Hamburg. Wie Spielerberater um die jungen Nachwuchsspieler buhlen und warum das System in Deutschland diese Entwicklung beschleunigt.

Beim Training der HSV-Profis war Omar Abdel Megeed am Donnerstag mittendrin. Der 16-Jährige spielte als freier Mann, war oft am Ball und bekam viel Feedback von Trainer Tim Walter. Hinterher schrieb er Autogramme und erfüllte den Fans Selfie-Wünsche. Das HSV-Talent ist genau da, wo es schon vor Wochen hinwollte. Dabei steht die Geschichte des Nachwuchsspielers, der in der vergangenen Saison noch in der U17 spielte, schon jetzt beispielhaft für eine bedenkliche Entwicklung im Fußball. Und dabei geht es vor allem um eines: Geld.

Dass Megeed jetzt bei den Profis trainiert, war eine Bedingung, die in seinem neuen Vertrag stehen sollte, die sein bisheriger Berater der Hamburger Agentur Intersoccer vor einigen Wochen mit dem damals noch nicht freigestellten Sportdirektor Michael Mutzel verhandelte. Mutzel lehnte ab. Und Megeed stand daraufhin vor einem Wechsel zu Borussia Mönchengladbach. Bis sich mit ICM Stellar Sports eine andere Agentur einschaltete und mit Megeed beim HSV verlängerte.

HSV-Talente zwischen Geld und Druck

Dabei kam es zum Streit zwischen den Beratern und der Familie des Spielers. Wer wann wem Geld geboten oder gezahlt hat, um den Vertrag abzuschließen, und wer dabei von wem unter Druck gesetzt wurde, war anschließend in der Hamburger Beraterszene ein großes Gesprächsthema – aber längst kein Einzelfall.

Vor Kurzem erst saßen Nachwuchschefscout Benjamin Scherner und Sportvorstand Jonas Boldt im Volkspark mit Saido Balde zusammen. Der U-17-Stürmer, der gerade erstmals für die deutsche U-15-Auswahl nominiert wurde, ist vor wenigen Wochen erst 14 Jahre alt geworden und hat bereits mehrere Beraterwechsel hinter sich. Mittlerweile hat mit Nochi Hamasor ein in der Fußballszene bekannter Agent die Betreuung des HSV-Talents übernommen.

Das große Buhlen um HSV-Talente

Wenig später war Saido Balde bereits beim portugiesischen Topclub Benfica Lissabon im Gespräch. Boldt soll dem Berater daraufhin zu verstehen gegeben haben, dass solche Berichte für den Spieler wenig förderlich sind. Der Berater wiederum war zufrieden, dass dem Nachwuchsspieler die Perspektive aufgezeigt wurde, in zwei Jahren schon mit den Profis trainieren zu können. So wie es Omar Megeed seit der Vertragsverlängerung beim HSV auch tut.

Die Spieler auf dem Markt für Vereine und Ausrüster interessant zu machen, gehört für viele Berater zum Geschäft dazu. Dass die Agenten immer früher um junge Talente buhlen, ist eine Entwicklung, die vor allem seit dem Ende der Corona-Beschränkungen zu unkontrollierten Auswüchsen geführt hat. Die aber schon weit vor der Corona-Pandemie begonnen hat.

Eine Art Menschenhandel?

Hinter vorgehaltener Hand sprechen selbst die Agenten von einer Art Menschenhandel. Keiner gibt es offen zu, dass Berater heutzutage den Eltern der Talente Geld zahlen, um sie betreuen zu dürfen. Doch jeder weiß es. Das wurde auch dem Abendblatt von verschiedenen Seiten bestätigt.

Im Fall Megeed kann sich der HSV freuen, sein wahrscheinlich größtes Talent gehalten zu haben. Mit Kelsey Meisel (18) hat der Club ein anderes großes Talent im Sommer an den FC Schalke 04 verloren. In diesem Fall war die finanzielle Offerte des HSV dem Flügelstürmer und dessen Familie offenbar zu wenig. Der Vertrag des Nachwuchsspielers lief aus. Den Hamburgern bleibt als Trost nur eine Ausbildungsentschädigung, ansonsten profitieren vor allem der Berater und die Familie durch die Provisionszahlung.

HSV-Talente: Hrubesch zeigt klare Kante

Nachwuchsdirektor Horst Hrubesch hat dazu eine klare Meinung. „Wir haben für uns klar beschlossen, dass wir dieses Geld nicht zahlen. Mich interessiert nur, ob ein Spieler den Weg mit uns gehen will oder nicht. Wenn er nicht will, hat es sowieso keinen Sinn“, sagte Hrubesch im Abendblatt-Podcast „HSV – wir müssen reden“. Der 71-Jährige hält sich in der Kommunikation mit Agenten weitestgehend raus. „Ich bin nicht bereit, bei einem 14- oder 15-Jährigen über den Spielerberater zu verhandeln.

Wenn der Berater meint, der Spieler muss gehen, dann muss er halt gehen“, sagt Hrubesch. Seine Meinung: „Die Spieler müssen auch wissen, wem sie etwas zu verdanken haben. Wenn der Berater entscheidet, geht es letztlich darum, Geld zu verdienen. Ich will aber eine Identifikation mit dem HSV haben. Das ist vielleicht etwas blauäugig, aber so bin ich einfach gestrickt und da werde ich auch nicht von abgehen.“

Kleine Berater gegen große Agenturen

Eines der Grundprobleme: Es bedarf keiner vertraglichen Vereinbarung zwischen den Beratern und den Spielern oder deren Familien. Zum einen dürfen minderjährige Spieler in Deutschland gar keine Beraterverträge unterschreiben, zum anderen erlaubt das Arbeitsrecht auch keine exklusive Vermittlung. Das betrifft auch die Profis. Spieler werden mitunter jahrelang von einem Berater betreut. Geht es dann um einen lukrativen Transfer, schalten sich nicht selten größere Agenturen ein und stechen die kleineren aus.

So erging es auch der Hamburger Agentur FTC, die mit Faride Alidou und Josha Vagnoman zuletzt zwei HSV-Eigengewächse in die Bundesliga transferierte. Ein Agent der Firma kümmerte sich lange auch um St. Paulis Igor Matanovic (19). Als der Stürmer vor einem Jahr bei Eintracht Frankfurt unterschrieb, wickelte mit Roger Wittmann ein Schwergewicht der deutschen Beraterszene den Transfer ab. FTC ging trotz jahrelanger Betreuung leer aus. Mit den finanziellen Möglichkeiten von Wittmanns Agentur Rogon konnte FTC nicht mithalten.

Andere Berater berichten, dass ihre Spieler sie mittlerweile fragen, was sie ihnen zahlen, damit sie bei ihnen bleiben. Frei nach dem Motto: Wer das meiste Geld bietet, bekommt den Zuschlag. Viele Eltern der Talente kommen aus sozial schwächeren Stadtteilen und sind oftmals empfänglicher für schnelle Versprechen.

Bei der Jagd nach Talenten macht selbst der FC Bayern München nicht mehr Halt. Der Rekordmeister verpflichtete kürzlich drei minderjährige Brüder vom 1. FSV Mainz 05. Der jüngste von ihnen: neun Jahre alt.