Hamburg. Am Freitagabend startet der HSV gegen Schalke den sechsten Aufstiegsversuch. Rückt Trainer Tim Walter von seiner Spielidee ab?

Vor wenigen Wochen machte Tim Walter mit seinem Trainerteam eine Reise. Zweimal im Jahr ist der Chefcoach des HSV mit seinen drei Co-Trainern Julian Hübner, Merlin Polzin und Filip Tapalovic sowie Torwarttrainer Sven Höh unterwegs. In der vergangenen Saison ging es gleich zweimal zum Clásico zwischen Real Madrid und dem FC Barcelona. Vor einem Jahr stand ein Mallorca-Trip an, um die abgelaufene Saison zu analysieren.

In diesem Sommer flogen die fünf Trainer nach Ibiza. Auch Sportvorstand Jonas Boldt kam für einen Tag dazu. Die Idee der Reise: Eine ehrliche und offene Analyse der vergangenen Saison. Walter und seine Kollegen diskutierten bei gutem Essen und gutem Wetter darüber, warum es nicht gereicht hat mit dem Aufstieg und wie es in der neuen Saison klappen könnte.

Das Ergebnis der Ibiza-Analyse war eindeutig: Der HSV hat zu viele und vor allem zu einfache Gegentore bekommen. 45 Gegentreffer, zehn mehr als in der Saison zuvor, waren die Ursache für den verpassten Aufstieg. „Es ist ein Ansatz, dass wir wieder viel mehr Konsequenz, viel mehr Kompaktheit, viel mehr Gier an den Tag legen wollen. Gerade im Zweikampfverhalten. Darüber haben wir uns sehr lange unterhalten“, sagte Walter vor dem Saisonstart gegen den FC Schalke 04 an diesem Freitagabend im Volksparkstadion (20.30 Uhr/Sky, Sat.1 und Liveticker auf abendblatt.de).

Neben Schonlau fällt auch Hadzikadunic gegen Schalke aus

Dass Walter in der Abwehr von seinem riskanten Aufbauspiel abrückt, könnte sich bereits gegen Schalke mit der Besetzung der Startelf zeigen. Weil neben Kapitän Sebastian Schonlau (Wadenverletzung) auch Neuzugang Dennis Hadzikadunic (muskuläre Probleme) ausfällt, setzt Walter in der Innenverteidigung neben dem aus Bielefeld gekommenen Portugiesen Guilherme Ramos auf Rückkehrer Stephan Ambrosius und nicht etwa auf Jonas David, der in der Rückrunde wegen der Dopingsperre von Mario Vuskovic gesetzt war.

Ramos und Ambrosius sind zweikampfstarke Verteidiger, die im Ballbesitz mit dem typischen Walter-Stil der vergangenen zwei Jahre aber ihre Probleme haben könnten. Im Trainerteam ist offenbar die Erkenntnis gereift, sich den zur Verfügung stehenden Spielern anzupassen, anstatt die Spielidee auf Zwang durchdrücken zu wollen. „Man lernt jeden Tag dazu. Ich bin keiner, der stur ist, sondern sehr offen. Das verlange ich auch von meinen Spielern“, sagte Walter.

Walter-Fußball wurde auch im Aufsichtsrat diskutiert

Ganz freiwillig dürfte der HSV-Trainer aber nicht zu seiner Erkenntnis gelangt sein. Nach dem verpassten Aufstieg gab es auch im Aufsichtsrat kritische Stimmen, die eine erkennbare Entwicklung in der Defensive gefordert haben. Zudem wurde im Gremium darüber diskutiert, ob der HSV sich weiterhin durch seinen Trainer die Spielidee vorgeben lassen sollte, oder ob nicht eigentlich der Club die Philosophie bestimmen sollte.

Gibt es beim HSV nun also die Abkehr vom vielzitierten Walter-Ball? Nein. Die Grundprinzipien, die der Trainer seit Beginn seiner Amtszeit implementiert hat, sollen auch weiterhin das HSV-Spiel charakterisieren. Dominanter Ballbesitz, viele Tiefenlaufwege, hohes Pressing, schnelles Gegenpressing – so will Walter weiterhin spielen lassen, um auch in der kommenden Saison die beste Offensive zu stellen. Doch insbesondere das hohe Verteidigen, das eine konstante Konteranfälligkeit mit sich brachte, soll in der neuen Saison in einzelnen Spielphasen angepasst werden. „Es geht darum, Dinge zu verbessern. Dafür haben wir den Kader aufgebessert“, sagte Walter.

Nicht jeder HSV-Profi war von Walters Idee restlos überzeugt

Es wird nun spannend zu beobachten sein, ob Walter seinen Fußball wirklich grundlegend verändert oder eben nur anpasst. Die Vorbereitungsspiele deuteten nicht darauf hin, dass der HSV völlig neue Wege geht. Bislang hat der Trainer seine Mannschaft hinter sich gehabt, wenn es um die risikofreudige Spielidee ging. Die Spieler stehen hinter dem bisherigen Ansatz ihres Trainers, auch wenn zu hören ist, dass nicht jeder HSV-Profi von der Philosophie restlos überzeugt ist.

Doch bereits in der vergangenen Saison hat Walter seinen Stil angepasst. Lange Bälle, die noch zu seiner Zeit bei Holstein Kiel verpönt waren, sind schon in der vorigen Spielzeit ein legitimes Mittel gewesen, um sich aus Pressingsituationen zu befreien. Zu oft aber erlebte der HSV auch im vergangenen Jahr noch chaotische Anfangsphasen, wenn der Gegner die Hamburger früh unter Druck gesetzt hat. So wie bei den Spielen in Kiel, Paderborn, Karlsruhe sowie Fürth. Insbesondere das Relegationshinspiel beim VfB Stuttgart zeigte den HSV-Verantwortlichen dann noch einmal deutlich auf, dass man für Walters Spielidee eben auch die richtigen Spieler braucht.

Rückkehrer Ambrosius soll die neue Abwehr anführen

Dass der HSV nun in der Abwehr neue Wege gehen will, zeigen die Profile der Neuzugänge sowie die überraschende Einschätzung zu Ambrosius, dem Walter zwischenzeitlich noch die nötige Qualität für seine Spielidee absprach. Nun soll der Wilhelmsburger, der mit seiner positiven Art in der Mannschaft enorm beliebt ist, mit seiner kompromisslosen Zweikampfführung vorangehen.

Experten erwarten trotzdem, dass es beim HSV zum Saisonstart in der Defensive noch Abstimmungsprobleme geben wird. Doch die gleichen Herausforderungen hat auch Auftaktgegner Schalke 04. Die Gelsenkirchener gehen genau wie der HSV mit großen Defensivsorgen in die Saison. Auf dem Transfermarkt ist nicht alles nach Wunsch gelaufen. Mit Timo Baumgartl wurde der dringend benötigte Innenverteidiger erst zwei Tage vor dem Spiel verpflichtet.

Tim Walter (47) geht beim HSV in seine dritte Saison. Das gab es zuletzt vor mehr als 20 Jahren unter Frank Pagelsdorf
Tim Walter (47) geht beim HSV in seine dritte Saison. Das gab es zuletzt vor mehr als 20 Jahren unter Frank Pagelsdorf © Witters

Es wäre daher keine Überraschung, wenn zum Saisonstart am Freitagabend gegen Schalke wieder viele Tore fallen werden. Schließlich waren sich die HSV-Trainer auch auf Ibiza einig, dass ihre Mannschaft in der kommenden Saison zwar weniger Treffer kassieren, aber nicht weniger Tore schießen will. „Wir hatten auch den besten Sturm“, bekräftigte Walter vor dem Start. Und das soll auch so bleiben.

Walter steht in der neuen Saison noch stärker unter Beobachtung

Der 47-Jährige gibt sich zwar auch vor dem Neustart der Zweiten Liga gewohnt selbstbewusst, doch Walter weiß auch, dass er im Volkspark unter Beobachtung steht. Dass er in der vergangenen Saison trotz mehrfacher Versprechungen den Aufstieg nicht geschafft hat, ist auch an ihm nicht spurlos vorbeigegangen. Intern soll der Trainer, anders als in der Kommunikation nach außen, durchaus davon gesprochen haben, dass die verpasste Rückkehr in die Bundesliga auch für ihn ein Scheitern gewesen sei. Als das Trainerteam schließlich gefragt wurde, ob es noch die nötige Energie verspüre für einen dritten Anlauf, wurde das aber mit einem klaren Ja beantwortet.

Zum ersten Mal seit mehr als 20 Jahren geht nun der HSV-Trainer mit seinen Assistenten in die dritte Saison in Folge. Und mit den richtigen Erkenntnissen aus den ersten zwei Jahren will Walter nun im dritten Anlauf endlich den ersehnten Aufstieg schaffen. Damit das Trainerteam bei der nächsten Reise im kommenden Sommer darüber sprechen kann, mit welcher Taktik der HSV dann in der Bundesliga bestehen kann.