Hamburg. Guardiola gegen Cruyff im Zweitligaformat: Am Sonnabend treffen sich die Trainer zum Ballbesitzduell. Wer passt seine Taktik an?

André Kilian ist neugierig, als er am Freitagnachmittag ans Telefon geht? „Gibt es taktisch etwas Neues beim HSV?“, fragt der Co-Trainer des 1. FC Magdeburg im Gespräch mit dem Abendblatt, während im Hintergrund das Abschlusstraining von Tim Walter im Volkspark läuft.

Auf dem Platz, auf dem Kilian vor vier Jahren selbst für den Aufstieg mit dem HSV arbeitete. Zunächst unter Christian Titz, dann unter Hannes Wolf. Seit zwei Jahren ist er nun zusammen mit Titz in Magdeburg. Und trifft an diesem Sonnabend (13 Uhr/Sky und Liveticker auf abendblatt.de) auf seinen Ex-Club.

Ersetzt Reis den gesperrten Meffert in Magdeburg?

Um die Antwort auf Kilians Frage vorwegzunehmen: Taktische Änderungen gab es im Training nicht zu sehen. Walter setzt natürlich auch in Magdeburg auf seine Spielphilosophie. Offen ist einzig, wer im Mittelfeld den gesperrten Jonas Meffert ersetzt und wer auf die Acht rückt, sollte Ludovit Reis eine Position nach hinten rutschen.

Klar ist aber eines: Titz und Walter wollen den Ball haben. „Die Parallelen liegen auf der Hand“, sagt Kilian. „Es sind zwei Trainer mit einem klaren Plan. Beide wollen aktiven Fußball spielen, mit einer Idee, das Spiel von hinten nach vorne aufzubauen. Den Anspruch auf Ballbesitz und Gegenpressing fordern beide ein.“

HSV, Magdeburg und Paderborn haben den meisten Ballbesitz

Was Walter beim HSV seit fast zwei Jahren spielen lässt, erinnert stark an die Philosophie, mit der Titz vor fünf Jahren den HSV beinahe noch in der Bundesliga hielt. In der Zweiten Liga hat neben dem HSV (59 Prozent Ballbesitz) und dem FCM (58 Prozent) nur der SC Paderborn (59 Prozent) einen ähnlich hohen Spielanteil. Genauso sieht es bei der Passquote aus. Der HSV führt diese Statistik mit 85,8 Prozent vor Paderborn (85,7) und Magdeburg (84,9) an. „Beide Kollegen hätten gerne wieder 59 Prozent Ballbesitz“, sagte Titz vor dem Spiel und grinste.

Er dürfte sich dabei auch an das Hinspiel erinnert haben. Da hatte der HSV mit 71 Prozent den höchsten Ballbesitz-Wert der gesamten Saison. 29:9 Torschüsse spielte sich Walters Team heraus. Am Ende aber gewann Magdeburg in Hamburg mit 3:2. Für Titz war es der wohl wichtigste Sieg, nachdem rund um den FCM bereits über seine (zu?) mutige Spielweise diskutiert wurde.

Entscheidet Titz den Aufstiegskampf?

Es sind die Debatten, die auch Walter zu gut kennt. Mittlerweile hat der Aufsteiger aus Magdeburg gute Chancen auf den Klassenerhalt, muss aber in den letzten fünf Partien noch gegen alle drei Mannschaft von der Tabellenspitze spielen. Wird Titz zum entscheidenden Faktor im Aufstiegskampf?

Viereinhalb Jahre nach seinem Aus beim HSV könnte der 52-Jährige dazu beitragen, dass sein Ex-Club das schafft, was ihm im Herbst 2018 nicht mehr zugetraut wurde. Titz aber denkt nur an den FCM. „Der HSV hat es selbst in der Hand, die Saison erfolgreich für sich zu entscheiden“, sagt der Fußballlehrer, der 2015 zunächst als U-17-Trainer beim HSV arbeitete und über die U21 zu den Profis kam.

Es ist ein ähnlicher Weg, den auch Tim Walter gewählt hat. Beide Trainer waren als Spieler unterhalb der Dritten Liga aktiv, entwickelten aber dort bereits ihre Traineridee des Offensivfußballs. Während sich Titz vor allem vom früheren Barcelona-Trainer Johan Cruyff inspirieren ließ, konnte Walter vom späteren Barca-Coach Pep Guardiola lernen, als diese zwischen 2015 und 2016 zusammen beim FC Bayern München arbeiteten.

Von Guardiola konnte Walter sich aber vor allem auch abschauen, wie wichtig die Spielphasen sind, wenn die eigene Mannschaft nicht den Ball hat. Guardiolas Teams gehören zwar stets zu den besten Ballbesitzmannschaften, erobern die Bälle aber am schnellsten zurück.

Walter setzt in Magdeburg auf Balleroberungen

Das Gegenpressing war auch der Schlüssel zum Sieg im Stadtderby gegen den FC St. Pauli vor einer Woche, als der HSV vor allem in der Anfangsphase viele Bälle im vorderen Drittel gewann. Das erhofft sich Walter nun auch in Magdeburg, wenn die Titz-Elf versucht, spielerische Lösungen zu kreieren. „Das kommt uns zugute, weil wir dann auch höhere Balleroberungen haben. Wir müssen daraus aber noch mehr Kapital schlagen“, sagt Walter.

Aber auch Magdeburg will den HSV zu Fehlern provozieren. „Es wird das Ziel sein, den HSV in Stress zu versetzen. Es ist nicht der Plan, sich hinten reinzustellen“, verrät Kilian, der ein ähnliches Spiel erwartet wie im Hamburger Stadtderby, das sich der 35-Jährige im Fernsehen angeschaut hat.

„Es wird darauf ankommen, welche Mannschaft ihren Plan besser auf den Platz bringt. Die Zuschauer können sich auf eine hohe Intensität freuen. Es wird ein cooles Spiel“, sagt Kilian. Mit 27.050 Zuschauern ist die MDCC-Arena ausverkauft, durch eine Erweiterung der Plätze bedeutet das Zuschauerrekord.

Jonas David wurde von Christian Titz gefördert

Kilian verfolgt den HSV noch immer genau. Mit Bakery Jatta und Jonas David stehen zwei Spieler in der Hamburger Startelf, die er selbst noch trainiert hat. Beide HSV-Profis wurden in der vergangenen Woche durch ihre Tore zu Derbyhelden. David spielt am Sonnabend zudem gegen seinen ehemaligen Förderer Titz, der ihn in der U17 zum Innenverteidiger umgeschult hatte. „Seine Entwicklung freut mich“, sagt Kilian. „Jonas zeigt, was wir uns von ihm erhofft haben. Wir haben damals viel individuell mit ihm trainiert.“

Für David dürfte der Treffer gegen St. Pauli wie eine Befreiung gewesen sein, nachdem er in den Wochen zuvor oft in der Kritik stand. Die Anfälligkeit des HSV in der Abwehr hat auch Kilian in Magdeburg mitbekommen. „In der Defensive hatte die Mannschaft Probleme, es gab einige individuelle Fehler“, sagt Kilian, der die Gründe vor allem im Fehlen von Verteidiger Mario Vuskovic sieht. „Mit Vuskovic hätte der HSV wahrscheinlich acht bis zehn Gegentore weniger.“

Magdeburg wird versuchen, mit seinen kleinen und wendigen Offensivspielern den HSV zu ärgern. Mit Moritz Kwarteng und Tatsuya Ito hat Titz zwei ehemalige Hamburger in der Offensive, die zuletzt beim Sieg in Braunschweig die Tore erzielten.

Qualitativ sieht Kilian den HSV vorne aber stärker aufgestellt. „Das Team hat richtige Stärken in der Offensive“, sagt Kilian, der seine alten Kollegen am Sonnabend erneut ärgern will. Danach drückt er dem HSV wieder die Daumen, damit der Aufstieg gelingt. „Der HSV spielt eine sehr stabile Saison“, sagt er. „Platz eins halte ich immer noch für möglich.“