Hamburg. In Darmstadt gelang HSV-Torjäger Robert Glatzel sein wohl bestes Spiel. Doch auch das kommende wird für ihn ein besonderes.

Eigentlich weiß Dieter Gutzler schon von Berufswegen, dass Pünktlichkeit eine Tugend ist. Der 57-Jährige ist Rektor und Mathematiklehrer an der Von-Dalberg-Grundschule im rheinland-pfälzischen Dittelsheim-Heßloch. Dort, am Fuße des schönen Kloppberges, mögen die Uhren noch anders ticken, doch der Anpfiff in der Zweiten Liga ist und bleibt sonntags nun mal um 13.30 Uhr.

„Natürlich wollte ich mir den Auftritt des HSV in Darmstadt anschauen, doch ausgerechnet diesmal habe ich eine Viertelstunde zu spät eingeschaltet“, sagt Gutzler am Morgen danach. „Da hatte der Glatzel schon dreimal getroffen, und es stand 3:0 für den HSV.“

Das Ende der Geschichte ist bekannt: Der HSV gewann sogar mit 5:0, und Robert Glatzel wurde landauf, landab nach seinem späten Tor zum Endstand als Vierfach-Torjäger gefeiert. „So ein Spiel vergisst man sein Leben nicht mehr“, sagt Gutzler, der es wissen muss.

HSV News: „Der HSV hat einen Sahnetag erwischt"

Der frühere Fußballprofi, der kurioserweise seine ganze Karriere bei Darmstadt 98 spielte, hat in 149 Zweitligaspielen 26 Tore erzielt – und auch er wird eine Partie niemals vergessen: Darmstadts 8:0 gegen den FSV Salmrohr am 30. Mai 1987. Sturmpartner Bruno Labbadia erzielte früh das 1:0, dann war Gutzler dran. Der gebürtige Wormser schoss das 2:0, das 3:0, das 5:0, das 6:0 und das 7:0 und ist damit bis heute der einzige Zweitliga-Fußballer, der mehr als vier Tore in einem Spiel erzielt hat.

„Aber der Glatzel hat es auch richtig gut gegen Darmstadt gemacht“, sagt Gutzler am Montagmorgen, kurz bevor er der vierten Klasse der Von-Dalberg-Schule schriftliche Multiplikation und Längeneinheiten beibringen muss. „Der HSV hat einen Sahnetag erwischt, und der Glatzel ist sogar herausgestochen.“

Glatzel ließ Spielball von Mitspielern unterschreiben

Dieser Glatzel steht zwei Stunden später kerzengerade am Trainingsplatz im Volkspark – und muss das am Vortag Geschehene noch einmal richtig sortieren. „Mit einer Nacht des Drüberschlafens begreift man diesen Viererpack schon mehr als am Vortag, aber das ist und bleibt natürlich etwas Besonderes“, sagt der 1,93 Meter große Fußballer, dem am Montagmittag die Mikrofone entgegengestreckt wurden. „Da kann man schon stolz sein“, sagt Glatzel, der aber im jeden zweiten Satz die Hilfe seiner Mitspieler hervorhebt. Das sei auch der Hauptgrund, warum er den Spielball, den er sich direkt nach dem Abpfiff in Darmstadt als Trophäe gesichert hatte, von allen Mitspielern unterschreiben lassen will. „Sie alle haben mir geholfen.“

Überhaupt: der Spielball. Am Montagmittag lag er noch in Glatzels Spind in der Kabine. Sobald er von allen unterschrieben ist, soll der Ball bei Glatzel in den Keller zu den anderen Schätzen wandern: Zeitungsartikel aus seiner Zeit beim 1. FC Kaiserslautern, Trikots aus Mainz und Cardiff City und natürlich ein Jubelfoto von seinem Dreierpack im Pokal mit Heidenheim gegen Bayern München. „Den Ball habe ich mir damals dummerweise nicht mitgenommen“, sagt Glatzel, der nach seinem Viererpack am Sonntag schlauer war.

Glatzel in Torjägerliste auf vierten Platz geklettert

Mehrere Kamerateams und ein gutes Dutzend Medienvertreter umrunden den 28 Jahre alten Fußballer am Tag nach seinem wahrscheinlich besten Spiel als Profi, was dem eher bescheidenen Glatzel fast schon unheimlich ist. „Man könnte auch Kinso (David Kinsombi, die Red.) herausheben. Der hat für Sonny Kittel gespielt und seine Sache direkt richtig gut gemacht“, sagt Glatzel, dessen Understatement-Versuche allerdings ins Leere laufen.

In den vergangenen fünf Spielen hat der Torjäger acht Tore erzielt und ist in der Torjägerliste der Zweiten Liga nach seinem Viererpack hinter seinem Vorgänger Simon Terodde (15 Tore in 17 Spielen/Torquote 0,88), St. Paulis Guido Burgstaller (15/21/0,71) und dem gerade von Paderborn zu Union Berlin gewechselten Sven Michel (14/19/0,74) mit seinen 14 Treffern in 21 Spielen (Torquote von 0,67 Toren) auf den vierten Platz geklettert. „Das bedeutet mir eigentlich nichts. Natürlich will ich Tore schießen, aber ich will vor allem mit der Mannschaft erfolgreich sein“, sagt er.

„Der HSV gehört einfach in die Bundesliga“

Gesteigerten Unterhaltungswert haben diese Aussagen nicht. Aber die Leistung auf dem Platz ist bei Glatzel Unterhaltung genug. Findet auch Dieter Gutzler, der in dieser Spielzeit noch eine ganze Menge von Glatzel und vom HSV erwartet. „Der HSV gehört einfach in die Bundesliga“, sagt der Ex-Darmstädter, der an die Hamburger und an Werder im engen Aufstiegsrennen glaubt.

Glatzel auf Völlers und Yeboahs Spuren
Neben Robert Glatzel ist bereits 35 Fußballern in der 2. Liga das Kunststück von mindestens vier Toren in einem Spiel gelungen. Die bekanntesten Vorgänger Glatzels: Rudi Völler (1982 mit 1860 München beim 5:2 gegen die Kickers Offenbach), Lukas Podolski (2005 bei Kölns 5:3-Sieg in Cottbus) und Anthony Yeboah (1989 bei Saarbrückens 7:1 gegen Osnabrück). Auch drei Hamburger haben bereits einen Viererpack in der Zweiten Liga erzielt – allerdings alle für den FC St. Pauli: 1999 traf Ivan Klasnic am letzen Spieltag beim 6:2-Kantersieg gegen die Stuttgarter Kickers viermal, genauso wie Nico Patschinski drei Jahre später beim 5:2-Auswärtssieg in Mannheim. 2015 brauchte Lennart Thy 73 Minuten für das Kunststück beim 4:0 gegen Düsseldorf. Am meisten Zeit ließ sich mit 83 Minuten übrigens Glatzel. 

Einer Überraschungsmannschaft traut Gutzler aber auch noch zu, bis zum Ende der Saison im wohl spannendsten Aufstiegskampf überhaupt oben dabei zu bleiben. Nein, nicht seinen Lilien aus Darmstadt, sondern dem 1. FC Heidenheim. „Die wären eigentlich mal dran“, sagt Gutzler, der noch immer in losem Kontakt mit den früheren HSV-Trainern Labbadia und Bernhard Trares steht.

HSV News: Glatzel hat noch Kontakt zu alten Kollegen

Heidenheim. Natürlich. „Für mich ist das wieder so ein ganz besonderes Spiel“, sagt Glatzel, dessen Profikarriere in dem 50.000-Einwohnerstädtchen im Osten Baden-Württembergs so richtig in Schwung kam. Nach 17 Toren in 55 Spielen wechselte der Münchner 2019 für sechs Millionen Euro auf die Insel zu Cardiff City, ehe er über die Zwischenstation Mainz 05 im vergangenen Sommer für eine Million Euro zurück nach Deutschland zum HSV kam.

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Doch auch zweieinhalb Jahre nach seinem Abschied aus Heidenheim hat Glatzel noch Kontakt zu seinen alten Kollegen. Besonders zu Denis Thomalla, mit dem er seit der gemeinsamen Zeit eine enge Freundschaft pflegt. Thomalla war es auch, der zu den ersten Gratulanten am Sonntag gehörte, die Glatzel nach dem Viererpack eine Glückwunschnachricht aufs Handy schickten.

Am Sonnabend muss die Freundschaft aber für 90 Minuten ruhen. Nur der Sieger kann sogar bis an die Tabellenspitze klettern. Robert Glatzel freut sich schon. Und Dieter Gutzler auch.