Hamburg. Zum 95. Mal spielt der HSV im Duell der Gründungsmitglieder der Bundesliga gegen den FCK. Was den Mythos Betze ausmacht.

Horst Schnoor geht am Freitagvormittag gerade durch das Herold-Center in Norderstedt, als ihn das Abendblatt auf dem Handy erreicht. Der frühere Torwart des HSV ist noch etwas geschwächt. „Meine Frau und ich haben uns bei der HSV-Küchenparty im Elysée vor sechs Wochen Corona eingefangen. Das wirkt noch nach“, sagt Schnoor, der am Dienstag 89 Jahre alt wurde.

An diesem Sonnabend wird sich der Meister-Torwart von 1960 vor dem Fernseher entspannen und sich das Topspiel der Zweiten Liga zwischen dem 1. FC Kaiserslautern und dem HSV anschauen (20.30 Uhr/Sky und Liveticker auf abendblatt.de). Wobei sich Schnoor sicher ist, dass es kein entspanntes Spiel wird – weder für ihn noch für seinen HSV. „Es ist richtig schwer, auf dem Betzenberg zu gewinnen.“

Vor 60 Jahren spielte der HSV erstmals am Betzenberg

Schnoor weiß das ganz genau. Er war dabei, als die Hamburger vor 60 Jahren das erste Mal auf dem berühmten Hügel im gleichnamigen Stadtteil von Kaiserslautern spielten. Es war die erste Bundesligasaison überhaupt. Und schon damals wurde deutlich, dass der Betzenberg eine ganz besondere Fußballfestung ist. Mit 3:2 gewann Kaiserslautern gegen den HSV.

30. November 1963, das erste Duell zwischen dem 1. FC Kaiserslautern und dem HSV in der Bundesliga auf dem Betzenberg: Hamburgs Torwart Horst Schnoor faustet den Ball vor FCK-Spieler Gerd Schneider weg.
30. November 1963, das erste Duell zwischen dem 1. FC Kaiserslautern und dem HSV in der Bundesliga auf dem Betzenberg: Hamburgs Torwart Horst Schnoor faustet den Ball vor FCK-Spieler Gerd Schneider weg. © Imago

Wie so oft in den Jahren darauf fiel das Siegtor in der Schlussphase. Nachdem Dieter und Uwe Seeler (78./83.) für den HSV aus einem 0:2 ein 2:2 machten, traf Winfried Richter vor 37.000 Zuschauern zum späten 3:2 (84.). Der „Betze“ bebte. Euphorisierte FCK-Fans kletterten über den Zaun, es kam sogar zu Ausschreitungen. Lange ist’s her. „Die Atmosphäre auf dem Betzenberg war schon immer besonders“, sagt Schnoor fast 60 Jahre später.

FCK gegen HSV gab es zuletzt vor elf Jahren

Am Sonnabend bestreiten Kaiserslautern und der HSV ihr 95. Pflichtspiel gegeneinander. Es hätten noch deutlich mehr sein können, wenn die Pfälzer 2012 in der Bundesliga geblieben und 2018 im Jahr des ersten HSV-Abstiegs nicht sogar bis zur Dritten Liga durchgereicht wären. Nun spielen die beiden Traditionsclubs erstmals seit elf Jahren wieder auf dem Betzenberg gegeneinander. Beim letzten Spiel im März 2012 hieß der FCK-Trainer noch Krassimir Balakov.

Es folgten wie beim HSV Krisenjahre mit vielen Trainerwechseln und großen wirtschaftlichen Problemen. Heute hat sich der FCK in der Zweiten Liga unter Trainer Dirk Schuster wieder stabilisiert. Die zwischenzeitliche Aufstiegschance ist zwar dahin. Trotzdem träumt man auch in Kaiserslautern von der Rückkehr in die Bundesliga.

Der HSV hat dieses Ziel vor Augen. Trainer Tim Walter weiß, welche Herausforderung am Sonnabend in Kaiserslautern auf seine Mannschaft wartet. Obwohl der Badener nur 70 Kilometer Luftlinie entfernt vom Betzenberg aufgewachsen ist, kennt der 47-Jährige die Faszination des Fritz-Walter-Stadions nur aus dem Fernsehen. „Ich freue mich, dass ich da jetzt auch mal hinkomme“, sagte Walter. 49.327 Zuschauer und Zuschauerinnen werden dabei sein. Das Stadion ist ausverkauft.

Kaiserslautern hat zuletzt im Oktober zu Hause verloren

„An so einem Ort hat man immer gerne gespielt“, sagt auch Horst Schnoor, der Rekordtorwart des HSV (507 Pflichtspiele), obwohl er dort nie gewinnen konnte. Auch in dieser Saison sind die Roten Teufel zu Hause wieder eine Macht. Die letzte Heimniederlage gab es im Oktober. Der Mythos Betzenberg ist bis heute etwas Besonderes geblieben.

Als Kaiserslautern vor zwei Wochen beim Heimspiel gegen den FC Heidenheim bis zur dritten Minute der Nachspielzeit mit 0:2 zurücklag und trotzdem noch das 2:2 erzielte, war mal wieder von diesem magischen Ort die Rede, an dem sich solche Momente besonders oft ereignen. So wie in der Saison 1997/98, als Kaiserslautern unter Trainer Otto Rehhagel gleich mehrfach in der Nachspielzeit gewann und Torjäger Olaf Marschall den Aufsteiger zur Sensationsmeisterschaft schoss.

Zehn deutsche Meisterschaften und sechs Pokalsiege holten die beiden Clubs zusammen. Mehr Tradition geht in der Zweiten Liga kaum. Das Fanbündnis Kaiserslautern hat daher an diesem Sonnabend zum Tag der Tradition aufgerufen. Ab 16.30 Uhr ist ein gemeinsamer Fanmarsch von der Innenstadt hinauf zum Betzenberg geplant.

In der Zweiten Liga hat nur der HSV (52.861) einen besseren Zuschauerschnitt als der 1. FC Kaiserslautern. Unter Flutlicht können sich die Zuschauer auf einen besonderen Abend einstellen. Horst Schnoor ist froh, dass er das Spiel bei Sky gucken kann. Die zunehmende Zerstückelung der Spieltage mit verschiedenen Rechteinhabern nervt ihn.

HSV gegen St. Pauli live und kostenfrei auf Youtube

Am kommenden Freitag wird er dann wieder im Volksparkstadion sein, wenn der HSV das Stadtderby gegen den FC St. Pauli spielt. Sky teilte am Freitag mit, dass die Partie live und kostenfrei auch auf Youtube zu sehen sein wird. Eine gute Nachricht für alle Fans, die kein Sky-Abo haben und beim Ticketvorverkauf leer ausgingen.

Spiele wie das Stadtderby oder das Traditionsduell am Sonnabend sind es, die den Fußball noch ausmachen, meint auch Horst Schnoor. Am liebsten will er die Partie gegen Kaiserslautern aber wieder in der Bundesliga sehen. „Als ich klein war, habe ich Fritz Walter am Rothenbaum zaubern sehen“, erinnert sich Schnoor an den berühmtesten Spieler der Kaiserslauterer Vereinsgeschichte.

Wichtiger als der Erhalt des Traditionsduells ist dem Ex-Torwart aber erst einmal der Aufstieg des HSV. „Wir haben noch sieben Spiele. Jetzt kommt es drauf an“, sagt Schnoor. Und zwar zunächst mit dem Klassiker auf dem Betzenberg. Schnoor hofft auf einen anderen Ausgang als 1963 bei der ersten Begegnung der beiden Vereine in der Bundesliga. Sein Schlusswort am Telefon: „Wenn wir knapp gewinnen, wäre ich sehr froh.“

FCK: Luthe – Bormuth, Kraus, Tomiak – Zimmer, Ritter, Niehues, Zuck – Klement – Redondo, Boyd.

HSV: Heuer Fernandes – Katterbach, David, Schonlau, Muheim – Meffert – Reis, Benes – Jatta, Glatzel, Kittel.