Hamburg. Glatzel gegen Medic, Druck gegen Gelassenheit und – wie immer – Jatta gegen Paqarada. Worauf es beim HSV und St. Pauli ankommt.

Seinen Friseurtermin am Donnerstagmittag durfte Torsten Mattuschka auf keinen Fall verpassen. Schließlich möchte der Sky-Experte ein gutes Bild abgeben, wenn er an diesem Freitag auf dem Bildschirm zu sehen sein wird. Zum Derby zwischen dem HSV und dem FC St. Pauli im Volksparkstadion (18.30 Uhr/Sky, YouTube sowie im Liveticker auf abendblatt.de) wird „Tusche“ in Spezialmission unterwegs sein.

Für diejenigen, die das Derby nur außerhalb des Volksparkstadions verfolgen, will Mattuschka nämlich das erreichen, was innerhalb des Volksparkstadions kein Problem werden wird: „Wir wollen voll auf die Stimmung gehen.“ Daher wird der 42-Jährige bereits zwei Stunden vor dem Anpfiff das Privileg genießen, aus der HSV-Kabine – normalerweise ein Heiligtum – heraus zu filmen. Pro Club soll zudem ein Spieler direkt nach der Ankunft des Mannschaftsbusses interviewt werden. „Ich habe richtig Bock, HSV gegen St. Pauli, mehr geht nicht“, sagt Mattuschka, der sein drittes Derby live im Stadion erleben wird.

Sky testet neues Youtube-Format im Stadtderby

Sky bietet speziell zum Spitzenspiel zwei unterschiedliche Produktionen an. Bei der klassischen Übertragung, die um 18 Uhr beginnt, führen Moderator Stefan Hempel und der ehemalige St.-Pauli-Ka­pitän Sören Gonther als Experte durchs Programm. Bei YouTube streamen von 18.15 Uhr an Mattuschka, Kommentator Florian Schmidt-Sommerfeldt sowie der als „Qualle“ bekannte Schiedsrichter-Influencer Pascal Martin. „Ich bin der rasende Reporter und werde versuchen, ein paar andere Interviews zu führen und andere Dinge zu zeigen“, sagt Mattuschka.

Ein anderes Interview muss die Ikone des 1. FC Union Berlin allerdings vorab selbst führen – fürs Abendblatt, um die direkten und indirekten Duelle einzuschätzen, die das 142. Hamburger Stadtderby entscheiden könnten.

Bakery Jatta gegen Leart Paqarada: Mittlerweile schon ein Klassiker im Hamburger Classico. Allerdings einer mit Verfallsdatum. Für Paqarada, der ab der kommenden Saison einen Vertrag mit dem Bundesligisten 1. FC Köln abgeschlossen hat, dürfte es das vorerst letzte Derby sein. Und somit auch die finale Gelegenheit, sich bei Jatta zu revanchieren, der beim vergangenen Aufeinandertreffen im Volkspark, am 21. Januar 2022, das wunderschön herausgespielte und abgeschlossene 2:1-Siegtor erzielte – als sich der Gambier gegen Paqarada durchgesetzt hatte und mit seinem Schuss in die lange Ecke die HSV-Fans unter den 2000 Zuschauern im Volkspark zur Ekstase brachte.

Bakery Jatta schoss den HSV zum Derbysieg gegen St. Pauli.
Bakery Jatta schoss den HSV zum Derbysieg gegen St. Pauli. © Witters

Mattuschka: „Jatta ist ja manchmal nicht zu sehen, wenn er aber Tiefe bekommt und sein für die Zweite Liga außergewöhnliches Tempo ausspielen kann, ist er nur schwer aufzuhalten. St. Pauli ist gut beraten, ihm wenig Tiefe anzubieten. In diesem direkten Duell sehe ich dennoch Paqarada vorn. Er ist der heimliche Spielmacher von St. Pauli, verteilt ligaweit die zweitmeisten Torschussvorlagen und ist ein Akteur auf Bundesliganiveau.“

Robert Glatzel gegen Jakov Medic: Durch die voraussichtliche Rückkehr von Eric Smith ins Zentrum von St. Paulis Innenverteidigung muss sich Medic weniger dem Spielaufbau und kann sich wieder mehr seiner Kernkompetenz widmen: zerstören. Glatzel ist jedoch für jeden Zweitligaverteidiger die ultimative Herausforderung. Zumindest physisch dürfte der 1,91 Meter große Kroate, der 63 Prozent seiner Zweikämpfe gewinnt, dem zwei Zentimeter größeren Mittelstürmer gewachsen sein.

HSV-Stürmer Robert Glatzel (l.) im Duell mit St. Paulis Jakov Medic.
HSV-Stürmer Robert Glatzel (l.) im Duell mit St. Paulis Jakov Medic. © Imago

Für Glatzel geht es auch um seine eigene Zukunft. Verpasst der HSV den Aufstieg, dürfte er den Club im Sommer für eine Ablöse von 1,5 Millionen Euro verlassen. Werder Bremen soll zu den Interessenten gehören. Das dürften ihm die HSV-Fans aber nur schwer verzeihen. Glatzel wäre also gut beraten, gegen St. Pauli wieder zu treffen.

Glatzel spielt um seine Zukunft beim HSV

Mattuschka: „Für Glatzel gilt das Gleiche wie für Paqarada: Beide verfügen über die Qualität für die Bundesliga, das Duell geht an den HSV-Torjäger. Zwar wird Medic mit seiner Robustheit selbst einem Glatzel wenig Freude bereiten, aber in der Box ist er schlicht viel zu schwer zu greifen und zu stoppen. Außerdem ist Medic immer für einen Bock gut. In Heidenheim hat er mir nicht gefallen, besonders im Spielaufbau.“

Jonas Meffert gegen Marcel Hartel: Beide Mittelfeldakteure sind auf ihre eigene Art eminent für ihre Teams. Meffert stabilisiert die Defensive, Hartel ist der laufstärkste Spieler der Zweiten Liga und darf seine Rolle unter Fabian Hürzeler relativ frei interpretieren. Mal als Achter, mal als Sechser, ständig in den Halbräumen, dann plötzlich weit vorne – und immer unterwegs.

Jonas Meffert wird auf St. Paulis Marcel Hartel auf.
Jonas Meffert wird auf St. Paulis Marcel Hartel auf. © Witters

Mattuschka: „Ihr macht’s mir schwer. Kann ich auch auf Unentschieden gehen? Meffert hat in Kaiserslautern extrem gefehlt, ist als Verbindungsglied zwischen Defensive und Offensive essenziell für den HSV, ich würde fast schon sagen, unersetzlich. Marcel Hartel bringt ein kreatives Element ins Spiel des FC St. Pauli, ein sensationeller Fußballer. Er läuft und arbeitet viel, und wenn er einen freien Fuß hat, ist er einer der Besten der Zweiten Liga.“

Moritz Heyer gegen Oladapo Afolayan: Der Kontrapunkt zum Glatzel-Medic-Duell. Afolayan ist neben Verteidiger Karol Mets der einflussreichste Wintertransfer St. Paulis und maßgeblich für den Aufschwung in der Rückrunde verantwortlich. Das atemberaubende Tempo des athletischen Engländers, der regelmäßig mehrere Verteidiger bindet, hat schon bei ganzen Defensivreihen der Zweiten Liga für Schwindelgefühle gesorgt.

Wie Heyer ihn aufhalten will? Keine leichte Aufgabe, denn der frühere Osnabrücker ist nicht der große Sprinter. Zudem fehlte der Rechtsverteidiger in der vergangen Woche mit einer Erkältung. Gegen St. Pauli dürfte er aber wieder in die Startelf zurückkehren. Dann müsste sich Walter entscheiden, ob er links hinten auf Miro Muheim oder Noah Katterbach setzt.

Mattuschka: „Das Ganze ist natürlich tagesformabhängig, aber in diesem Aufeinandertreffen könnte Heyer Schwierigkeiten bekommen, vor allem wenn Afo­layan Raum in der Tiefe erhält. Mit ihm hat St. Pauli einen richtig guten Transfer eingetütet. Er scort gut, legt Chancen und Treffer auf und ist stark im Eins-gegen-eins.“

Sebastian Schonlau gegen Eric Smith: Einer der Pechvögel des Hinspiels, der andere die Entdeckung. Schonlau kassierte schon in der ersten Halbzeit eine Rote Karte nach einer Notbremse an Etienne Amenyido. Danach brach der HSV aus­einander, verlor 0:3. Besser lief es für den Kapitän vor einem Jahr. Da köpfte er beim 2:1-Sieg das 1:1. Im Aufbauspiel des HSV bleibt er unersetzbar.

Im Hinspiel ging der Stern von Eric Smith auf

Ausgerechnet im Derby entschied sich damals noch Timo Schultz dazu, vom patentierten 4-4-2 mit Mittelfeldraute abzurücken. Die Maßnahme, Smith aus dem defensiven Mittelfeld in die Innenverteidigung zu beordern, hat St. Pauli völlig neue Möglichkeiten eröffnet. Der Schwede verfügt über große Qualitäten in der Spiel­eröffnung, nicht wenige Beobachter bezeichnen ihn als wichtigsten Spieler im System von Hürzeler.

Mattuschka: „Beide sind Nullkommanull aus dem Spiel ihrer Mannschaften wegzudenken. Schonlau ist als Kapitän und Stabilisator in der Verteidigung unentbehrlich, was sich stets gezeigt hat, wenn er ausgefallen ist. Ähnlich verhält es sich bei Smith, dem entscheidenden Faktor im Aufbauspiel St. Paulis. Vor allem unter Fabian Hürzeler hat er noch mal einen richtig Sprung gemacht, den ihm wohl nur die wenigsten zugetraut hätten. Hinzu kommt die Gefahr bei Standards, die beide ausstrahlen.“

Tim Walter gegen Fabian Hürzeler: Die persönliche Vorgeschichte der beiden Süddeutschen ist gut dokumentiert. Zwei Heißsporne an der Seitenlinie, aber auch zwei Trainer mit eindeutigen Vorstellungen davon, wie ihr Fußball aussehen soll. Walter setzt auf dominanten, offensiven Ballbesitzfußball. Hürzeler ist ein defensiv denkender Coach, der Stabilität über alles setzt. Unter ihm hat St. Pauli in elf Partien lediglich fünf Gegentore kassiert. Die Verteidigung beginnt nach seinen Vorstellungen ganz weit vorn mit aggressivem Anlaufen bei gegnerischem Ballbesitz.

Fabian Hürzeler im Gespräch mit Tim Walter vor dem Stadtderby im August 2021. Der heute 30-Jährige war damals noch Co-Trainer bei den Kiezkickern.
Fabian Hürzeler im Gespräch mit Tim Walter vor dem Stadtderby im August 2021. Der heute 30-Jährige war damals noch Co-Trainer bei den Kiezkickern. © Witters

Mattuschka: „Ich habe gehört, die beiden haben sich schon mal in der Wolle gehabt. Kann gut sein, dass es wieder hoch hergehen wird. Ihre Handschrift ist jeweils gut lesbar. Fabian Hürzeler hat 30 von 33 möglichen Punkten geholt – nicht so schlecht der Schnitt. Dass es sein erstes Derby ist, ist vollkommen egal. Zugleich steht der HSV punktemäßig besser da als in den Vorjahren zum gleichen Zeitpunkt.“

Mattuschka glaubt an direkten Aufstieg des HSV

Der Druck, so viel steht für Mattuschka fest, liegt beim Gastgeber. „Wenn der HSV gewinnt, ist St. Pauli weg. Tritt aber das Gegenteil ein, und Düsseldorf und Paderborn gewinnen ebenfalls, hat der HSV drei Mannschaften ins Aufstiegsrennen dazugeholt. Dann sind es nur noch fünf Spiele, und der Kopf kommt dazu“, sagt der Co-Trainer des Berliner Regionalligisten VSG Altglienicke. Andererseits sei aber festzuhalten, dass die Walter-Elf in den vergangenen zwölf Spielen nur zwei Niederlagen kassiert hat. „Ich bin überzeugt, dass der HSV aufsteigt. Direkt“, sagt Mattuschka daher, für den der erstplatzierte SV Darmstadt 98 bereits so gut wie in der Bundesliga angekommen ist.

Wer im Derby wen rasieren wird, konnte Mattuschka hingegen trotz seiner frischen Erlebnisse beim Friseur unter der Shavette nicht prognostizieren. „Ich glaube, es wird viel hin- und hergehen. Mein Tipp: 1:1. Aber auch ein 3:3 oder 4:4 erscheint mir möglich. Auf jeden Fall werden Tore fallen.“

HSV: Heuer Fernandes – Heyer, David, Schonlau, Muheim (Katterbach) – Meffert – Reis, Suhonen – Jatta, Glatzel, Kittel.

St. Pauli: Vasilj – Medic, Smith, Mets – Saliakas, Irvine, Hartel, Paqarada – Metcalfe, Daschner, Afo­layan.

Beide Clubs haben von der DFL die Lizenz für die kommende Saison erteilt bekommen.