Die aktuelle Situation beim Zweitligisten lässt St. Paulis Trainer Holger Stanislawski ein wenig dünnhäutiger auf Kritik reagieren.
Hamburg. Die Ausgangslage 13 Spieltage vor dem Saisonende war blendend - im doppelten Sinn. Sieben komfortable Punkte betrug der Abstand auf den Drittplatzierten aus Augsburg, acht auf den Vierten, Arminia Bielefeld. Drei Spiele später, davon zwei am ausverkauften Millerntor, hat sich die Situation gedreht: 0:0 gegen Abstiegskandidat FSV Frankfurt, die höchste Saisonniederlage beim 1. FC Kaiserslautern (0:3) und ein weiterer torloser Auftritt gegen Bielefeld (0:1). Binnen zwei Wochen hat der FC St. Pauli seinen Vorsprung verspielt. Bielefeld ist nur noch drei Punkte entfernt, Augsburg zog am Wochenende gar vorbei. Der Gejagte wurde zum Jäger mit Ladehemmung. Ein Rollentausch in Rekordzeit, der für jede Menge Wut, Frust und Enttäuschung sorgen sollte. Zu sehen ist davon allerdings nichts.
Die aktuelle Situation lässt den Trainer ein wenig dünnhäutiger auf Kritik reagieren und hat den Lautstärkepegel innerhalb der Mannschaft etwas gesenkt. Ansonsten ist am Tag nach der 0:1-Niederlage aber alles wie immer. Beim Athletiktraining in der Kaifu-Lodge ist die Stimmung eher gut als schlecht. Es wird geflachst und gelacht. Seltener und verhaltener als sonst, aber immerhin. Hier ein Augenzwinkern, da ein lockeres "Hallo". Anders als das Punktepolster in der Tabelle scheint das Selbstbewusstsein der Spieler in den unbefriedigenden zwei Wochen nicht gelitten zu haben, zumindest äußerlich ist kein Nervenflattern erkennbar. "Weshalb auch?", fragt Stanislawski trotz des eindeutigen Negativtrends übertrieben überrascht. "Was bringt es, wenn wir uns jetzt ins Tal der Tränen setzen und weinen?"
Sie wollen sich nichts schlechtreden, nichts einreden lassen, Kritik wird gehört, aber abgetan. "Wir sollten jetzt nicht in Aktionismus verfallen, sondern alles genau so belassen wie es ist, und unsere Linie bis zum letzten Spieltag durchziehen", sagt Torwart Mathias Hain. "Wir werden jetzt den Kopf hochnehmen. Schließlich ist die Ausgangssituation die gleiche wie in der Hinrunde", erinnert Kapitän Fabio Morena. "Wir sollten jetzt nicht alles infrage stellen", rät Innenverteidiger Ralph Gunesch. Drei Spieler, drei Aussagen ganz im Sinne von Stanislawski, der die Marschroute vorgegeben hat.
Der Trainer geht sogar noch einen Schritt weiter und streicht eine Leistungssteigerung heraus. "Die zweite Halbzeit gegen Bielefeld war sehr, sehr gut", sieht er die Mannschaft auf dem richtigen Weg und lobt einzelne Spieler: "Deniz Naki hat am Sonntag die richtige Reaktion gezeigt. Fabian Boll konnte unserem Spiel Stabilität geben, und auch Charles Takyi war sehr eifrig." Trotz der offensichtlichen Probleme wie den Ungenauigkeiten im Passspiel, der mangelnden Kreativität und des kollektiven Leistungseinbruchs im Offensivbereich hat der Trainer positives Denken verordnet. Stanislawski als Krisenmanager wider Willen. "Eine Phase, wie wir sie momentan haben, ist in einer Saison ganz normal", sagt er, "natürlich muss sich jeder hinterfragen, aber wir müssen an das glauben, was uns in der Vergangenheit stark gemacht hat, die Ärmel hochkrempeln und durch."
Und das möglichst schnell. Mit ihren berauschenden Fußballfesten in der Hinrunde und den abgeklärten Siegen zum Start ins Jahr 2010 hat die Mannschaft die Erwartungshaltung nach oben korrigiert. Der Druck wächst nun mit jedem weiteren sieglosen Spiel. "Das ist uns auch allen klar", sagt Stanislawski, "aber wichtig ist", natürlich, "dass man diesen Druck positiv nimmt. Ansonsten wirkt er sich kontraproduktiv aus." Und diese Befürchtung muss man beim FC St. Pauli in diesen Tagen ganz sicher nicht haben.