Nach nur einem Punkt aus den jüngsten vier Spielen steht nicht nur die Qualität der Spieler, sondern auch von Trainer Vrabec zur Diskussion. Mittelfeldspieler Michael Görlitz kommt aus Frankfurt.
Hamburg Es war ein Satz, der ganz tief aus dem Herzen kam. „Eigentlich müssten uns jetzt die 6000 Fans, die hierher gefahren sind, vom Hof jagen“, sagte Sebastian Schachten nach dem 0:4 des FC St. Pauli beim 1. FC Köln. Der Außenverteidiger des Kiezclubs, von Natur aus ein Kämpfertyp, war zuvor im Kölner Stadion am Zaun zum Gästeblock gewesen, hatte die den Spielern entgegengestreckten Hände abgeklatscht und die trotzigen, unermüdlichen Anfeuerungsrufe der Anhänger vernommen. Von Schmähungen, Beleidigungen oder gar Drohungen, wie es andernorts in sportlichen Krisen einer Profi-Fußballmannschaft üblich ist, war hingegen nichts zu hören.
Die kaum zu erschütternde, immer wieder hoch gelobte Treue und Leidensfähigkeit der St.-Pauli-Fans wird zweifellos von den Profispielern sehr geschätzt. Sie wissen, dass Vorstellungen wie jetzt in Köln, eine Woche zuvor beim 0:3 zu Hause gegen den VfR Aalen und in etlichen anderen Heimspielen dieser Saison, andernorts nicht so klaglos zur Kenntnis genommen werden. Inzwischen stellen sich einige Verantwortliche des FC St. Pauli intern allerdings die Frage, ob diese permanente Wohlfühlatmosphäre unter Umständen kontraproduktiv ist und manch blutleere Vorstellung der Mannschaft in den vergangenen Wochen eher noch begünstigt hat. Womöglich fehlt einem Spieler, der überhaupt keine Angst vor Pfiffen haben muss, der letzte Biss auf dem Spielfeld. „Wenn das so sein sollte, müssen wir dies schleunigst aus der Mannschaft herausbekommen“, sagt Sportdirektor Rachid Azzouzi dazu.
Dies allerdings ist nur einer und sicher nicht der gravierendste Aspekt in der aktuellen, sportlichen Krisensituation des FC St. Pauli. Vielmehr haben offenbar die beiden späten Gegentore in den Spielen gegen Kaiserslautern (2:3) und bei Schlusslicht Cottbus (1:1), die insgesamt drei Punkte kosteten und damit die letzten Aufstiegshoffnungen zunichte machten, viele Spieler mental zusammenbrechen lassen. „Die Spannung ist verloren gegangen und das Selbstvertrauen verschwunden“, hat Azzouzi festgestellt. Das Team ist dabei vom vierten auf den achten Platz zurückgefallen und steht nur noch zwei Ränge höher als zum Abschluss der vergangenen Saison.
In diesen Wochen tritt der Mangel an echten Führungspersönlichkeiten innerhalb des Teams besonders krass zutage. Nur ein gesunder, fitter Kapitän Fabian Boll, der in Köln beim Stand von 0:4 erstmals seit Monaten eingewechselt werden konnte, hätte diese Rolle übernehmen können. „Wir werden für die nächste Saison der Mannschaft das geben, was ihr jetzt fehlt“, sagte Azzouzi am Montag und kündigte damit an, dass einige der geplanten Zugänge Spieler sein sollen, die schon ein paar Jahre Profi-Erfahrung mitbringen. Azzouzi warnt aber auch: „Spielerpersönlichkeiten, an denen sich andere anlehnen können, wachsen nicht auf den Bäumen.“
Kritik an Vrabecs Rochaden
In den Fokus ist mittlerweile auch Trainer Roland Vrabec gerückt, der in den ersten Monaten seiner Amtszeit als Cheftrainer viel Lob dafür einheimste, dass er mit seinem Team unterschiedliche taktische Systeme einstudierte und es auch personell auf den jeweiligen Gegner einstellte. Vor allen Dingen hatte Vrabec mit seinen manchmal auch überraschenden Entscheidungen überwiegend Erfolg, insbesondere in den Auswärtsspielen. Sechsmal ging St. Pauli unter der Führung von Vrabec als Sieger von einem fremden Platz. Dem stehen hingegen nur zwei Heimsiege unter seiner Regie gegenüber.
Die jüngste Negativserie aber mit nur einem Sieg aus den vergangenen acht Partien hat längst Kritiker auf den Plan gerufen. Vrabec wird jetzt vorgehalten, dass er von Spiel zu Spiel zu viel Personal, Positionen und Spielsysteme tauscht und sich deshalb keine echte Stammelf herausbilden und einspielen konnte. In den Fan-Foren wird mittlerweile darüber diskutiert, ob der 40-Jährige der richtige Mann für die kommende Saison ist, oder nicht lieber in der bevorstehenden Sommerpause ein neuer Übungsleiter gesucht werden soll als hektisch nach ein paar Spielen der neuen Spielzeit.
Solche Überlegungen weist Sportdirektor Azzouzi vehement zurück. Er hält es in dieser Situation für falsch, an der Eignung Vrabecs zu zweifeln. Vielmehr nimmt er die Mannschaft in die Pflicht, im letzten Saisonspiel am Sonntag (15.30 Uhr) gegen Erzgebirge Aue eine bessere Leistung zu zeigen: „Es ist wichtig, dass wir mit einem guten Gefühl in die Sommerpause und die neue Saison gehen.“
Dann wird wie erwartet auch Michael Görlitz zum Kader gehören. Der 27 Jahre alte Mittelfeldspieler vom FSV Frankfurt unterschrieb am Montag einen Zweijahresvertrag. Er wechselt ablösefrei ans Millerntor.