Hamburg. Der neue HSV-Chefscout Sebastian Dirscherl erklärt, wie der Club die Kaderplanung für die nächsten Transferphasen vorbereitet.

Von Karlsruhe bis nach Wiesbaden braucht man mit dem Auto nur eine Stunde und 40 Minuten. Insofern könnte Sebastian Dirscherl die Gelegenheit nutzen, um am Sonnabend in der Brita-Arena (13 Uhr) ein Auswärtsspiel des HSV zu beobachten. Wahrscheinlicher aber ist, dass der neue Chefscout die letzte Chance vor der Länderspielpause nutzt, um in Belgien oder der Niederlande nach Neuzugängen für die Hamburger zu suchen.

Der 37-Jährige, der vor Kurzem die Nachfolge des zum Direktor Profifußball beförderten Claus Costa übernommen hat, lebt in Karlsruhe und kümmert sich von dort aus neben seiner neuen Aufgabe als Leiter der Scoutingabteilung auch um die Kernmärkte in Süddeutschland, Österreich und der Schweiz, aber bei Gelegenheit eben auch mal um die Beneluxstaaten. Dort lassen es die Spielpläne zu, bis zu sechs Spiele pro Wochenende live zu sehen.

Neuer Chefscout spricht erstmals öffentlich über seine Arbeit

Obwohl das Sommertransferfenster erst seit vier Wochen geschlossen ist, beginnt für Dirscherl und seine Abteilung schon jetzt eine ganz entscheidende Phase. Schließlich gilt es, die nächsten Transfers des HSV auf den Weg zu bringen. „Wir sind in der Vorbereitungsphase, bearbeiten die Märkte und schaffen uns jetzt den Grundstock für den Winter und den Sommer“, sagt Dirscherl.

Der Chefscout sitzt im Medienraum des Volksparkstadions und spricht mit dem Abendblatt erstmals in seiner neuen Funktion öffentlich über seine Arbeit hinter den Kulissen. Für die abgelaufene Transferperiode, in der der HSV seine Hausaufgaben frühzeitig beenden konnte, hatte Dirscherl zuletzt ein öffentliches Lob von Costa bekommen.

Dirscherl lobt sein Scoutingteam und die Kontinuität

„Scouting ist keine One-Man-Show. Ich sehe uns auch als Mannschaft, die gemeinsam wächst, sich weiterentwickelt“, sagt Dirscherl, der im Sommer 2018 vom damaligen Chefscout Johannes Spors auf Empfehlung verpflichtet wurde und fünf Jahre später nun selbst die Abteilung führt, zu der neben ihm sechs weitere fest angestellte Talentsucher gehören.

Die personelle Kontinuität im Sport sei für Dirscherl der Hauptgrund, warum insbesondere die jüngste Sommertransferperiode von allen Seiten als positiv bewertet wurde. „Wir profitieren jetzt von der Arbeit der vergangenen Jahre und davon, dass wir eine Spielphilosophie haben und auf eine gemeinsame Entwicklung von Mannschaft und Club setzen“, sagt Dirscherl.

Hadzikadunic, Pherai und Poreba hatte der HSV lange auf der Liste

Trotz des verpassten Aufstiegs konnte der HSV mit Robert Glatzel und Ludovit Reis zwei Leistungsträger halten, die aufgrund ihrer Ausstiegsklauseln den Club auch hätten verlassen können. Mit Guilherme Ramos (26), Immanuel Pherai (22), Dennis Hadzikadunic (24), Levin Öztunali (27), Ignace Van der Brempt (21) und Lukasz Poreba (23) holte der HSV sechs Neuzugänge für lediglich eine Million Euro. „Die Transferperiode war geprägt von einem klaren Bedarf und einer super Zusammenarbeit. Das alles Entscheidende war, dass die Mannschaft so gehalten werden konnte und wir sie punktuell verstärken konnten“, sagt Dirscherl.

Auffällig war, dass der HSV wie schon in den vergangenen zwei Jahren mehrere Spieler von Clubs holte, die eigentlich nicht zu den Kernmärkten gehören. Hadzikadunic spielte bei FK Rostov in Russland, Poreba bei RC Lens in Frankreichs erster Liga. Zwischenzeitlich galt der Georgier Saba Sazonov (21) von Dinamo Moskau als Wunschkandidat für die Innenverteidigung. Dirscherl erklärt, dass der HSV diese Spieler schon zu früheren Zeiten beobachtet hat.

Poreba hatte der HSV bereits in Lubin entdeckt

Hadzikadunic kannten die Scouts aus Malmö, wo der Bosnier ausgebildet worden war und vor einem Jahr noch auf Leihbasis gespielt hatte. Poreba fiel dem HSV in der Zeit bei dessen polnischem Stammverein Zaglebie Lubin erstmals auf. Aber selbst Pherai, auf den der HSV in der vergangenen Saison in den Spielen gegen Braunschweig traf, hatten die HSV-Späher schon zu Zeiten bei Borussia Dortmund beobachtet.

Die interessanten Spieler bekommen dann ein internes Profil. Der Scoutingreport wird regelmäßig mit Live- und Videoeindrücken aktualisiert. Dirscherl und sein Team entwerfen zudem einen Schattenkader. Während etwa Poreba und Hadzikadnic in der vergangenen Saison noch nicht zum Kader von Trainer Tim Walter gehört hatten, zählten sie bei Dirscherl bereits zum Alternativteam. Dabei geht es darum, sich ständig auf einen möglichen Bedarf vorzubereiten.

Noch ist unklar, was der HSV im Winter plant

„Die Transferperiode optimal vorzubereiten, ist das Ziel, aber bestimmte Szenarien wie Verletzungen oder plötzliche Abgänge kann man nie vorausahnen. Und dennoch versuchen wir uns durch eine detaillierte, akribische und fluide Kaderplanung auf alle Bedarfsfälle und Eventualitäten vorzubereiten“, erklärt Dirscherl. „Ich bin dabei der Schattenmann für Claus. Für mich ist die sportliche Empfehlung das Allerwichtigste.“

Was im Winter beim HSV auf dem Transfermarkt passiert, ist noch nicht vorhersehbar. Vor einem Jahr mussten die Verantwortlichen schnell reagieren, als Tim Leibold sich entschieden hatte, in die USA zu wechseln. Der HSV brauchte einen neuen Linksverteidiger und fand ihn in Noah Katterbach, der beim HSV ohnehin in den Listen stand.

Dirscherl bereitet Transfers vor, Costa setzt um

Dirscherl bereitet so einen Transfer vor und gibt eine Empfehlung ab, Costa kümmert sich um die Umsetzung. „Es geht um die spielerische Qualität, aber auch um die Persönlichkeit des Spielers. Wir wollen mit Blick auf das Gesamtpaket den bestmöglichen Spieler im Rahmen unserer Möglichkeiten vorschlagen. Am Ende geht es um die Machbarkeit eines Transfers und um das optimale Timing“, sagt Dirscherl.

Im kommenden Sommer will der HSV dann erneut ernten, was er im Herbst sät. Und das am liebsten nach einem Aufstieg. Bis dahin gilt es wieder, eine zweigleisige Kaderplanung vorzunehmen. „Das macht die Arbeit nicht leichter. Eine zweigleisige Planung ist für uns aber Normalität“, sagt Dirscherl. Nach vier verpassten Aufstiegen kann man ihm das glauben.