Hamburg. Der HSV wollte Bayerns Motika, hielt sich ansonsten wie St. Pauli und die Konkurrenten zurück. Nur Schalke rüstet auf. Die Gründe.

Über zu wenig Arbeit musste sich Thies Bliemeister am letzten Tag des geöffneten Transfermarkts nun wirklich nicht beklagen. Am Vormittag traf sich der Hamburger Spielerberater, dessen Eppendorfer Agentur Sports United im vergangenen Sommer mit dem englischen Weltmarktführer ICM Stellar Sports fusionierte, in Genua mit dem früheren HSV-Kaderplaner Johannes Spors, am Nachmittag glühten die Drähte zu Schalke 04 nach Gelsenkirchen. Berateralltag am sogenannten Deadline-Day.

„Viele sagen ja, dass in dieser Transferperiode weniger als sonst los war“, sagte Bliemeister. „Ich kann das nicht bestätigen.“

Anders als der HSV: Schalke schlägt zu

Am Montag verhandelte der Agent, auf dessen Visitenkarte „Managing Director and Partner“ von Stellar steht, zunächst einen Deal für Alkmaars Isländer Albert Gudmundsson (24) aus, der noch am selben Tag nach Italien wechselte, dann wurden am Telefon die letzten Details von Schalkes Winter-Neuzugang Nummer drei, dem Südkoreaner Dong-gyeong Lee (24) von Ulsan Hyundai, besprochen.

„Grundsätzlich ist der Transfermark im Winter immer schwieriger als der Markt im Sommer“, sagte Bliemeister. „Aber international hatte ich nicht das Gefühl, dass sich dieser Winter vom vorherigen Corona-Winter großartig unterschieden hat. Natürlich setzen viele Clubs weiterhin auf Leihgeschäfte.“

Beispielsweise zwei der drei Schalke-Neuzugänge sind Leihspieler: Lee, an dem im vergangenen Sommer auch der HSV großes Interesse zeigte, wurde mit einer Kaufoption ausgeliehen – genauso wie Sparta Prags Rechtsverteidiger An­dreas Vindheim (26). Nur Vindheims norwegischer Landsmann Marius Lode (28) kam ablösefrei vom FK Bodo/Glimt.

HSV wollte Bayern-Talent Motika

Auch der HSV hätte am letzten Tag der Transferfrist gerne noch einmal zugeschlagen, entschied sich aber auch aus finanziellen Gründen dagegen. „Grundsätzlich sind wir gut aufgestellt, deswegen habe ich mir auch am Deadline-Day keine großen Sorgen gemacht. Man muss die Kirche auch mal im Dorf lassen. Der Hype um den Deadline-Day gehört mittlerweile auch ein wenig zum Showgeschäft dazu“, sagte Sportvorstand Jonas Boldt, der sich am Montag gemeinsam mit Sport­direktor Michael Mutzel noch einmal um Bayern Münchens Toptalent Nemanja Motika (18) bemüht hatte.

Bereits im Dezember hatte Mutzel den Kontakt mit Berater Damir Smoljan aufgenommen, um die Möglichkeit eines Leihgeschäfts auszuloten.

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Boldt erklärt HSV-No-Deal

Motika hatte für die zweite Mannschaft des Rekordmeisters in 24 Regionalligaspielen 15 Treffer erzielt. Als sich nun andeutete, dass der HSV bei Leeds Uniteds Flügelstürmer Crysencio Summerville (20) nicht weiterkommen würde, wurden die Bemühungen um Motika intensiviert. Doch beim gebürtigen Berliner mit serbischen Wurzeln war man zu spät – oder konnte nicht genügend Gehalt bieten. Je nach Lesart. Am Nachmittag unterschrieb der Teenager bei Roter Stern Belgrad und soll dort mehr als 500.000 Euro pro Jahr verdienen.

Zu teuer war dem HSV auch das Gesamtpaket für die mögliche Verpflichtung von Sargis Adamyan (28/1899 Hoffenheim). „Wir lassen uns von der Hektik nicht treiben. Dazu kommt, dass im Januar ja auch ohnehin nicht ganz so viele große Deals ablaufen“, sagte Boldt, noch bevor bei Motika in Belgrad die Tinte trocken war. „Natürlich hat das auch mit Corona zu tun, dass die Clubs eher weniger machen. Das hat nicht nur finanzielle Gründe. Man überlegt ja schon, wie viele Spieler man abgeben kann für den Fall, dass es im Team einen Ausbruch gibt.“

Tatsächlich fällt auf, dass sich – bis auf Schalke – alle Zweitliga-Aufstiegsaspiranten mit Transfers in diesem Winter zurückhielten. Tabellenführer Darmstadt 98 „verstärkte“ sich mit Regionalligastürmer André Leipold von Wacker Burghausen, Nürnberg lieh sich Jens Castrop von Köln II aus der Dritten Liga.

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Werder Bremen und Heidenheim verzichteten auf Wintertransfers, während sich der HSV trotz vieler Verhandlungen „nur“ mit dem georgischen Offensivallrounder Giorgi Chakvetadze (22) aus Gent einigen konnte. St. Pauli holte niemanden, gab sogar Luis Coordes (Stuttgart II) und Marvin Knoll (Duisburg) ab. „Ich bin der Meinung, dass die wirtschaftlichen Auswirkungen von Corona einen entscheidenden Einfluss auf die zurückhaltenden Aktivitäten auf dem Transfermarkt haben“, sagte St. Paulis Sportchef Andreas Bornemann an einem für ihn entspannten Tag.

Bis um 18 Uhr gaben alle 18 Zweit­ligisten zusammen lediglich knapp über eine Million Euro für Neuzugänge aus. Zum Vergleich: Im letzten Winter vor Corona, also im Januar 2020, zahlten die damaligen Zweitligaclubs noch mehr als 3,5 Millionen für Nachbesserungen.

„In Deutschland wirtschaften die Fußballclubs seriös und mit Augenmaß. Deswegen ist es doch völlig logisch, dass die Vereine in Corona-Zeiten noch viel umsichtiger als ohnehin schon agieren“, sagte der frühere Bundesliga-Funktionär Michael Reschke (Schalke, Stuttgart, Bayern und Leverkusen), der vor einem Jahr die Fronten wechselte und nun als Europachef bei Bliemeisters Agentur ICM Stellar fungiert. „Leihgeschäfte werden aus wirtschaftlichen Zwängen weiter zunehmen“, sagte Reschke. „Und ich kann mir sogar vorstellen, dass es zukünftig auch häufiger Tauschgeschäfte zwischen zwei Clubs gibt.“

Boldt beim HSV: Gespräche mit vielen Beratern

Nicht nur die Zweite Liga war in diesem Januar zögerlicher als sonst. Im internationalen Vergleich gaben auch Deutschlands Erstligaclubs deutlich weniger Geld aus als die Clubs in den anderen Topligen. Mit knapp 61 Millionen Euro liegt die Bundesliga hinter der spanischen La Liga (65 Millionen Euro), der italienischen Serie A (150 Millionen Euro) und natürlich der englischen Premier League (255 Millionen Euro).

„Die deutschen Clubs haben auch einen wirtschaftlichen Nachteil im Vergleich zu vielen anderen europäischen Ligen, weil hier weiter auf Geisterspiele gesetzt werden muss und kein Verantwortlicher weiß, wann durch Zuschauereinnahmen Geld reinkommt“, sagte Reschke, der einst mit Boldt in Leverkusen tätig war.

„Schon im vergangenen Sommer hatte man das Gefühl, dass weniger Transfers über die Bühne gegangen sind als in Vor-Corona-Zeiten“, sagte Boldt, der in diesem Winter mit vielen Beratern im Kontakt stand, aber wie Andreas Bornemann einen ruhigen Deadline-Day erlebte. Wie übrigens auch Reschke und Bliemeister. Während Reschke sich auf ein leckeres Abendessen und ein Glas Wein um Punkt 18 Uhr freute, entschied sich Bliemeister für einen Besuch des Acquario di Genova, zweitgrößtes Aquarium Europas. Dort konnte er dann die wirklich großen Fische bestaunen.