Hamburg. Er hat vielleicht den ungewöhnlichsten Karriereweg aller Zweitliga-Fußballer hinter sich. Wie schwierig es war, ein Großer zu werden.

Wahrscheinlich könnte man Maximilian Rohr als Senkrechtstarter dieser HSV-Saison bezeichnen. Der Mittelfeldmann kam im Sommer von der U21 zu den Profis, überzeugte im Trainingslager, durfte am ersten Spiel auf Schalke direkt spielen und bereite sogar ein Tor vor. Ein echter Schnellstarter also, wenn diese Geschichte nicht einen Haken hätte: Rohr ist bereits 26 Jahre alt – und damit der mit Abstand älteste Profidebütant beim HSV. Darüber sollte man reden.  

Hamburger Abendblatt: Herr Rohr, Sie haben vor einem knappen Monat mit 26 Jahren Ihr erstes Profispiel absolviert. Wie war es denn?

Maximilian Rohr: Genial. Plötzlich steht man auf Schalke auf dem Rasen und ist mittendrin. Und das mit 26! Das Trikot bleibt für immer und ewig im Familienbesitz.

Hand aufs Herz: Hatten Sie überhaupt noch den Traum und das Ziel, Profi zu werden?

Rohr: Der Traum, Profi zu werden, war zwischendrin schon mal abgehakt. Ich hatte meine Anfänge im Herrenfußball in der Kreisliga – da träumt man nicht mehr vom Stadion auf Schalke oder vom Volksparkstadion. Und als ich dann mit 22 Jahren in der Oberliga spielte, habe ich mir gesagt, dass ich jetzt realistisch sein muss. Deswegen habe ich eine Ausbildung zum Bürokaufmann angefangen.

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Lassen Sie uns noch mal eine Station zurückspulen. Stimmt die Geschichte, dass Sie sich nach Ihrem Engagement in Eppingen beim SSV Reutlingen per E-Mail beworben haben?

Rohr: Die Geschichte stimmt tatsächlich. Ich hatte ein Probetraining beim Oberligisten in Hollenbach und bin damals leider nicht genommen worden. Als ich mit meiner Freundin, die damals in Reutlingen gewohnt hat und noch gar nicht so richtig meine Freundin war, im Auto unterwegs war, habe ich auf dem Beifahrersitz gesessen und einfach mal eine
E-Mail an info@ssv-reutlingen.de geschickt und gefragt, ob ich nicht mal zum Probetraining vorbeikommen kann.

Und dann wurde die E-Mail an den Manager weitergeleitet und der hat Sie zurückgerufen?

Rohr: Nein. Ich habe eine E-Mail zurückbekommen mit den Trainingszeiten von der Zweiten Mannschaft. Da bin ich dann hingegangen, konnte überzeugen und zwei Wochen später durfte ich dann auch bei der Ersten Herrenmannschaft mittrainieren.

Und die Freundin auf dem Fahrersitz?

Rohr: Ist auch heute noch meine Freundin. Der Schritt, nach Reutlingen zu gehen, hat sich gelohnt. (lacht)

Nach zwei Jahren in Reutlingen sind Sie dann zum SGV Freiberg gewechselt,…

Rohr: …weil ich dort parallel zum Fußball eine Ausbildung zum Bürokaufmann in der Firma des Präsidenten vom SGV machen konnte. Er hatte ein Dachdeckerunternehmen und ich wollte eine Alternative zum Fußball in der Hand haben. Von 8 bis 16 Uhr habe ich gearbeitet, eine Stunde Pause und dann abends zum Training. Mir hat das aber Spaß gebracht. Deswegen habe ich die Ausbildung auch nicht aufgegeben, als ich das Angebot bekam, in Jena in der Dritten Liga Fußball zu spielen.

Haben Sie die Ausbildung abgeschlossen?

Rohr: Noch nicht ganz. In diesem Herbst habe ich meine Abschlussprüfung an der Handelskammer in Hamburg.

Trauen Sie Ihrem Profiglück noch nicht?

Rohr: Doch, schon. Aber ich bin ja nicht mehr im ersten Lehrjahr. Dann hätte ich möglicherweise irgendwann abgebrochen. Jetzt habe ich aber 85 Prozent der Ausbildung geschafft – dann schaffe ich auch noch die letzten 15 Prozent. Es schadet mir ja nicht. Und im Fußball weiß man ja nie. So habe ich ein zweites Standbein, das mir danach keiner mehr wegnehmen kann.

Sie sind spät eingestiegen ins Profigeschäft, aber natürlich noch viel zu jung, um jetzt schon über Ihr Karriereende nachzudenken. Erlauben Sie uns trotzdem die Frage: Können Sie sich vorstellen, nach der Fußballkarriere zurück in Ihren Bürojob zu wechseln?

Rohr: Gute Frage! (überlegt lange) Mit einer kaufmännischen Ausbildung zum Bürokaufmann hat man ja viele Optionen. Da überlege ich dann noch mal, wenn es wirklich so weit ist. 

Miroslav Kloses Karriereweg galt einst als ungewöhnlich, weil er zunächst in der Bezirksliga Westpfalz in der siebten Liga spielte. Er wurde aber bereits mit 22 Jahren Bundesligaspieler. Wenn er also ein Spätstarter sein soll, was sind dann Sie?

Rohr: Ein Spätspätstarter (lacht). Mir ist schon bewusst, dass ich einen ungewöhnlichen Karriereweg hinter mir habe. So eine Vita findet man sicherlich nicht so oft in der Zweiten oder Ersten Liga. Deswegen bin ich umso glücklicher, dass mir mit 26 Jahren noch mal diese Chance eröffnet wird, aber auch weil ich sie mir erarbeitet habe.

Wie ist Ihr Fazit nach einem Monat als echter Zweitligaprofi: Ist Fußballprofi denn überhaupt so ein Traumjob?

Rohr: Viele wissen wahrscheinlich nicht, dass zum Fußballerdasein ein wenig mehr dazu gehört, als ab und an gegen den Ball zu kicken. Aber natürlich ist es ein Traumjob. Ich gehe doch lieber extra länger in den Kraftraum als länger ins Büro.

Ihr Traum vom Profidasein ist ja eigentlich auch gar nicht in Eppingen, Reutlingen oder Freiberg geplatzt, sondern schon viel früher im Nachwuchs beim KSC. Dort wurden Sie als 14-Jähriger aussortiert, weil Sie zu klein waren?!?

Rohr: Das will mir heute, wo ich 1,93 Meter groß bin, tatsächlich keiner mehr glauben. Aber Sie können mal Tim Walter fragen. Denn er hat mich in der U14 beim KSC trainiert. Und damals war ich mit Abstand der Kleinste in der Mannschaft. Als wir uns jetzt zum Saisonstart beim HSV wiedergetroffen haben, konnte er es gar nicht glauben. Wir hatten uns ja mehr als zehn Jahre nicht mehr gesehen. Er hat dann jedem in der Kabine erzählt: „Der Maxi war der Kleinste, das glaubst du nicht! Der war ein Super-Fußballer, aber miniklein.“

Und Tim Walter hat Sie damals aussortiert?

Rohr: Nein. Nach dem Jahr bei Tim ging es für mich unter einem anderen Trainer nicht mehr beim KSC weiter. Mir wurde gesagt, dass ich einfach zu klein und schmächtig sei. Ich habe damals im Sturm gespielt und in Karlsruhe wollten sie einen größeren Stürmer haben. Ich war noch mit 17 Jahren 1,70 Meter, mit 18 Jahren 1,75 Meter und als meine Jugendzeit vorbei war, schoss ich plötzlich auf 1,93 Meter in die Höhe. Fragen Sie mich nicht, wie das passieren konnte. Es ist einfach passiert.

Da brauchten Sie ja wahrscheinlich jede zweite Woche neue Jeans, oder?

Rohr: Das stimmt schon. Aber die Länge war gar nicht das Pro­blem. Mein Vater war auch ein Riese, deswegen hat jeder Kinderarzt immer gesagt, dass ich noch einen späten Wachstumsschub bekommen werde. Mein Gewicht war ein bisschen problematisch, weil ich so schmächtig war. Ansonsten hatte ich aber gar keine körperlichen Pro­bleme, die man ja oft hat, wenn man plötzlich so stark wächst. Vielleicht lag das auch daran, dass ich zu dem Zeitpunkt nur noch zum Spaß Fußball gespielt und nur noch zweimal die Woche trainiert habe.

Wenn einem 14-Jährigen gesagt wird, dass es nicht reicht, ist das wahrscheinlich gar nicht spaßig.

Rohr: Überhaupt nicht. Ich bin dann zum FC Astoria Walldorf gegangen mit dem klaren Hintergedanken, dass mich der KSC ein Jahr später unbedingt zurückhaben will. Wollte der KSC aber nicht – und auch Astoria wollte mich nicht mehr. Da wollte ich eigentlich mit Fußball aufhören. Mein Vater hat mir dann gesagt, dass ich doch einfach einen Verein suchen soll, wo ich nur noch aus Spaß kicke – und wo man auch am Abend vor dem Spiel mal auf eine Party gehen kann. Das habe ich dann in Eppingen gemacht – und das war für mich das Beste, was mir passieren konnte. Mit den Jungs von damals bin ich heute noch gut befreundet.

Auch Ihre HSV-Zeit passt perfekt zum Rest Ihrer ungewöhnlichen Karriere. Sie sind vor einem Jahr in die Regionalligamannschaft gewechselt, haben aber wegen der langen Corona-Pause kaum gespielt. Haben Sie im Sommer ernsthaft gehofft, dass Sie sich jetzt bei den Profis durchsetzen?

Rohr: Ich habe es mir schon zugetraut. Und ich habe mich auch über Tim Walters Verpflichtung gefreut. Ich hatte das Gefühl, dass das fußballerisch passt – und ich war ja inzwischen auch ein wenig gewachsen (lacht).

Unter Tim Walter in der Jugend haben Sie im Sturm gespielt, in der dritten Liga in Jena haben Sie in der Abwehr gespielt und jetzt dürfen Sie als Sechser oder Achter im Mittelfeld ran. Wann probieren Sie sich mal im Tor aus?

Rohr: (lacht) Wie sagt man so schön: Ich spiele da, wo mich der Trainer hinstellt. Meine Lieblingsposition ist die Innenverteidigung. In erster Linie bin ich einfach happy, dass ich mit 26 Jahren mir diesen Kindheitstraum noch erarbeitet habe und am Sonntag vor rund 18.000 Zuschauern im Volksparkstadion dabei bin.