Sotogrande. Seit fast 20 Jahren ist Miroslav Zadach Busfahrer und Zeugwart beim HSV. Doch eigentlich ist er noch viel mehr beim Zweitligisten.

Am Donnerstag sagten Miroslav Zadach und der HSV „Adiós“. Nach einer letzten Einheit auf den Plätzen des Santa Maria Polo Clubs in Sotogrande war das Trainingslager in Südspanien beendet, um 17.20 Uhr hob Lufthansa-Flug LH1149 aus Malaga ab. Bevor sich die Mannschaft auf dem Weg zum Flughafen machte, verlud Zeugwart Zadach mit seinem Kollegen Ramiro Guerron kistenweise Kleidung in einen Transporter, der die rund 2800 Kilometer bis nach Hamburg auf dem Landweg zurücklegen wird.

So sieht der Alltag von Miroslav Zadach beim HSV aus

„Die Jungs haben T-Shirts, Pullover, Hosen, kurze Radlerhosen, lange Radlerhosen, Regenjacken und noch viel mehr. Da kommen einige Kisten zusammen“, erzählt Zadach. Private Kleidungsstücke benötigen die HSV-Akteure auf Reisen kaum. „Die Trainingskleidung gehört dem Verein – quasi alles bis auf die Unterhose und manchmal auch die“, sagt Zadach, den beim HSV alle nur Miro nennen, schmunzelnd. „Nach all den Jahren weiß ich aber genau, wie viele Klamotten wir im Trainingslager brauchen.“

Der 62-Jährige ist beim HSV nicht weniger als eine Institution. Rund um das Profiteam ist niemand so lange beim Verein angestellt wie Zadach, der 2004 als Zeugwart und Busfahrer beim HSV anheuerte. Wie viele Trainingslager er schon miterlebt habe, wisse er nicht. Ungefähr 40 müssen es mittlerweile aber gewesen sein, sagt er schließlich. „Am Anfang war ich zweiter Zeugwart, mittlerweile bin ich schon seit vielen Jahren erster Zeugwart. Höher geht es für mich nicht mehr. Ich brauche das aber auch nicht, ich bin zufrieden mit dem, was ich habe“, sagt Zadach mit seinem freundlichen polnischen Akzent. „Ein paar Jährchen mache ich noch, dann setze ich mich zur Ruhe.“

Zadach hilft Neuzugängen beim HSV bei der Integration

Zadach ist beim HSV viel mehr als nur Zeugwart und Busfahrer. Sich selbst nimmt er nicht zu wichtig, ist bodenständig und bescheiden. Neuen Spielern hilft er mit seiner lockeren Art bei der Eingewöhnung – auch wenn die ihn mitunter gar nicht verstehen. „Die Socken sind alle gleich, du Vogel“, rief Zadach beispielsweise dem Franzosen Jean-Luc Dompé zu, als dieser während der USA-Reise im November 2022 in einem großen Sockenhaufen ein Paar der Größe M suchte.

Angesprochen auf die Szene muss Zadach lachen. Dass der Neuzugang die nicht ganz ernst gemeinte Ansage von ihm auf Deutsch zu hören bekam, sei völlig normal. „Mein Englisch ist nicht so gut, und außer Sonny Kittel versteht niemand Polnisch“, sagt der Zeugwart und lacht. Abgesehen davon sei Dompé ein sehr liebenswerter Junge, erzählt er. Nur der zweite Franzose im Team, William Mikelbrencis (18), der sei mitunter etwas unordentlich. „Mache Jungs sind manchmal wie kleine Kinder. Der eine verliert das T-Shirt, der andere lässt die Hose irgendwo liegen“, sagt Zadach und lacht.

Wie es sich anfühlt, als junger Mensch in einem fremden Land anzukommen, weiß er genau. Im Alter von 25 Jahren, kurz nachdem er seine Frau geheiratet hatte, floh Zadach vor dem kommunistischen System in Polen. Reisen ins kapitalistische Ausland waren damals eigentlich nicht gestattet. Über Kontakte besorgte er sich einen Reisepass, stieg in Warschau in ein Flugzeug in Richtung Westdeutschland. „Ich hatte den Behörden gesagt, dass ich nur für drei Tage einen Ausflug machen würde“, erinnert sich Zadach.

HSV-Zeugwart wollte eigentlich nach Südafrika gehen

Nur ihre wichtigsten Habseligkeiten hatten der gebürtige Danziger und seine Frau im Gepäck. „Meine Frau hätte mich nicht allein gehen lassen. Wenn ich allein gegangen wäre, hätte sie gewusst, dass ich wahrscheinlich nie wieder zurückgekommen wäre“, erzählt Zadach, ehe er grinsend ergänzt: „Meine Frau heißt übrigens Barbara. Wie Barbara Streisand.“

Mittlerweile ist das Paar seit 38 Jahren verheiratet. „Für mich war es damals die einzige Rettung, Polen zu verlassen. Erst hatte ich geplant, nach Johannesburg in Südafrika zu gehen. In Deutschland habe ich dann festgestellt, dass mein Großvater Deutscher war und ich einen deutschen Pass bekommen konnte“, erinnert sich Zadach. „Dann bin ich hiergeblieben.“ Sein Sohn Kevin bekam später ebenfalls einen Job beim HSV, erst im Servicecenterteam, dann in der Marketingabteilung.

Vom Grenzdurchgangslager Friedland in Niedersachsen ging es für Miroslav und Barbara Zadach 1985 weiter nach Hamburg, wo er einen sechsmonatigen Sprachkurs absolvierte. Zadach nahm einen Job im Freihafen an, machte den Busführerschein, fuhr Linienbusse der Hamburger Hochbahn. Schließlich heuerte er bei einem Reiseunternehmen an, das für den FC St. Pauli arbeitete.

Zadach war auch schon bei der Hochbahn und bei St. Pauli

Bei dem anderen Hamburger Club, wie ihn Zadach heute nennt, war er neun Jahre lang als Mannschaftsbetreuer und Busfahrer im Einsatz. Nach dem Abstieg in die Regionalliga im Jahr 2003 wurde er arbeitslos, sein Vertrag galt nur für die Erste und Zweite Liga. Danach bot ihm der HSV einen Job an.

Tim Walter ist der 22. Cheftrainer, den Zadach in seiner Zeit beim HSV erlebt. Dazu kommen etliche Sportdirektoren, Vorstände, Aufsichtsräte, Präsidenten und mehrere Hundert Spieler. Sie alle kamen und gingen, nur Zadach blieb. „Vielleicht schreibe ich im Ruhestand ein oder zwei Bücher über die Zeit“, sagt er.

HSV-Zeugwart erlebte Champions League und Abstieg

Zadach erlebte Champions-League-Abende, Relegationsdramen und den Zweitligaabstieg mit. Nur ein Aufstieg in die Bundesliga, der fehlt ihm noch. „Man wird nie eine Mannschaft haben, in der alle Spieler gleich denken und perfekt zusammenpassen. Es gibt immer verschiedene Charaktere. Trotzdem merkt man, dass es in dieser Saison und Mannschaft besonders gut zusammenpasst“, sagt er. „Die Spieler von heute sind in gewissen Punkten professioneller als noch vor zehn oder 20 Jahren. Die wissen genau, dass die Karriere nur circa 15 Jahre geht. Die rauchen nicht, die trinken nicht. Das war früher anders“, sagt er und ergänzt: „Mir gefällt das aber, die Jungs heute wissen, worauf es ankommt.“

Rund vier Jahre bleiben Zadach beim HSV noch bis zur Rente. Gedanken, einen anderen Job zu machen, habe er nie gehabt. „Ich war immer voll zufrieden mit meiner Arbeit beim HSV. Wenn ich Teammanager hätte werden wollen, hätte ich vielleicht studieren müssen. Darauf habe ich nie Bock gehabt“, sagt Zadach. „Ich bin Busfahrer, Zeugwart, ein einfacher Junge. Damit komme ich gut klar.“