Hamburg. Trotz eines schweren Starts beim Hamburger SV traut man keinem Trainer in den letzten Rückrunden so sehr den Aufstieg zu wie Walter.

Tim Walter ist ein echter Weihnachtsfan. Das hat der HSV-Trainer kurz vor den Festtagen in dem sehr persönlichen Podcast „Pur der HSV“ verraten. Er selbst sei im Hause Walter für das gute Essen – Fondue am Heiligen Abend, Wild mit Spätzle am ersten Weihnachtstag – und für die Geschenke verantwortlich. „Ich bin da derjenige, der vorangeht“, sagt der 46-Jährige, der nicht nur die Präsente für seine drei Kinder Maxima, Lara und Lennart besorgt, sondern auch entgegen aller Absprachen für seine Frau Katrin.

„Wir sagen immer, dass wir uns nichts schenken. Aber irgendwas gibt es dann trotzdem immer“, sagt Walter, der dieses Jahr sogar einen besonderen Wunsch von seiner Ehefrau erhalten hat. Er möge doch bitteschön die Kinder auch mal beim gemeinsamen Spielen zu Weihnachten gewinnen lassen.

HSV News: Walter „kann einfach schlecht verlieren“

Dem Vernehmen nach soll der Friede im Hause Walter über die Festtage trotz des sehr ausgeprägten Ehrgeizes des HSV-Trainers gehalten haben. „Ich kann einfach schlecht verlieren“, gibt Walter zu, der für dieses Weihnachtsfest aber Besserung gelobt hatte.

Wirklich Übung im besser Verlieren hatte Walter in den vergangenen Monaten allerdings nicht. Der gebürtige Bruchsaler hat an den 18 Spieltagen mit dem HSV lediglich zweimal (gegen St. Pauli und Hannover) verloren – kein Team in den ersten drei Profiligen ist bis Weihnachten seltener als Verlierer vom Platz gegangen. Allerdings gehört zur ganzen Wahrheit der Hinrunde auch dazu, dass kein Club aus den Top acht der Zweiten Liga so selten gewonnen hat wie der HSV mit seinen sieben Saisonsiegen.

FC St. Pauli feierte elf Siege

Zum Vergleich: Tabellenführer St. Pauli durfte sich über elf Siege freuen. Noch krasser: Kein HSV-Trainer, der mindestens 18 Spiele in der Zweiten Liga im Amt war, hat so wenige Erfolge in dieser Zeit errungen. Walter-Vorgänger Daniel Thioune holte im gleichen Zeitraum im vergangenen Jahr elf Siege, Dieter Hecking gewann immerhin achtmal bis zum Winter, und Hannes Wolf schaffte zehn Dreier in seinen ersten 18 Spielen.

Die kuriose Walter-Rechnung: Obwohl er weniger Siege als seine Vorgänger einfahren konnte und die Skepsis, die ihm vor seinem Amtsantritt entgegenschlug, so groß wie noch nie bei einem Zweitliga-HSV-Trainer war, ist die Zuversicht für die Rückrunde ausgerechnet bei Walter so groß wie noch nie. Bleibt die Frage: Wie kann das möglich sein?

„Der Trainer hat wirklich sehr gute Arbeit geleistet"

Sportdirektor Michael Mutzel hätte zumindest eine Idee einer Antwort: „Der Trainer hat wirklich sehr gute Arbeit in dieser Hinserie geleistet. Er hat diese jungen Burschen sehr gut im Griff, hat eine gut funktionierende Einheit geformt und ist sich auch nicht zu schade, hier oder da mal einen Rat anzunehmen und sich selbst zu hinterfragen oder Dinge anzupassen“, sagt Mutzel, der besonders den letzten Punkt für essenziell hält: „Aus meiner Sicht haben sich nicht nur viele Spieler entwickelt, er selbst hat sich auch weiterentwickelt.“

Spricht man mit Spielern und Verantwortlichen des HSV, dann lässt sich diese Weiterentwicklung relativ genau terminieren. Nachdem der HSV unter Walter zwar mit spektakulären Auftritten wie beim 3:1-Auftaktsieg gegen Schalke in die Saison gestartet ist, aber immer öfter die nötige Balance zwischen notwendigem Mut und tollkühnen Wagemut vermissen ließ, setzte man sich Mitte Oktober zusammen. Das Ergebnis dieses ersten Zwischenfazits: Spieler, Verantwortliche und der Trainer selbst waren vom grundsätzlichen Weg des Walter-Fußballs überzeugt, wollten aber im Sinne des Erfolgs Nachjustierungen.

Walter konnte Kritik lange nicht gut annehmen

Das Erstaunlichste an den Gesprächen: Auch Walter selbst war sich nicht zu schade, gemeinsam über Anpassungen nachzudenken. Im Podcast gibt er sehr selbstreflektiert zu: „Wenn mich jemand kritisiert hat, dann konnte ich damit in jungen Jahren nicht so wirklich umgehen. Da hatte ich viele Probleme. Aber Kritik zu bekommen ist wichtig. Man muss sie so einsetzen, dass es für einen positiv ist. Das muss man lernen.“

Walter lernte – und wurde belohnt: nach einer Reihe von Unentschieden, bei denen seine Mannschaft meist nur eine Halbzeit überzeugen konnte, nahm Walter ein paar taktische Anpassungen vor, überdachte das Thema Absicherung und durfte sich anschließend über drei deutliche Siege in Folge im Volkspark freuen: 4:1 gegen Regensburg, 3:0 gegen Ingolstadt und 3:0 gegen Rostock.

Walter eilte sein Ruf voraus

„Mir war immer wichtig, meinen eigenen Stil zu prägen. Ich versuche aber jeden Tag, mir weitere Dinge anzueignen, besser zu werden. Auch im Austausch mit meinem Trainerteam“, sagt Walter bei „Pur der HSV“.

So habe er unlängst auch in einem längeren Vieraugengespräch mit Sonny Kittel über seine Spielphilosophie gesprochen, zugehört und Fragen beantwortet. „Ich versuche, für die Jungs ein väterlicher Freund zu sein“, sagt Walter, der nicht nur einen besonderen Umgang mit seinem erfahrenen Führungsspieler Kittel (28) pflegt. Schon vor Walters Verpflichtung eilte dem Wahl-Münchner der Ruf voraus, konsequent auf Talente zu setzen.

Jonas David verdiente sich das Vertrauen

Und tatsächlich vertraute Walter in der Hinrunde der jüngsten Zweitliga-Mannschaft, machte zunächst den bis dahin nie berücksichtigten Innenverteidiger Jonas David (21) zum Stammspieler – und hatte auch kein Problem damit, ihn nach seinem Muskelfaserriss durch den anderthalb Jahre jüngeren Mario Vuskovic (20) zu ersetzen. Auch Ludovit Reis (21) hat sich unter Walter zum Stammspieler entwickelt, Anssi Suhonen (20) wurde immer mal reingeworfen.

Als das wohl eindrucksvollste Beispiel gilt aber Faride Alidou, dem außer Walter keiner beim HSV eine derartige Entwicklung zugetraut hatte. Im Sommer hatte Sportdirektor Mutzel noch versucht, Alidou an einen Drittligisten zu verleihen. Auch die zahleichen HSV-Jugendtrainer, die den 20-Jährigen in den vergangenen zehn Jahren trainierten, glaubten nur bedingt an den ganz großen Wurf. Talent? Ja. Aber intrinsische Motivation, Ehrgeiz und professionelle Einstellung? Nein, nein und nein. Die einhellige Meinung aller HSV-Verantwort­lichen: gut, aber nicht gut genug.

Walter war der Einzige, der wirklich an Alidou glaubte

Und dann kam Walter. Der Coach hat nicht nur ein Auge für Talente, er weiß auch mit ihnen umzugehen. „In vielen Spielern sehe ich den jungen Tim Walter. Deswegen versuche ich auch bei den Jungs einfühlsam zu sein, wenn es geht. Es gibt aber auch Zeiten, in denen ich mal ein bisschen härter sein muss.“ Eben Zuckerbrot und Peitsche. Der Trainer nimmt Alidou in den Arm, wäscht ihm aber auch den Kopf, wenn er es nötig hat.

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Walter will ein Trainer auf Augenhöhe sein. Spieler dürfen ihn duzen – und er nimmt auch gerne an den zahlreichen Spielchen nach dem Training teil. „Zeit zusammen verbringen, ist das Wichtigste neben dem Fußball“, sagt der Coach, bei dem im Volkspark immer wieder das Spielkind durchkommt.

HSV News: Im Club kehrt Ruhe ein

So hätten er und Vuskovic (20) gerade erst kürzlich Jonas Meffert (27) und Miro Muheim (23) beim Teqball – eine Art Tischtennis-Fußball auf einer speziell gewölbten Platte – bezwungen: „Die haben wir abgezogen.“ Er selbst würde dagegen immer gegen Co-Trainer Merlin Polzin verlieren. Den hatte einst Vorgänger Thioune mit aus Osnabrück gebracht. Dieser sagte nach Jahren der gemeinsamen Zusammenarbeit, dass er noch nie ein Bier mit seinem
Assistenten getrunken habe.

Weitere Alidou-Verhandlungen sind geplant
Alidou: Nach dem ersten Austausch zwischen Sportvorstand Jonas Boldt und Frankfurts Markus Krösche sollen weitere Gespräche zwischen der Eintracht und dem HSV über einen vorzeitigen Wechsel von Faride Alidou nach Frankfurt folgen.Amaechi: Beim Trainingsauftakt am 30. Dezember wird neben Tommy Doyle (20) auch Xavier Amaechi (20) fehlen. Beide haben Weihnachten in England gefeiert und müssten ohnehin in Quarantäne. Während für Doyle nach einer neuen Lösung gesucht wird, soll Amaechi nun bis Saisonende an die Bolton Wanderers verliehen werden.

Mehr als nur ein Bier würden Walter und Polzin nur allzu gerne auf einer gemeinsamen Aufstiegsfeier zusammen trinken. „Ich habe das Gefühl, dass hier im Club Ruhe einkehrt“, sagt Walter. „Dieses Gefühl hatte ich beim HSV in den vergangenen Jahren nicht.“ Und dass Ehefrau Katrin dieses Gefühl bei den Spieleabenden der vergangenen Jahre nicht hatte, das steht dann doch auf einem ganz anderen Papier.