Hamburg. Das HSV-Eigengewächs (19) könnte in Nürnberg erstmals von Beginn an spielen. Wie der Deutsch-Spanier die vergangenen Monate erlebte.

Der Kontrast, den Nicolas Oliveira am Abend des 28. Juli erlebte, hätte kaum größer sein können. Der HSV empfing Schalke 04 zum Auftaktspiel der neuen Saison, die TV-Quote von durchschnittlich mehr als vier Millionen Zuschauern bei Sat.1 und Sky sorgte für einen neuen Zweitligarekord, das Volksparkstadion war mit 57.000 Zuschauern ausverkauft. „Unbeschreiblich“, erinnert sich Oliveira, der in der Nachspielzeit zu seinem Profidebüt kam.

„Nachdem ich eingewechselt wurde, hat Jean-Luc Dompé noch das 5:3 geschossen, der Jubel auf dem Rasen nach dem Tor und nach dem Abpfiff waren unvergessliche Erlebnisse.“ Das Volksparkstadion schien an diesem Sommerabend emotional zu explodieren, die Euphorie war rund drei Monate nach dem verpassten Bundesligaaufstieg greifbar, nach dem Schlusspfiff feierte Oliveira mit den anderen HSV-Profis vor der Nordtribüne den Sieg.

HSV News: Oliveira lebt noch bei seinen Eltern im Grindelviertel

So weit, so normal für einen Fußballprofi. Mit dem Unterschied, dass Oliveira danach nicht mit einem Luxus-SUV zu einer teuren Penthouse-Wohnung fuhr, sondern in die mehr als 20 Jahre alte A-Klasse seiner Mutter stieg, sich auf den Weg nach Hause zu seinen Eltern ins Grindelviertel machte und anschließend in seinem Kinderzimmer schlafen legte. „In dem Moment habe ich nicht über die vielen Zuschauer nachgedacht. Als ich zu Hause noch mal mit meinen Eltern darüber gesprochen habe, habe ich das erst richtig realisiert“, sagt der 19-Jährige und schmunzelt.

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Eine Woche vor seinem ersten Zweitligaeinsatz hatte der Außenverteidiger nach einer überzeugenden Vorbereitung seinen ersten Profivertrag im Volkspark unterschrieben. „Ich wollte mich in der Sommervorbereitung so gut wie möglich zeigen. Das ist mir, denke ich, gut gelungen. Mit dem Profivertrag und dem Debüt habe ich gemerkt, dass ich es wirklich schaffen kann. Für mich stand und steht aber fest, dass ich jetzt noch härter arbeiten muss“, sagt der deutsche U-20-Nationalspieler.

Der Außenverteidiger war nie ein Überflieger

In der Jugend galt Oliveira nie als Überflieger. Selbst beim Eimsbütteler TV begann er als Siebenjähriger zunächst in der dritten F-Jugend, arbeitete sich dann schrittweise nach oben. Auch nachdem er 2018 in die U 15 des HSV gewechselt war, schwebte er immer etwas unter dem Radar. „Im Nachwuchs habe ich zwar immer meine Leistung gebracht, ich gehörte aber nicht zu den Jungs, über die man ständig geredet hat. Bis zur U 19 war ich kein einziges Mal bei der Nationalmannschaft dabei“, sagt er. „Mir hat das freiwillige Individualtraining in der HSV-Jugend extrem geholfen. Wir hatten viermal pro Woche Training, vor jeder Einheit war ich schon eine Stunde auf dem Platz, um an meinen Stärken und Schwächen zu arbeiten.“

Die Arbeit zahlte sich aus, Profitrainer Tim Walter setzt auf Oliveira, brachte ihn zuletzt in der Nachspielzeit des DFB-Pokalachtelfinals bei Hertha BSC (3:5 i.E.) und in der Liga gegen den SC Paderborn (1:2) für eine Halbzeit. Zuvor sammelte er vor allem Spielzeit in der U 21. „Als wir mit der U 21 gegen den ETV gespielt haben, war das schon besonders. Mein Gegenspieler war unter anderem Jasper Hölscher, der beim ETV fünf Jahre lang mein Trainer war“, sagt Oliveira. Insgesamt habe er die Einsätze in der Regionalliga auch nicht als negativ empfunden. „Die regelmäßige Spielpraxis tut mir extrem gut, ohne die Regionalliga-Spiele wäre es auch in Berlin oder gegen Paderborn deutlich schwieriger geworden“, sagt er.

Oliveira steht vor seinem Startelfdebüt

Weil am Sonnabend beim 1. FC Nürnberg (13 Uhr/Sky und Liveticker auf abendblatt.de) sowohl Linksverteidiger Miro Muheim als auch Rechtsverteidiger Ignace Van der Brempt in der Startelf fehlen werden, könnte Oliveira sein Startelfdebüt feiern. „Wenn es so kommen sollte, dass ich am Wochenende spielen darf, bin ich auf jeden Fall mental und körperlich bereit dafür“, sagt er.

Es ist ein Satz, der in der Phrasenwelt des Profifußballs nicht überrascht, Oliveira aber mit jeder Silbe abzunehmen ist. Der Teenager, der im vergangenen Jahr sein Abitur am Emilie-Wüstenfeld-Gymnasium machte (Notenschnitt 2,3), wirkt auffallend reif, lässt sich nicht anmerken, dass das Abendblatt-Gespräch das erste richtige Interview seines Lebens ist.

Oliveira gilt als bodenständig und ehrgeizig

Der Deutsch-Spanier gilt beim HSV tatsächlich als einwandfreier Charakter aus gutem Elternhaus. Seine spanische Mutter ist Professorin für Biochemie am Universitätsklinikum Eppendorf, sein deutscher Vater arbeitet beim Flugzeughersteller Airbus. „Mit meiner Mutter spreche ich zu Hause nur Spanisch, mit meinem Vater Deutsch“, erzählt Oliveira, der 2004 im nordspanischen Oviedo geboren wurde, aber in Hamburg aufwuchs. „Meine Mutter ist damals nach Deutschland gezogen, sie wollte aber, dass ich in Spanien geboren werde“, sagt er.

Jeden Winter und Sommer macht die Familie Urlaub in einem Ferienhaus in der Nähe von Bilbao, besucht dann auch die vielen spanischen Verwandten. Die spanische Junioren-Nationalmannschaft sei jedoch nie ein Thema für ihn gewesen, sagt er. Es gab bisher schlicht kein Interesse, der deutsche Verband nimmt ihn mittlerweile hingegen mit Kusshand.

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„Es hört sich noch ein bisschen surreal an, wenn es heißt, dass ich Profi bin. Für mich bedeutet der Begriff Profi, dass man sich auf dem Niveau etabliert hat. Ich glaube, dass mir noch ein paar Dinge fehlen, ich aber auf einem sehr guten Weg bin“, sagt Oliveira, der sich derzeit nur auf den Fußball konzentriert, mittelfristig aber über ein Studium nachdenkt. „Körperlich ist bei mir noch Potenzial nach oben, daran arbeite ich aber täglich im Kraftraum unter der Leitung unseres Athletiktrainers Daniel Müssig.“

Geht seine Entwicklungskurve weiter nach oben, ist nicht auszuschließen, dass die alte A-Klasse seiner Mutter in ein paar Jahren doch von einem anderen Auto ersetzt wird. Momentan aber noch nicht. „Meine Mutter benutzt ihr Auto kaum, weil sie mit dem Fahrrad zur Arbeit fährt“, sagt Oliveira. „Da es noch gut funktioniert, nehme ich es gerne.“