Thomas Stickroth, der neue Mentalcoach des FC St. Pauli, erläutert seine Arbeitsweise und berichtet, wie er nach Höhen und Tiefen die Idee zu seinem heutigen Beruf entwickelt hat.

Villach. Eines stellt Thomas Stickroth von vornherein und unmissverständlich klar: „Ich bein kein Motivationskünstler.“ Das sagt der Mann, der seit gut einer Woche als Mentalcoach beim FC St. Pauli beschäftigt ist und noch bis Mittwoch mit der Profimannschaft im Trainingslager in Villach (Österreich) weilt. „Ich lasse die Spieler nicht über Scherben oder glühende Kohlen laufen und ich mache auch keine vollmundigen Versprechungen“, sagt der 49 Jahre alte, frühere Bundesligaprofi weiter. „So etwas ist unseriös.“

Seine Arbeit, so Stickroth, basiere vielmehr darauf, längerfristig und kontinuierlich sowohl mit einzelnen Spielern als auch mit der gesamten Mannschaft zu arbeiten. Derzeit befinde man sich quasi noch in der Phase des gegenseitigen Beschnupperns und des Gewinnens von Vertrauen. „Ich habe hier der Mannschaft meine Arbeitsweise vorgestellt. Aber kein Spieler ist gezwungen, mit mir zu arbeiten. Ich werde auch auf niemanden aktiv zugehen, um ihm zu sagen, dass ihm Coaching gut tun würde. So etwas löst dann immer eher eine Abwehrhaltung aus“, sagt Stickroth. Nur die gemeinsamen Sitzungen mit einem Teamcoaching seien für die Spieler eine Pflichtveranstaltung.

Dies fand erstmals am Sonntagabend statt. Zwischendurch verließen alle Spieler den Sitzungsraum, erarbeiteten sich in Kleingruppen ein Thema und trugen dies dann im Plenum nacheinander vor. „Es waren sehr gute Vorträge“, sagte später der neue Kapitän Sören Gonther und ließ durchblicken, dass die Sitzung ihm und seinen Kollegen durchaus Spaß gemacht hatte.

„Meine Arbeit kann nur dann erfolgreich sein, wenn der einzelne Spieler von sich aus auf mich zukommt und nach einem Coaching fragt. Nur dann ist er auch bereit dazu, sich zu öffnen und gemeinsam etwas zu erarbeiten“, sagt Thomas Stickroth. Am Anfang stehe dann immer eine Selbsteinschätzung des Klienten. „Danach sage ich ihm dann, wie ich ihn sehe“, erläutert Stickroth, der dabei allein seiner Beobachtung und Erfahrung vertraut und deshalb auch keine Beurteilungen anderer Personen einholt. Im Prinzip gehe es darum, die „individuell vorhandenen Fähigkeiten und Fertigkeiten weiter zu entwickeln“, sagt Stickroth, der grundsätzlich nicht von Schwächen sondern von „Entwicklungsfeldern“ spricht. Ein großes Thema sei dabei immer das Selbstvertrauen. „Damit meine ich das Vertrauen des einzelnen in seine eigene Leistungsfähigkeit. Die damit verbundene positive Körpersprache macht den einzelnen Sportler selbst stärker und demonstriert auch dem Gegner die eigene Stärke“, sagt Stickroth.

St. Paulis Sportdirektor Rachid Azzouzi hatte nach der vergangenen Saison gemeinsam mit dem Clubvorstand und dem Trainerteam entschieden, einen Mentaltcoach für das Zweitligateam zu engagieren. „Dies ist ein zusätzliches Angebot, aber im Gesamtgefüge auch nur ein Mosaikstein, um zu einer optimalen Leistung zu kommen“, sagt Azzouzi. „Es geht nicht um Wunderheilung oder so etwas.“

Im Übrigen spielt für Stickroth auch die schwache Heimbilanz in der vergangenen Zweitligasaison mit nur fünf Siegen in den 17 Spielen im Millerntorstadion keine Rolle. „Für mich beginnt die Arbeit jetzt, und deshalb hat die Mannschaft auch keinen Heimkomplex, weil sie in dieser Saison auch noch gar keine Heimspiele hatte“, sagt der Mentalcoach.

Seit rund fünf Jahren ist Thomas Stickroth nun auf selbstständiger Basis als Mentalcoach tätig. Bisher hat er zwischen sieben und 18 Einzelsportler regelmäßig betreut. „Vor rund gut einem Monat habe ich noch gedacht, dass es auch interessant wäre, einmal eine ganze Mannschaft über einen längeren Zeitraum zu begleiten. Insofern kam der Anruf von Rachid Azzouzi gerade recht.“

Nach einem ersten Gespräch unter vier Augen hatte Azzouzi auch noch mit anderen Kandidaten gesprochen. Stickroth aber kristallisierte sich als Favorit heraus. „Bei einem zweiten Termin in Hamburg bin ich dann auch dem Trainerteam und dem Vorstand vorgestellt worden. Danach haben wir uns auch schnell auf den Vertrag geeinigt“, berichtet Stickroth, der nun zunächst in der jetzt beginnenden Saison auf Honorarbasis für den FC St. Pauli arbeiten wird.

„Ich werde in jeder Woche an den drei Haupttrainingstagen vor Ort sein und zunächst auch bei den meisten Spielen“, sagt Stickroth, wobei er auch die Phasen vor und nach den jeweiligen Übungseinheiten in der Mannschaftskabine für sehr wichtig erachtet, um Erkenntnisse über den mentalen Zustand der einzelnen Spieler und des gesamten Teams zu gewinnen.

Der aus Stuttgart stammende Stickroth war selbst 19 Jahre lang als Fußballprofi aktiv, spielte 169 mal in der Ersten und 222 Mal in der Zweiten Bundesliga für Freiburg, Homburg, Uerdingen, Saarbrücken und Bochum. Dazwischen lag ein Gastspiel in Schottland beim FC St. Mirren. Danach war der A-Lizenz-Inhaber Co-Trainer beim Wuppertaler SV, merkte aber bald, dass ihm der Trainerberuf nicht wirklich zusagt. „Ich habe dann einige Fortbildungen absolviert, weil mich das Thema Psychologie und auch Philosophie schon früher interessiert hatte, aber meine Trainer nicht wollten, dass ich studiere. So bin ich in den Beruf hineingekommen“, erzählt Stickroth von seinem Werdegang. Von seinem Wohnort Bochum aus wird er nun regelmäßig nach Hamburg pendeln, um die Spieler des FC St. Pauli mental zu coachen. „Ein Fußballer braucht nicht nur Kopfballstärke sondern auch Kopfstärke“, lautet sein Motto.