Extravergnügen oder moralische Verfehlung? Geschäftsführung und Präsidium sprechen sich gegen Striptease in den Logen des Millerntors aus.
Hamburg. Halbzeitpause beim FC St. Pauli. Die Zuschauer holen sich eine Wurst, stellen sich in die Schlange vor dem Bierstand, gehen zur Toilette - oder schauen Frauen zu, die sich leicht bekleidet an Eisenstangen räkeln. Gibt es nicht? Gibt es doch! Oder besser: gab es doch. Striptease im Millerntor-Stadion! Während man im Innenraum penibel auf die aus anderen Fußball-Arenen bekannte Vermarktungsberieselung verzichtet, wurde bis zuletzt in einer zentralen Loge der obersten Ebene auf der neuen Haupttribüne ein ganz anderer Höhepunkt stimuliert.
"Das Wesentliche beim Sport ist das Spiel der Mannschaften, deshalb soll dieses auch im Vordergrund stehen. Die Atmosphäre wird geprägt durch die Interaktion zwischen Fans und Spielern. Das Rahmenprogramm zeichnet sich durch Sachlichkeit sowie vereins- und stadtteilbezogene Informationen aus." Punkt 14 aus den auf dem Fankongress im Sommer 2009 erarbeiteten und im November desselben Jahres verabschiedeten Leitlinien des FC St. Pauli.
Theorie und Praxis sind nicht deckungsgleich, und die Realität ist in diesem Fall auch nur schwer mit den Vermarktungsrichtlinien zu vereinbaren. Der Vorwurf von sexistischer Werbung steht im Raum, nachdem im Anschluss an das vergangene Heimspiel gegen Wolfsburg Fotos aus dem bewegten Innenleben der Loge an die Öffentlichkeit geraten waren. Es geht um jenes Rahmenprogramm der speziellen Art, das dort auch nach Toren St. Paulis abläuft. Etwa 30 Gäste erfreuten sich in dem Separee an den leicht bekleideten Damen. Eine fast logische Dienstleistung, gehört mit Susis Show Bar doch ein berühmter Amüsierbetrieb vom Kiez zu den Mietern der in die Kritik geratenen Loge. Die Kernfrage: Extravergnügen oder moralische Verfehlung?
Nach Abendblatt-Informationen hat sich der Klub für Letzteres entschieden. Die Mieter wurden nun nachdrücklich auf die Einhaltung der Leitlinien hingewiesen. Was nichts anderes bedeutet, als dass die Damen ihre Kleiderwahl schon bei den letzten beiden Heimspielen gegen den 1. FC Kaiserslautern und den 1. FSV Mainz 05 entsprechend anzupassen haben. Susis Show Bar hat ausgetanzt.
Das gerade erst vor zwei Wochen gewählte Präsidium und die Geschäftsführung kamen zu dieser Lösung, nachdem sowohl von einzelnen Aufsichtsräten als auch aus dem Fanklubsprecherrat, dem Organ aller offiziellen Fanklubs des FC St. Pauli, deutliche Kritik in die Chefetage gedrungen war. Geschäftsführer Michael Meeske war von dem Fangremium sogar schriftlich zu einer Stellungnahme bis zum Wochenende aufgefordert worden. Die Fans fühlten sich verschaukelt, nachdem bereits der Rotwein-Cola-Mix mit dem eindeutig zweideutigen Namen "Kalte Muschi" gegen ihren Willen zum offiziellen Kaltgetränk des FC St. Pauli vermarktet wurde und Bedenken über Striptease in Stadionlogen von höchster Stelle vertrauensvoll zerstreut worden waren. "Wir freuen uns über das Interesse an unseren Separees. Allerdings gilt für alle Aktivitäten am und im Millerntor-Stadion, dass der Sport im Mittelpunkt stehen sollte. Eine Stripshow wird diesem Anspruch nicht gerecht. Insofern wird es so etwas - oder Vergleichbares - im Millerntor-Stadion nicht geben", hieß es in einer am 25. Mai vom Präsidium gezeichneten und dem damaligen Vizepräsidenten Marcus Schulz versandten E-Mail, die die Diskussion über mögliche unerwünschte Begleiterscheinungen eines Mietverhältnisses mit dem Striptease-Klub zunächst beendet hatte. Eingefädelt worden war der Deal noch von dem am 19. Mai zurückgetretenen Präsidenten Cornelius Littmann, der die Kritiker seinerzeit auch auf den Plan rief, als er Susi, die neue Mieterin, mit dem Satz vorstellte: "Bei jedem Tor, das wir machen, zieht sich eins ihrer Mädels aus."
Mit der Entscheidung gegen den Mieter und für Moral und Leitlinien sind Präsidium und Geschäftsführung womöglich gerade noch einer drohenden Auseinandersetzung zuvorgekommen. Das Fanlager befand sich bereits auf den Barrikaden und hätte sich am Sonntag beim Auswärtsspiel in Bremen entsprechend geäußert, der neue Aufsichtsrat hatte das Thema für seine Sitzung am Dienstag ganz oben auf der Agenda. Allerdings wäre es dabei nicht mehr um ein Für oder Wider der Tanzeinlagen gegangen, sondern einzig um die Art, wie man den Missstand gegenüber Präsidium und Geschäftsführung kommunizieren wolle.