Hamburg. Hamburgs Bürgermeister spricht vorm Derby über seine Beziehung zu beiden Clubs und nennt die Corona-Auflagen für Fans im Stadion.
Die kurze Anreise vom Rathaus zum Hamburger Abendblatt am Großen Burstah nutzte Peter Tschentscher zu einem kleinen Spaziergang. In den Redaktionsräumen angekommen, hatte der Erste Bürgermeister beim Termin mit dem Fotografen am Kickertisch die Wahl zwischen Angriff und Verteidigung. „Angriff!“, sagte der 55-Jährige spontan und griff beherzt an die Stangen für die Offensive.
Interviews zu führen, ist für Tschentscher Routine. Eigentlich. Am vergangenen Freitag war alles anders. Dieses Mal ging es ausnahmsweise nicht um die große Politik, sondern um das wichtigste Sportereignis der kommenden Tage: das Derby zwischen dem FC St. Pauli und dem HSV am Freitag (18.30 Uhr) im Millerntor-Stadion. Knapp eine Stunde nahm sich Hamburgs Regierungschef Zeit, um im Abendblatt-Podcast „HSV – wir müssen reden“ über Fußball und Sport zu reden. Aber natürlich ging es am Ende dann doch auch um Inzidenzen, um Zuschauerbeschränkungen bei Massenveranstaltungen.
HSV-Fan Tschentscher: St. Pauli ist ein cooler Verein
Dass sein Herz eindeutig für den HSV schlägt, daraus machte Tschentscher gleich zu Beginn des Gesprächs („Es geht bei mir schon in Richtung Fan“) kein Geheimnis. Doch fast im gleichen Atemzug machte er deutlich, dass er sich als Hamburgs Bürgermeister genauso über gute Spiele der Braun-Weißen freue. „Ich halte den FC St. Pauli für einen besonderen, einen coolen Fußballverein.“ Und weiter: „Der HSV und der FC St. Pauli sind zwei ganz unterschiedliche Vereine, die beide in der Sportstadt Hamburg eine wichtige Aufgabe haben, nämlich die fußballbegeisterten Menschen mitzunehmen. Deswegen ist es ein Geschenk für unsere Stadt, dass wir zwei so populäre Vereine haben.“
Klar, er will ein Bürgermeister für alle sein und würde nie nur einen Teil Hamburgs repräsentieren wollen, auch nicht im Sport. Deshalb würde er auch nie mit einem HSV-Schal (den er durchaus besitzt) um den Hals während eines Derbys auf der Tribüne sitzen, sondern nur mit einem „geteilten Schal“, der beide Logos zeigt. Tschentscher weiß natürlich, dass für viele Menschen der Fußball etwas Grandioses, aber zugleich sehr Ernsthaftes ist.
Willem-Alexander spricht Tschentscher auf HSV an
Aber: „Es sollte nicht zu Feindschaften und Gewalt führen.“ Wie groß die Strahlkraft des Fußballs ist, zeigte sich kürzlich während einer Begegnung mit dem niederländischen König Willem-Alexander in Berlin. „Er sprach mich an und fragte mich: ,Mensch, was macht denn euer HSV?’ So weit reicht die Wirkung des Fußballs.“
Tschentscher ist überzeugt, dass die Profivereine auch das Image der Stadt maßgeblich bestimmen. „Wenn ein HSV-Spiel unfair verläuft, sagen die Leute in Deutschland: Die Hamburger haben das oder das gemacht. Genauso wie wir umgekehrt nach München schauen. Sport hat eine Vorbildfunktion. Je fairer, desto besser, auch was das Fanverhalten betrifft. So etwas prägt das Bild unserer Stadt nach außen. Deshalb bin ich froh, wenn wir Toleranz vermitteln und die Vereine zum Beispiel während der Uefa-Spiele die Regenbogenfahne flaggen. Wir sind eine offene, vielfältige Stadt, das sollte auch im Sport deutlich werden.“
Tschentscher lobt kritische Haltung des FC St. Pauli
Und auch eine diskussionsfreudige Stadt soll Hamburg sein. „Ich finde es sehr sympathisch, wenn ein Sportverein wie der FC St. Pauli sagt: Wir sind anders, wir haben eine kritische Sicht auf den Profifußball. Wir brauchen diese Diskussionen auch: Verläuft der Profisport noch in geordneten Bahnen, oder eskaliert da was?“ Was er meint: „Ist es richtig, immer höhere Ablösesummen zu bezahlen? Es steht uns gut zu Gesicht, über diese Fragen in Hamburg kritisch nachzudenken.“
Gleichwohl kann sich Tschentscher lebhaft vorstellen, dass manch ein St.-Pauli-Anhänger, der alternative politische Ideen und Sichtweisen verfolge, kein Fan des Bürgermeisters ist, der ja zum Establishment gehöre. Aber das stört ihn nicht, im Gegenteil. „Politik lebt von Opposition, von Widerspruch, von unterschiedlichen Ideen.“
Hamburgs Bürgermeister macht Fußballfans Hoffnung
Am Freitagabend dürfen erstmals wieder Fans beider Lager im Stadion sein. Womit wir dann doch wieder bei einem Thema waren, das ihn seit Monaten intensiv beschäftigt – Corona. „Wir müssen uns natürlich perspektivisch überlegen: Was ist im Herbst, wenn die Inzidenz insgesamt in Deutschland wieder steigt?“, sagt Tschentscher. „Deshalb sollten wir so schnell wie möglich alle Erwachsenen impfen. Bei den 18- bis 59-jährigen müssen wir noch aufholen. Wenn wir eine hohe Impfquote haben, dann erledigt sich die Pandemie für uns. Wenn das nicht ausreichend gelingt, wird es wahrscheinlich darauf hinauslaufen, dass wir Beschränkungen haben. Aber eben nicht für die Geimpften.“
Dennoch macht er allen Fußballfans Hoffnung: „Ich kann mir gut vorstellen, dass wir im Herbst Fußballspiele haben mit vielen Zuschauern. Ich hoffe, dass wir keine Geisterspiele mehr sehen. Aber dazu gehört, dass sich alle zur Impfung begeben.“
Tschentscher bleibt seinem Corona-Kurs treu
Neben den Geimpften könnten dann auch verlässlich Getestete, also Menschen mit einem aktuellen PCR-Test, zugelassen werden. „Bei der Enge in einem Stadion können Sie aber nicht die Plätze mit Ungeimpften durchmischen. Es könnte ähnlich sein wie in der Kreuzfahrtbranche, die Fahrten nur für Geimpfte anbietet.“
Seinen Kurs in der Pandemie, den er als „konsequent“ bezeichnet, will er weiterverfolgen. Skeptisch äußert er sich zu Massenveranstaltungen in Hamburg: „Im Stadion gibt es einen regulierten Bereich, Sie können die Zuwegung organisieren. Große Strecken bei den Cyclassics oder dem Marathon durch die gesamte Stadt lassen sich bei den Zuschauern schwer steuern. Kaum eine Stadt hat sich bisher getraut, so etwas wieder zu organisieren.“
In dem Zusammenhang erinnert er an die Infektionsereignisse in Großbritannien: „Das waren Massenveranstaltungen, die sich auswirken. Deswegen, selbst unter freiem Himmel: Angesichts der hochinfektiösen Virusvarianten müssen wir vorsichtig sein.“
Lesen Sie auch:
- Der FC St. Pauli kämpft gegen den Pokalfrust
- Vor allem das Gegentor bringt Tim Walter in Rage
- Wie Jansen gegen das schwindende Interesse am HSV kämpft
Aber jetzt steht erst mal das Derby an. Allerdings ohne ihn auf der Tribüne, was kein gutes Omen für den HSV ist. Denn bei seinem letzten Besuch am Millerntor im März 2019 sprang für seinen Herzensclub ein 4:0-Sieg heraus. Bleibt die Frage nach seinem Ergebnistipp. „Ich hoffe, es wird ein faires Spiel. Auf jeden Fall bleiben ja alle Punkte in Hamburg.“ Da ist er wieder, der Fußball-Diplomat.
Hamburgs Bürgermeister war im Fußball aktiv
Peter Tschentscher über …
- … seine aktive Fußballerkarriere: „Zwei, drei Jahre war ich in der Jugend beim TuS Eversten aktiv, dem Verein im Stadtteil Oldenburgs, wo ich gewohnt habe. Meine Position war linker Verteidiger. Aber irgendwann hat sich das verloren, andere Dinge wie Judo oder das Klavierspielen kamen dazu. Wenn man sich für den Fußball entscheidet, ist das ja doch mit großem zeitlichem Aufwand verbunden, mit dem Training und den Spielen am Wochenende.“
- … seine Beziehung zu Bremen und dem SV Werder: „Ich bin zwar in der Nähe des Weser-Stadions geboren, im Klinikum Bremen-Mitte. Aber die längste Zeit meines Lebens habe ich in Hamburg verbracht und bin ein sehr überzeugter Hamburger Bürger. Eine Beziehung zu Werder Bremen hatte ich nie. Mit dem HSV verhält es sich anders, bei den Spielen fiebere ich schon mit.“
- … einen besonderen HSV-Moment: „Ich war 2015 beim Public-Viewing im HSV-Stadion, als der HSV in Karlsruhe die Rettung in der Relegation schaffte. Der Jubel war so groß, als hätte man gerade die Meisterschaft gewonnen. Das ist doch großartig, dass die Fans so zu ihrer Mannschaft stehen.“
- … die Attraktivität der Bundesliga und der Zweiten Liga: „In der Ersten Liga geht es im Grunde nur noch darum, ab welchem Spieltag Bayern München Meister ist. Da ist die Zweite Liga spannender, gerade vor dem Hintergrund, ob der HSV und der FC St. Pauli die Kurve kriegen und aufsteigen. Dieses Ereignis eines Wiederaufstiegs stelle ich mir großartig vor, ich hoffe sehr, dass wir das in Hamburg erleben.“
- … eine Einladung ins Rathaus im Falle des Aufstiegs: „Man hat mir gesagt, dass man so etwas nicht sagen soll, weil es ein schlechtes Zeichen sei. Ich meine: Gute sportliche Leistungen sollten wir im Rathaus würdigen. Ein Stück weit lebt die Begeisterung einer Sportstadt auch davon, dass Erfolge gefeiert und gewürdigt werden. Deshalb würde es die Einladung auf jeden Fall geben. Die Vereine können dann ja entscheiden, ob sie sie annehmen.“
- … seinen Fußballkonsum: „Ich schaue mir gerne HSV-Spiele an, wenn es die Möglichkeit gibt. Aber es ist nicht so, dass es mein Leben bestimmt. Zeit ist ein knappes Gut in meinem Amt, ich muss viele andere Dinge im Kopf behalten.“
- … Fußball im Senat: „Wenn wir im Senat zusammenkommen, müssen wir unsere politischen Themen im Blick haben und kümmern uns auch sehr ernsthaft darum. Deswegen gibt es vielleicht einmal eine Bemerkung am Rande, aber nicht so prominent.“
- … Geld und Fußball: „Der FC St. Pauli hat mit viel Begeisterung die geringeren wirtschaftlichen Möglichkeiten ausgeglichen. Das ist eben auch Fußball: Geld ist nicht alles. Auch der HSV musste lernen, dass man sehr viel Geld ausgeben kann und der Erfolg trotzdem ausbleibt. Fußball ist am Ende ein Gesamtkunstwerk, in dem man sich den Erfolg nicht einfach kaufen kann.“
- … den Kauf des HSV-Grundstücks: „Das war ein fairer Deal, eine Win-win-Situation. Was viele vielleicht nicht wissen: Auch die Wettbewerbskommission in Brüssel achtet darauf, dass ein wirtschaftlich am Markt tätiger Profiverein nicht einfach Steuergeld erhält. Es muss ein für beide Seiten gut darstellbares Geschäft sein.“
- … HSV-Präsident Marcell Jansen: „Marcell Jansen ist ein großer Gewinn für den HSV. Er bringt vieles mit: Fachkenntnis im Fußball, eine sympathische Persönlichkeit und trotz seines jungen Alters ist er Profi in der Vereinsorganisation. Er ist ein sehr korrekter Typ.“
Der Podcast zum Nachhören: