Hamburg. Für Ex-HSV-Talent geht es nur bergauf, ehe er in ein Loch fällt. Er wollte hinschmeißen und studieren – jetzt lockt die Bundesliga.
Als Mats Köhlert am Sonntag aufwachte, wusste er endlich, wie es sich anfühlt. Das frühere HSV-Talent, das in der Fußballbranche bereits sämtliche Höhen und Tiefen erlebt hat, stand am Wochenende vor einer Premiere. Denn auf einer Hochzeit war Köhlert noch nie.
Bei der Eheschließung seines besten Freundes auf Mallorca erfüllte der 26-Jährige als Trauzeuge eine wichtige Rolle, mit dabei waren auch seine früheren Mitspieler im HSV-Nachwuchs, Torhüter Jakob Golz (25/Rot-Weiss Essen) und Jonas Behounek (26/Eintracht Norderstedt). „Die beiden sind meine besten Jungs“, sagt Köhlert im Gespräch mit dem Abendblatt.
Ex-HSV-Talent Köhlert: Plötzlich der Sturz ins Tal
Mit Golz und Behounek spielte Köhlert über viele Jahre in den verschiedenen Nachwuchsteams des HSV. In dieser Zeit ging es für den inzwischen beim niederländischen Erstligisten SC Heerenveen zum Führungsspieler gereiften Profi nur bergauf. Mit 17 Jahren unterschrieb der Juniorennationalspieler seinen ersten Profivertrag, unter Ex-Trainer Bruno Labbadia absolvierte er im Sommer 2016 die Vorbereitung bei der Bundesliga-Mannschaft. In dieser Phase galt Köhlert als großes Juwel, dem im Volkspark die Zukunft gehören sollte. Doch nur ein Jahr später folgte der Absturz, der ihn im Laufe seiner Karriere prägen sollte.
Der von einer hartnäckigen Verletzung geplagte Köhlert lernte plötzlich die harte Seite des Fußballbusiness kennen. Er zweifelte an seiner Profikarriere. „Mein Körper hat mich im Stich gelassen. Ich war auf der Überholspur. Jeder hat mir erzählt, dass ich Profi werden muss. Doch plötzlich war nichts mehr leicht. Andere Spieler zogen an mir vorbei und ich konnte nichts mehr machen. Mir ist das Vertrauen in mich und meinen Körper abhandengekommen, ich hatte nicht mehr diese Leichtigkeit, die mich davor getragen hat“, sagt Köhlert, der tiefe Einblicke in die schwierigste Zeit seiner Laufbahn gewährt.
Nachdem er sich einen rätselhaften Riss in den Adduktoren zuzog, der ihn zu einer langen Pause zwang, die sich keiner erklären konnte („Ich war gefühlt bei jedem Toparzt in Deutschland.“), war er außen vor beim HSV. Köhlert wollte den HSV verlassen und versuchte einen Neustart mit einem Probetraining bei Admira Wacker in Österreich, wo er sich erneut an den Adduktoren verletzte. „Ich war viel zu ungeduldig und wollte zu der Zeit nicht akzeptieren, mich hintenanstellen zu müssen.“
Köhlert „hätte fast alles hingeschmissen“
Schließlich überlegte Köhlert, einen völlig neuen Weg einzuschlagen. Er freundete sich mit dem Gedanken an, nach Pittsburgh in die USA zu flüchten und dank eines Vollzeitstipendiums BWL zu studieren. „Die Verhandlungen waren damals sehr weit. Ich hatte eigentlich schon mit dem Fußball abgehakt, hätte fast alles hingeschmissen und wusste überhaupt nicht, mit einem Tief umzugehen. Es war eine schwere Zeit“, sagt er rückblickend.
Doch dann folgte die Wende. Unter Trainer Hannes Wolf debütierte Köhlert in der Zweiten Liga, am letzten Spieltag gegen Duisburg (3:0), als der Aufstieg bereits verspielt war, stand er sogar in der Startelf. „Ich hatte ein Hirn-Rattern, das mich genervt hat. Aber ich habe gelernt, mit Druck umzugehen und mich nicht verrückt machen zu lassen, wenn es mal nicht läuft. Ich habe mich aus diesem Loch herausgezogen“, sagt der gebürtige Hamburger. „Nachdem ich dieses Tal durchschritten hatte, war ich auf alle Widerstände vorbereitet.“
Köhlert wurde auf Eigeninitiative Linksverteidiger
Diese Erfahrung half ihm bei seinem neuen niederländischen Club Willem II, zu dem Köhlert im Sommer 2019 wechselte. Die Zeit in der Eredivisie bezeichnet er heute als lehrreich, der im Vergleich zur deutschen Zweiten Liga höhere Fokus auf technische Fähigkeiten kommt seiner Spielweise entgegen.
Doch im dritten Jahr bei Willem II lief es nicht optimal. Köhlert machte sich Gedanken, was sich ändern müsse und zog einen Positionswechsel in Betracht. „Ich ging ins Büro des Trainers (Fred Grim) und schlug die Idee vor, als Linksverteidiger dank meiner Schnelligkeit und meiner Technik ein höheres Niveau erreichen zu können. Der Trainer war offen für meinen Vorschlag und gab mir die Chance.“
Seitdem kommt der als Offensivspieler ausgebildete Köhlert hauptsächlich als linker Verteidiger in einer Vierer- oder als Schienenspieler in einer Fünferkette zum Einsatz. Auf seiner neuen Position, auf der er sein größtes Potenzial für die Zukunft sieht, nahm er einen Entwicklungsschub. Beobachter beschreiben ihn als laut auf und neben dem Platz, ein echter Leader eben. „Ich bin ein Mentalitätsspieler“, sagt Köhlert und beschreibt sich zudem als „lernwillig“. Perfekt Niederländisch spricht er inzwischen übrigens auch.
Bundesliga-Wechsel? Köhlert umworben
Nachdem Köhlert in der abgelaufenen Saison nur 101 Spielminuten auf dem Platz verpasst hat und in einigen Statistiken (Sprints, Flanken und kreierte Torchancen) ligaweit zu den Topspielern zählt, sind auch andere Vereine auf ihn aufmerksam geworden.
Dem früheren HSV-Talent sollen Anfragen aus der Bundesliga sowie anderen europäischen Topligen vorliegen. Und nach Abendblatt-Informationen traut er sich diesen Schritt auch zu.
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Ex-HSV-Talent Köhlert schaut Spiele noch immer live
Seine Entwicklung bestätigt Köhlert „zu 100 Prozent“ darin, bei seinem HSV-Abgang 2019 die richtige Entscheidung getroffen zu haben. „Manchmal ist es gar nicht so verkehrt, in einem anderen Land ohne seine Familie und sein gewohntes Umfeld ins kalte Wasser geworfen zu werden. Ich behalte den HSV in schöner Erinnerung und werde ihn immer in meinem Herzen tragen“, sagt der Profi, der aus der Mannschaft noch Kontakt zu Stephan Ambrosius hält, der Hamburg nun allerdings auch verlässt.
Obwohl damit auch der letzte seiner Freunde nicht mehr beim HSV spielt, drückt Köhlert, der noch immer jedes HSV-Spiel live im TV verfolgt, dem Club weiterhin die Daumen. „Der HSV gehört in die Erste Liga, ich wünsche dem Club endlich den Aufstieg“, sagt das ehemalige Eigengewächs, der keinen Groll über seine verpasste Chance in Hamburg hegt. „Ich werde dem HSV immer dankbar sein, auch für den Knick in meiner Karriere, der mich abgehärtet hat.“
Und wer weiß, vielleicht kreuzen sich seine Wege noch einmal mit denen seines Jugendvereins – in einem Jahr in der Bundesliga.