Hamburg. Der HSV ist wohl seine letzte Chance, sich im Profifußball zu etablieren – wenn er seinen Körper in den Griff kriegt.

Am Dienstag fuhr Maximilian Rohr trotz des trainingsfreien Tages in den Volkspark. Der Mittelfeldspieler des HSV wollte auf Nummer sicher gehen und ließ sich von Physiotherapeut Andreas Thum behandeln. Schon am Sonntag bei der 0:1-Niederlage bei Holstein Kiel hatte Rohr über muskuläre Probleme geklagt. Ein Einsatz gegen seinen Jugendclub Karlsruher SC am Sonnabend (20.30 Uhr) im Volksparkstadion soll aber nicht gefährdet sein. Trotzdem ist Rohr vorsichtig geworden, nachdem ihn in den vergangenen zwei Jahren gleich fünf Muskelverletzungen monatelang außer Gefecht gesetzt hatten.

„Ich muss jetzt zusehen, dass ich meine Verletzungen in den Griff bekomme und mich am besten gar nicht mehr verletze“, sagt Rohr, als er am Nachmittag im Podcast-Studio des Abendblatts sitzt. Zwei Tage zuvor hat der HSV in Kiel erneut den Aufstieg verspielt. Nun ist der 26-Jährige der erste Spieler, der über die aktuelle Stimmung spricht. „Es ist schwierig, weil die Stimmung im Team eigentlich sehr, sehr gut ist“, sagt Rohr. Warum es für den HSV erneut nicht gereicht hat, fällt ihm schwer zu erklären. „Wenn eine Mannschaft so mauert wie Kiel, kann man eben das Spiel verlieren“, sagt Rohr. „Aber wir haben auch nie über Aufstieg gesprochen.“

HSV: Rohrs Karriere begann in der U 14 – unter Tim Walter

Viel mehr erzählen kann Rohr über seine Karriere, die in der U 14 des Karlsruher SC unter Trainer Tim Walter so verheißungsvoll begann, als er mit seiner Mannschaft in ein Pokalfinale in Berlin einzog. Doch als Walter weiterzog, war es für Rohr vorbei. Der damalige Stürmer war zu schmächtig und wurde in Karlsruhe aussortiert. Mit 20 spielte er in der Kreisliga beim VfB Eppingen II. Er genoss seine Jugend in Heilbronn und trank mit seinen Kollegen sogar schon vor den Spielen in der Kabine ein Bier, wie er heute erzählt. Dass er fünf Jahre später wieder unter Trainer Tim Walter beim Eröffnungsspiel der Zweiten Liga zwischen dem FC Schalke 04 und dem HSV das entscheidende Tor vorbereiten sollte, hätte er sich zu diesem Zeitpunkt nicht einmal erträumen können.

Doch es war kein Traum, den Rohr am ersten Spieltag auf Schalke erlebte. „Es war wie im Film. Die Busfahrt nach Hause auch. Wir sind um zwei, drei Uhr in Hamburg angekommen. Danach bin ich tatsächlich noch eine Runde im Park bei mir ums Eck spazieren gegangen“, sagt er rückblickend über den bislang größten Moment seiner Karriere.

HSV ist wohl Rohrs letzte Chance

Acht Monate später steht Rohr vor der wahrscheinlich größten Woche seiner Karriere. Am Sonnabend (20.30 Uhr) kommt zunächst sein Jugendclub Karlsruhe in den Volkspark, drei Tage später (20.45 Uhr) der SC Freiburg zum DFB-Pokal-Halbfinale. Wieder Flutlicht. Und Rohr hat gute Chancen, in beiden Spielen in der Startelf zu stehen – wenn er seine muskulären Probleme in den Griff kriegt.

Für ihn sind diese Wochen die womöglich letzte Chance, sich im Profifußball zu etablieren. „Das kann man schon so sehen, aber ich habe es mir auch verdient“, sagt Rohr, der gerade erst einen neuen Zweijahresvertrag beim HSV unterschrieben hat. Und das, obwohl er nach seinem Wechsel vom Drittliga-Absteiger Carl Zeiss Jena nach Hamburg im Sommer 2020 wegen seiner vielen Verletzungen kaum gespielt hat. „Natürlich ist es der Wahnsinn, dass der HSV mir diese Chance ermöglicht.“

Rohr soll eines der Gesichter des HSV-Neustarts werden

Nun ist Rohr zurück auf dem Platz. Und will dort bleiben. Mehr noch. Angesichts der erneut verspielten Aufstiegschance soll Rohr in der kommenden Saison eines der Gesichter des Neustarts werden. Denn mit wem auch immer man über Rohr spricht: Alle bescheinigen dem gelernten Stürmer, der als Innenverteidiger zum HSV kam, ein Potenzial, das sogar für die Bundesliga reichen könnte. Doch der Heilbronner hat eben auch lange nicht so gelebt, wie man es tun muss, um Profi zu werden. „Es war klar, dass es so nicht weitergeht. Ich habe mich sehr schlecht ernährt. Fast nur mit Fast Food. Ich konnte ja auch nicht damit rechnen, dass ich noch einmal so explodiere“, sagt Rohr, der seine Ernährung mittlerweile umgestellt hat.

Sogar Tim Walter erinnert sich, wie sich der kleine Maxi als Schüler hauptsächlich von Senf ernährt hat. „Ich habe damals 30 Päckchen am Tag gegessen“, erzählt Rohr über seine ungewöhnliche Jugendliebe. Im Schulbistro holte er sich die Päckchen umsonst. Es dauerte Jahre, bis er damit aufhörte – und plötzlich begann zu wachsen. „Mit 18 war ich maximal 1,75 Meter groß. wahrscheinlich sogar noch kleiner. Danach ging es auf einmal so schnell. Wahrscheinlich bin ich so groß geworden, weil ich irgendwann nicht mehr so viel Senf gegessen habe“, sagt Rohr und lacht.

HSV-Profi Rohr setzte auf Personal Trainer

Mit 20 Jahren war er auf einmal 1,95 Meter groß. Und wurde plötzlich interessant für viele Vereine. Fußballerisches Talent hatte Rohr schon immer. Nun hatte er endlich auch den Körper, den er für den Profifußball brauchte. Über die Kreis- und Oberliga ging es in die Dritte Liga nach Jena, wo er unter Trainer Lukas Kwasniok seine ersten Profispiele machte. Kwasniok, der heute den HSV-Konkurrenten SC Paderborn trainiert und Rohr gerne auch zu den Ostwestfalen geholt hätte, blieb zwar in Jena nur zehn Spiele, und der Verein stieg sang- und klanglos ab, doch Rohr schaffte es bei vielen Scouts in die Notizbücher. „Ich war mir schon sicher, dass ich es noch zum Profi schaffen kann“, sagt er.

Dass der HSV-Profi noch die Kurve gekriegt hat, verdankt er auch seinem Kumpel Jannik. Der Personal Trainer besuchte Rohr vor dieser Saison für mehrere Wochen, sie kochten zusammen und machten jeden Tag noch eine Extraeinheit. „Er hat mich dazu gebracht, dass ich stabiler wurde. Auch im Kopf. Es war mental schwierig, sich noch mal einzureden, in der Zweiten Liga Fuß zu fassen. Das hat er gut hinbekommen.“

Mit Kumpel Jannik und seinem besten Freund „Walde“ spricht Rohr heute vor jedem Spiel für einige Minuten zusammen am Telefon. „Das hilft mir, ein wenig runterzukommen.“ Auch am Sonnabend, wenn der KSC nach Hamburg kommt. Dann wird in Rohrs Kopf noch einmal ein Film ablaufen. Er hat es tatsächlich geschafft. Und er weiß, dass seine Geschichte noch nicht zu Ende ist.