Hamburg. Königstransfer Pherai ist noch nicht der dominante Faktor im HSV-Spiel. Womit der Kreativspieler fremdelt und wie es weitergeht.
Am Dienstag erhielt Immanuel Pherai eine Lehrstunde von Tim Walter, wie er sich nach Ballverlusten zu verhalten habe. „Manu, wenn du den Ball verlierst, dann geh zwei Schritte nach vorne und nicht nach hinten! Mach Druck!“, forderte der HSV-Coach im Training von seinem Spielmacher, der mit dem System beim HSV noch zu fremdeln scheint.
Statt nach einem Fehlpass direkt in den defensiven Verteidigungsmodus umzuschalten, wie es Pherai bei seinen bisherigen Stationen Borussia Dortmund II und Eintracht Braunschweig gewohnt war, soll er in Hamburg aggressiv nach vorne verteidigen, um das Spielgerät so schnell wie möglich zurückzuerobern. Der Erfolg dieses Plans ist essenziell für die Stabilität der Mannschaft. Denn bei Ballverlusten, die nicht sofort wieder ausgebügelt werden, sondern Konter des Gegners einleiten, fehlt es in Walters System oftmals an der notwendigen Restverteidigung.
Das bereits vor Pherais Sommerverpflichtung bekannte und auch schon im Abendblatt geschilderte Problem: Der 22-Jährige gerät häufiger in die Situation, Bälle zurückerobern zu müssen, weil er das risikobehaftete Spiel bevorzugt. Mit seinen vertikalen Steckpässen sowie dem Drang zum eigenen Abschluss will der Niederländer mit nahezu jeder Aktion eine Torchance kreieren. Einen Quer- oder Rückpass spielt er nur im äußersten Notfall.
HSV-Zugang Pherai tut sich schwer
In Braunschweig, dem kommenden HSV-Gegner (Freitag, 18.30 Uhr), führte diese Spielweise zu 14 Scorerpunkten in 27 Einsätzen, aber eben auch einer Passquote von gerade einmal 59,5 Prozent. Ein für einen Mittelfeldspieler auffallend niedriger Wert, den Pherai beim HSV mit 62 Prozent nur geringfügig verbessert hat.
Die Konsequenzen sind jedoch ungleich größer, wie allein das zwischenzeitliche Gegentor zum 1:3 vor drei Wochen beim 1. FC Kaiserslautern zeigte, als der HSV, wie auswärts schon so häufig, in der Positionierung seiner Spieler nicht auf den Ballverlust Pherais vorbereitet war.
„Als ich sein Trainer in Braunschweig war, sollte er verstärkt ins Risiko gehen“, erklärt Eintrachts früherer Coach Michael Schiele im Gespräch mit dem Abendblatt. „Für Tims Spiel ist dagegen mehr Kontrolle gefragt. Es sind zwei unterschiedliche Philosophien.“
Walters schwieriger Spagat bei Pherai
Walter sucht deshalb immer wieder den Dialog mit Pherai, um ihn auf die Folgen seiner Ballverluste zu sensibilisieren. „Der Trainer spricht das immer wieder an, das verstehe ich auch“, hatte der Offensivspieler vor zwei Wochen nach dem Heimsieg gegen den 1. FC Magdeburg (2:0) gesagt.
Es ist ein schwieriger Spagat, der Walter bei seinem Königstransfer des Sommers gelingen muss. Zum einen soll Pherai sein Risiko minimieren, um sich in das taktische Konstrukt einzufügen. Zum anderen muss der HSV-Coach aufpassen, den Kreativspieler nicht seiner größten Stärke zu berauben.
Pherai ist ein Straßenfußballer, der Freiheiten auf dem Platz benötigt, damit seine Qualitäten zur Geltung kommen. Momentan wirkt es jedoch für manche Beobachter des HSV so, als läge es auch an der von ihm geforderten Umstellung, dass der Tempodribbler nicht sein volles Potenzial abrufen kann.
Ex-Trainer Schiele bewertet Pherais HSV-Rolle
„Wenn er beim HSV gespielt hat, hatte er immer gute Aktionen, die zu Toren führten oder beinahe geführt hätten, so wie bei seinem herausgeholten Elfmeter in Wiesbaden (verschossen von Laszlo Benes; d. Red.)“, sagt Schiele über seinen ehemaligen Schützling, der wegen kleinerer Verletzungen und Infekte mehrfach ausgefallen war. Womöglich ist Pherai auch deshalb auf der Suche nach seinem Rhythmus. „Es ist auffällig, dass er bislang nicht an das Balltempo und die Explosivität herankommt – zwei Eigenschaften, die ihn in Braunschweig auszeichneten“, hat Schiele beobachtet.
In der Folge leidet das Hamburger Spiel an der fehlenden Konstanz Pherais, der momentan seinen an der Schulter verletzten Landsmann Ludovit Reis im Mittelfeld vertritt. „Solche Leistungsschwankungen, wie sie aktuell bei ihm beim HSV zu beobachten sind, hatte er auch schon in Braunschweig gezeigt“, sagt Schiele.
„Manchmal offenbarte er Defizite im Spiel gegen den Ball, indem er nicht den direkten Zweikampf suchte oder nicht das optimale Timing im Anlaufverhalten wählte. In solchen Phasen war er aber immer wissbegierig. Er nahm stets Ratschläge an, um sein Spiel zu verbessern, und hat anschließend auch immer geliefert.“
HSV-Neuzugänge brauchen Zeit bei Walter
Liefern soll Pherai nun auch beim HSV, denn bislang nimmt er noch nicht so viel Einfluss auf das Spiel wie sein Vorgänger Sonny Kittel. Es ist allerdings auch bekannt, dass Neuzugänge für die Anforderungen an Walters Fußball etwas Zeit benötigen, bis sie ihr volles Potenzial abrufen können.
Bestes Beispiel für diese These ist Pherais aktueller Nebenmann auf dem Platz, Laszlo Benes, der eine komplette Saison zur Eingewöhnung benötigt hatte, ehe er sich in dieser Saison hinter Mitspieler Robert Glatzel zum zweitbesten Scorer der Zweiten Liga entwickelt hat.
Da Benes in seiner aktuellen Form einen Stammplatz sicher hat, könnte Pherai auf den ungeliebten Flügel ausweichen, wenn Vizekapitän Reis wieder fit ist. „Manu kann zwar auch auf den Außen spielen, bevorzugt es aber, mittendrin im Zentrum zu agieren. Dort sieht er seinen größtmöglichen Handlungsspielraum, um aktiv Einfluss auf das Spiel zu nehmen“, ordnet Schiele ein.
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HSV: Verdrängt Poreba Pherai auswärts?
Wenn Pherai Walter nachhaltig von einem Stammplatz im Mittelfeldzentrum überzeugen will, muss er die Chance in Reis’ Abwesenheit nutzen, um sich festzuspielen.
Es gibt allerdings auch Stimmen im Volkspark, die sich einen anderen Spieler an der Seite von Benes wünschen würden. Der im Vergleich zu Pherai deutlich ballsichere Lukasz Poreba könnte dem HSV als tiefer stehender Achter zu mehr Stabilität verhelfen. Eine taktische Maßnahme, die gerade im Hinblick auf die Bekämpfung der Auswärtsschwäche relevant werden könnte, und von der auch die mit der Rolle des Spielaufbaus gelegentlich überforderten Innenverteidiger profitieren könnten.
Zumindest für das Heimspiel gegen seinen Ex-Club Braunschweig wird allerdings damit gerechnet, dass Pherai erneut den Vorzug vor Poreba erhält. „Wenn Manu an sein Leistungslimit kommt, dann wird er beim HSV dauerhaft zum Einsatz kommen“, ist Schiele überzeugt. „Seine Qualität wird sich durchsetzen.“