Der unter Depression leidende Andreas Biermann ist in stationärer Behandlung. Ärzte warnen vor gutgemeinten Sprüchen auf Fan-Plakaten.
Hamburg. Holger Stanislawski war sauer, hatte einen richtig dicken Hals. "Ein solches Spiel will ich nie wieder sehen", schimpfte der Trainer des FC St. Pauli nach dem 0:2 im Regionalligaduell bei Union Berlin. Die Kiezkicker sollten am Ende der Saison 2006/07 trotz der Pleite aufsteigen, doch an jenem Tag, einem 10. März, hatten andere mehr Grund zur Freude. Andreas Biermann zum Beispiel.
Der heute 29-Jährige trug beim letzten Aufeinandertreffen der Kultklubs das Trikot der "Eisernen" aus der Hauptstadt und hatte mehr oder weniger gewollt großen Anteil an ihrem Erfolg. In der 69. Minute geriet er mit St. Paulis Marvin Braun aneinander, der mit dem Ellenbogen auskeilte und dafür Rot sah. Biermann bewahrte dagegen seine Bierruhe und durfte auf dem Platz verfolgen, wie der frühere Hamburger Publikumsliebling Nico Patschinski die Überzahl zu den beiden Toren nutzte.
Wenn es nun am Sonntag (13.30 Uhr, Sky live), zweieinhalb Jahre später, am Millerntor zu einer Neuauflage des Duells kommt, hat sich vieles verändert. Biermann steht längst beim FC St. Pauli unter Vertrag, doch beim Spiel gegen seine alten Kameraden wird er nicht dabei sein. Vor einer Woche hatte sich der verheiratete Vater zweier Kinder an die Öffentlichkeit gewandt und erklärt, seit mehreren Jahren an Depressionen zu leiden und einen Selbstmordversuch unternommen zu haben. Nur zehn Tage zuvor hatte der am gleichen Krankheitsbild leidende Nationaltorwart Robert Enke sich das Leben genommen.
Bei Biermann wurde dies dank aufmerksamer Beobachter im letzten Moment vereitelt. Seit dem 13. November ist der Linksverteidiger auf Anraten seiner Familie und des FC St. Pauli in stationärer Behandlung. Ein Schicksal, an dem auch die Berliner Fans Anteil nehmen. "Ein Transparent an ihn gerichtet ist das Mindeste, was wir für ihn machen können", schreibt Anhänger "Balmi" in einem Union-Forum. "Bitte, Ihr Pauli-Fahrer, nehmt ein Transparent mit", meint "Fux". "Nicht, weil es eine tolle Außendarstellung für uns wäre, sondern weil er's verdient hat!" Zahlreiche St.-Pauli-Fans meldeten sich in den vergangenen Tagen ebenfalls zu Wort, schrieben im Internet Genesungswünsche, schlugen Plakataktionen vor. Es gab jedoch auch Mahner, die dies wegen der Krankheit Biermanns für kontraproduktiv halten.
In der Tat raten Experten zu Fingerspitzengefühl bei solch gut gemeinten Ideen. "Es hängt natürlich von der jeweiligen Person ab, die an der Krankheit leidet", sagt Dr. Peter Schönknecht, Leiter der Depressionsambulanz der Uniklinik Leipzig. "Ein ,Komm bald wieder' hat erst mal etwas Unterstützendes, kann aber auch mit einer Verpflichtung verbunden werden, bedrängend sein." Dr. Michael Mohr, Oberarzt an der psychiatrischen Klinik des UKE, warnt ebenfalls davor, eine zu große Erwartungshaltung zu kreieren. "Der Erkrankte kann denken: ,Die bringen mir etwas entgegen, aber ich kann nicht in gleicher Weise reagieren.' Das kann quälend sein." Eine dezente Botschaft nach dem Motto "Wir stehen zu dir" sei als Ausdruck der Wertschätzung durchaus okay, meint hingegen Diplom-Psychologe Georg Fiedler vom Therapiezentrum für Suizidgefährdete am UKE. "Das zeigt auch anderen, dass man Depressionen und Suizidgedanken haben darf und darüber sprechen kann."
Ob und wie Biermann das erste Heimspiel nach seinem Bekenntnis verfolgen wird, ist nicht bekannt. Der Verein hatte in der Erklärung um Verständnis gebeten, dass es keinerlei weitere Stellungnahmen zum Gesundheitszustand oder zum Verlauf der Therapie geben wird, sofern es nicht ausdrücklich vom Spieler gewünscht wird. Alle Konzentration gelte dem Heilungsprozess Biermanns und der Unterstützung seiner Familie. Und manchmal kann weniger da eben auch mehr sein.
Nutzen Sie unseren St. Pauli SMS-Dienst und seien Sie immer auf dem Laufenden bei News und Ergebnissen rund um den Kultverein.