und mir konkret gesagt, welches die Gründe sind. Das finde ich, nach vielen Jahren der Zusammenarbeit, wirklich enttäuschend, gerade weil wir die Kommunikation in diesem Verein groß geschrieben haben.

Orth: Ich habe bis heute keine richtige Begründung erfahren. Die Begründung, die man mir genannt hat war: Sieben, acht Jahre waren jetzt Kaufleute an der Macht. Danke für die vollen Kassen, danke für die erledigten Infrastrukturprojekte. Aber jetzt wollen wir ein „linksalternatives, kreatives Fan-Präsidium und keine Unternehmer mehr“ haben. Diese Worte werde ich nie vergessen. Und so ein Präsidium seien wir halte nicht.

Der Aufsichtsrat hat dies öffentlich nicht erklärt, dafür aber, dass er einem anderen Präsidium die Bewältigung der künftigen strategischen Herausforderungen eher zutrauen würde.

Orth: Dabei hatten wir im April noch ein Strategiemeeting mit dem Aufsichtsrat. Da haben wir einen Zehn-Jahres-Plan vorgelegt, der mit Begeisterung aufgenommen wurde.

Woydt: Es war überhaupt eine harmonische, produktive und emotionslose Sitzung mit dem Aufsichtsrat.

Orth: Wir konnten da ja auch eine erfolgreiche Zukunft aufzeichnen. Es wurde danke gesagt und es gab keine kritischen Anmerkungen oder andere Vorstellungen.

Öffentlich hieß es ja auch, dieses Präsidium sei nicht ausreichend vorbereitet auf mögliche Ausgliederungsansinnen der DFL.

Spies: Ich war bei allen Versammlungen der DFL in den vergangenen zwei, drei Jahren und kann mich an kein Ausgliederungsansinnen seitens der DFL-Führung erinnern.

Woydt: Das wird es auch nicht geben.

Spies: Aber als wir bei der besagten Klausurtagung ventiliert haben, ob wir mal über dieses Thema reden sollen, wurde dies vom Aufsichtsrat sogar abgelehnt.

Stenger: Noch konkreter: Ich habe damals das Modell des 1. FC Nürnberg angesprochen, der sehr geschickt die Fußball-Profiabteilung im e. V. belassen uns alles andere ausgegliedert hat. Wir haben das auf dieser Strategiesitzung kurz angesprochen. Da hieß es dann aber: darüber diskutieren wir noch nicht einmal.

Stichwort „linksalternatives Präsidium“. Wie politisch sollte oder muss der FC St. Pauli sein, und wenn ja, in welcher Hinsicht?

Orth: Wir sind in erster Linie ein Sportverein und auch ein Wirtschaftsunternehmen, das auch eine große soziale Verantwortung im Stadtteil hat. Aber der FC St. Pauli ist kein Politbüro.

Stenger: Wir haben eine große Fanszene mit vielen bunten Gruppierungen. Das berücksichtigen wir und beziehen dies in die Entscheidungen mit ein. Wir müssen sehen, was da politisch läuft. Aber wir bleiben ein Sportverein.

Der FC St. Pauli macht ja gleichwohl politische Aussagen, wie zum Beispiel das klare Bekenntnis gegen Homophobie mit der Regenbogenflagge auf der Südtribüne des Millerntor-Stadions.

Spies: Unser Club hat sich ja schon dadurch ausgezeichnet, dass er mit der Lebenslüge im deutschen Fußball aufgeräumt hat, dass Sport unpolitisch sei. Das ist der Sport nicht. Er ist ein Teil des gesellschaftlichen Handels und der gesellschaftlichen Entwicklung. Der FC St. Pauli ist ein Sportverein mit gesellschaftlich geschärften Antennen. Deshalb sind Aussagen gegen Homophobie und Rechtsradikalismus völlig richtig und vereinbar. Aber der Club ist keine politische Partei mit angeschlossener Sportabteilung.

Welchen Platz kann der FC St. Pauli überhaupt mittelfristig im Gefüge des deutschen Profifußballs einnehmen, gerade auch angesichts der größer werdenden Zahl von Clubs, die von Konzernen getragen werden.

Stenger: Wir müssen die möglichen Vorbilder analysieren und schauen, was sie gut und richtig machen. Da sticht der SC Freiburg heraus. Dort ziehen viele Leute an einem Strang, offenbar auch ohne Grabenkämpfe im Verein. Und es herrscht Kontinuität in der Führung. Dazu kommt die exzellente Nachwuchsarbeit. Diesen Verein sollten wir uns noch mehr zum Vorbild nehmen.

Woydt: Die Grenzen sind uns gesetzt durch die finanziellen Möglichkeiten. Und wenn man sieht, was bei unserem Nachbarverein läuft, wissen wir noch mehr, was wir nicht wollen. Wir wollen uns immer breit aufstellen und uns nicht von einem Sponsor oder einem Geldgeber abhängig machen. Ich gehe davon aus, dass auch das neue Präsidium so denkt.

Orth: Wir wollen niemanden, der sich aufgrund von finanzieller Unterstützung einmischt.

Es wird mittlerweile oft darüber diskutiert, ob der FC St. Pauli überhaupt noch ein anderer Verein ist oder nicht doch schon zu einem Proficlub wie jeder andere geworden ist. Welche Argumente haben Sie für die erste These?

Stenger: Der FC St. Pauli ist immer noch sehr viel dichter an den Fans als viele andere Vereine. Wer meint, wir seien so wie alle anderen auch, der soll mal an einem Wochenende ein Heimspiel von uns und eines zum Beispiel von Hannover 96 besuchen. Dort prasselt von Anfang an Beschallung, Berieselung und Werbung auf den Fußball-Fan ein. Alles wird von einem Sponsor präsentiert, jede Gelbe Karte, jedes Tor und so weiter – einfach grauenhaft. Und hier bei uns herrscht in den letzten zehn Minuten vor dem Spiel Ruhe aus den Lautsprechern, und den Fans gehört das Stadion, um selbst Stimmung zu machen.

Spies: Wir hatten vor einiger Zeit BBC-Journalisten hier und sie sahen, wie unsere Spieler vor dem Stadion parkten und mit ihrer Sporttasche in den Kabinentrakt gingen. In England, sagten sie, sei so etwas völlig undenkbar. Diese Nähe macht unseren Club anders.

Woydt: Hinzu kommt das soziale Engagement vor allem durch persönlichen Einsatz der Ehrenamtlichen insbesondere hier im Stadtteil. Das ist nicht in Geld zu messen. Wir haben 500 bis 600 ehrenamtlich tätige Mitglieder, das ist enorm.

Orth: Wir haben Fanräume geschaffen, das hat sonst nur Werder Bremen. Und unsere soziale Plattform Kiezhelden ist etwas ganz Besonderes, um Projekte unter anderem in unserem Stadtteil zu unterstützen. Dass das der richtige Weg ist, zeigen ja auch Zahlen. Als wir vor acht Jahren angefangen haben, hatten wir 5000 Mitglieder, heute sind es knapp 23.000. Die kommen ja nicht einfach so, weil wir hier großen sportlichen Erfolg hätten, sondern weil wir ein großartiger Verein sind.

Stenger: Und schauen Sie sich mal an, dass auf unserer Gegengerade die besten Plätze in der Mitte auch Stehplätze sind. Das gibt es in keinem anderen neu gebauten Stadion. Da sind die Stehplätze irgendwo in den Ecken versteckt.

Kann man auch in Zukunft Ihren Profi-Spielern das St.-Pauli-Gen vermitteln?

Duve: Das sollte immer das Ziel sein. Die älteren Spieler hatten das, weil sie zehn, zwölf Jahre hier waren. Den jüngeren Spielern sollte man die Chance dazu geben. Es geht nicht von jetzt auch gleich. Dies bleibt eine wichtige Aufgabe des Vereins, bei der aber auch Geduld notwendig ist.

Orth: Auch deshalb müssen wir verstärkt auf unseren eigenen Nachwuchs setzen.

Woydt: Jetzt haben wir in dieser Hinsicht auch wieder eine neue Situation durch unseren Cheftrainer Thomas Meggle, der eben nicht erst seit einem Jahr bei uns ist. Er gibt dieses St-Pauli-Gen auf jeden Fall weiter.

Welche Rolle wird der FC St. Pauli in Ihrem künftigen Leben spielen, wenn Sie nicht mehr im Amt sind?

Duve: Der FC St. Pauli bleibt immer in meinem Herzen. Ich werde weiter zu den Spielen gehen, wahrscheinlich etwas lockerer, weil ich dann keine Präsentationstermine mehr am Spieltag habe. Ich würde mich nur freuen, wenn sich die von uns initiierte Entwicklung des Clubs weiter fortsetzt. Die Regionalligaspiele der erfolgreichen U15-Mannschaft schaue ich mir wegen meines Sohnes sowieso an. Ansonsten muss sich niemand Sorgen machen, dass ich nicht genug zu tun hätte.

Stenger: Ich werde im Stadion weiter auf dem Platz sitzen, den ich seit 1995 habe und mindestens genauso laut wie jetzt schreien. Natürlich bleibe ich dem Verein verbunden und verspüre keine Bitterkeit. Meine beiden Jungs spielen Rugby bei St. Pauli, auch dort kann man noch viel tun.

Woydt: Ich werde dem Verein weiter mit meinem Herzen zur Verfügung stehen. Das hat Tradition in unserer Familie. Zu meiner möglichen neuen Aufgabe als Vorsitzender des Hamburger Wirtschaftsrates der CDU, über die ja schon geschrieben wurde, muss ich betonen, dass ich dort zwar vom Landesvorstand einstimmig für dieses Amt vorgeschlagen worden bin, aber am 13. November von den Mitglieder auch noch gewählt werden muss.

Orth: Ich habe seit 1987 eine Dauerkarte und werde weiterhin mit Freude und Begeisterung zu den Spielen gehen. Ich stehe auch gern, wenn es gewünscht ist, mit Rat und Tat zur Seite. Zudem bin ich in Gesprächen, um dem Hamburger Sport und der Politik in Sachen Sport und Infrastruktur zu helfen.

Ihre Firma ist ja bisher auch Sponsor beim FC St. Pauli. Wird sich daran jetzt etwas ändern?

Orth: Meine Firma ist seit 2005 Sponsor. Das mache ich auch gern weiter, wenn es gewünscht ist.

Spies: Ich werde unserem FC St. Pauli weiterhin engstens verbunden bleiben, mir die Spiele anschauen – auch im Nachwuchsbereich – und mich auf meinen spannenden Beruf konzentrieren. In diesem Zusammenhang bleibe ich auch dem Spitzensport verbunden.