Schalkes Trainer Felix Magath braucht heute gegen den FC St. Pauli (20.30 Uhr im Liveticker auf abendblatt.de) ein Erfolgserlebnis.

Gelsenkirchen/Hamburg. Wer Felix Magath, 57, in diesen Tagen das dünne graue Band eines Teebeutels über den Löffel aufrollen sieht, und es gibt wahrscheinlich weltweit niemanden, dem das mit dieser geradezu rituellen Ruhe gelingt, der glaubt einen Mann vor sich sitzen zu sehen, der immer noch alle Fäden in der Hand hält. Nichts anderes sei auch der Fall, sagt Magath. Er lächelt dazu hintergründig wie immer, ein bisschen verschmitzt obendrein und scheint die Interpretationshoheit über diesen Satz seinen Zuhörern überlassen zu wollen. Als er deren Ratlosigkeit bemerkt, sieht sich der Cheftrainer des FC Schalke 04 schließlich zur Klarstellung genötigt: "Es ist schon erstaunlich, wie ruhig es im Verein zugeht, und das angesichts unserer sportlichen Situation."

Der deutsche Vizemeister dümpelt nach dem zehnten Spieltag der neuen Serie weiter am anderen Ende der Tabelle herum, und für das Spiel heute Abend gegen den Hamburger Bundesligaaufsteiger FC St. Pauli (20.30 Uhr, Sky und auf abendblatt.de im Liveticker) gilt mehr denn je der wohl abgedroschendste Imperativ der Sportrhetorik: "Ein Sieg ist Pflicht!" Das stimmt, sagt Magath, "wir müssen endlich anfangen zu gewinnen, sonst geraten wir immer weiter in diese Spirale nach unten, die irgendwann eine solche Eigendynamik erhält, die du dann kaum noch stoppen kannst". Der Druck sei nach fünf Heimspielen ohne Sieg, drei Niederlagen, zwei Remis, bei jedem deutlich zu spüren - "auch bei mir".

Felix Magath ist im Sommer 2009 beim FC Schalke angetreten, um den Verein genau in die andere Richtung zu entwickeln. Bis zu seinem Vertragsende 2013 wollte er mit dem Klub deutscher Meister werden, und mit Platz zwei in der vergangenen Saison schien er diesem Ziel schon ziemlich nah. Dennoch sah er sich nach diesem überraschenden Erfolg zu dem radikalsten sportlichen Umbruch in der Vereinsgeschichte genötigt - von dem der mächtige Schalker Aufsichtsratschef Clemens Tönnies selbst heute noch sagt, der sei alternativlos gewesen, möchte man sich mittelfristig auf den ChampionsLeague-Plätzen eins bis drei etablieren, und das mit einem finanzierbaren Gehaltsgefüge. Dass Änderungen Risiken in sich bergen, große Veränderungen große Risiken, war Magath stets bewusst, und er wäre diese nicht eingegangen, hätte nicht seine Machtfülle, Trainer, Sportlicher Leiter und Vorstandsmitglied, ihn vor diesen Fährnissen einigermaßen geschützt.

"Strukturelle Veränderungen in dieser Dimension", sagt Magath, "kannst du nur in Angriff nehmen, wenn du halbwegs sicher sein darfst, dass dir der Verein einen gewissen Zeitrahmen gewährt. Sonst greifen die bekannten Mechanismen des Geschäfts." Dass Magath auf Schalke weiter sakrosankt ist, sein Rausschmiss derzeit von niemandem ernsthaft gefordert wird, sollte auch als Respekt vor den bisherigen Leistungen des Trainers gewertet werden, selbst wenn dieser jetzt bekennt: "Keine Frage, ich habe in den vergangenen Monaten auch einige Fehler gemacht." Das sei bei der Komplexität der Aufgabe jedoch normal.

Dass die für rund 19 Millionen Euro netto neu formierte Schalker Mannschaft weiter Abstimmung und Rhythmus sucht, mag auch den Personalkompromissen geschuldet sein, zu denen sich Magath zum Abschluss der Transferperiode Ende August genötigt sah. Klaas-Jan Huntelaar, der niederländische Weltklassestürmer, und der hochtalentierte spanische Mittelfeldmann José Manuel Jurado waren nicht seine Wunschlösungen. Wolfsburg Spielmacher Zvjezdan Misimovic und Guillaume Hoarau von der SG Paris St. Germain sollten kommen, mit beiden war Schalke sich handelseinig. Beider Vereine verwehrten indes den Wechsel nach Gelsenkirchen. Nun fehlt Magath für den Angriff ein kopfballstarker Stürmer und im Mittelfeld ein Lenker, der weiß, wie die Bundesliga funktioniert. "In Deutschland", sagt Magath, "kann jede Mannschaft verteidigen. Das ist der größte Unterschied zur spanischen, italienischen, englischen oder holländischen Liga, in denen das Leistungsgefälle evident ist und die schwächeren Teams taktisch oft nicht derart diszipliniert agieren. Das muss erst noch in die Köpfe unserer Neuzugänge."

Dies sei dann auch eine Sache der Einstellung, des Willens, sich den veränderten Umständen anzupassen. Mit vielen Kurzpässen, so wie sie Jurado liebe, sei in der Bundesliga eine gut organisierte Abwehr nur selten zu überraschen. "Wir haben eine Mannschaft, die spielerische Lösungen sucht. Gibt es die nicht, bekommen wir Probleme, weil unser Gesamtgefüge noch nicht stabil genug ist und die Misserfolge Zweifel gesät haben", sagt Magath. Dass unterschiedliche Fußballkulturen Zeit brauchen, um zueinanderzufinden, um sich gegenseitig auf dem Platz helfen zu können, sei nicht erstaunlich, er habe allerdings gehofft, diesen Prozess beschleunigen zu können. "St. Pauli, das ist das Verdienst von Trainer Holger Stanislawski", sagt Felix Magath, "ist eine Mannschaft. Wir müssen erst noch eine werden. Und das so schnell wie möglich. Sonst kommen unruhige Zeiten auf uns zu." Zum Beispiel der Kampf gegen den Abstieg.