Hamburg. Ein Jahr nach seinem Kreuzbandriss spricht der Finne Suhonen über die Leidenszeit. Nun darf er auf die Startelf beim HSV hoffen.
Er lief und lief und lief. Wer Anssi Suhonen auch am Mittwoch wieder im Training beobachtete, der sah einen nimmermüden Dauerläufer. Aufgedreht wie ein Duracell-Hase sprintet das 20 Jahre alte HSV-Talent seit Beginn der Vorbereitung über den Platz. Dabei zieht der junge Finne nahezu jeden Zweikampf an sich, als würde ihm der Moment, wenn seine Knochen die seines Gegenspielers treffen, besonders Spaß machen.
Selbstverständlich ist das nicht. Schließlich ist es gerade einmal ein Jahr her, dass Suhonen nach einem Training mit der U21 eine Schock-Nachricht erhielt: Kreuzbandriss. „Ich musste die Diagnose erst einmal auf Finnisch übersetzen“, sagt der Youngster.
HSV-Talent Suhonen spricht über Kreuzbandriss
Suhonen sitzt zwölf Monate danach beim Gespräch mit dem Abendblatt und erinnert sich an den Augenblick, der seine Karriere verändern sollte. „Der Moment, als ich verstand, acht bis zehn Monate auszufallen, war sehr schwer für mich.“ Plötzlich schien alles, wofür er sein noch junges Leben hart gearbeitet hatte, in weite Ferne zu rücken. Der Traum vom Profi – er drohte zu platzen.
Unter Ex-Coach Daniel Thioune sollte der aggressive Mittelfeldspieler, der am liebsten im Zentrum auf der Acht zum Einsatz kommt, bereits die Vorbereitung mit der Zweitligamannschaft absolvieren. Doch wenige Tage vor dem Start riss das vordere Kreuzband im rechten Knie – eine monatelange Leidenszeit begann. „Ich musste mich jeden Tag durchs Krafttraining quälen, während die anderen Jungs auf dem Platz trainierten. Das mit anzusehen, tat mir sehr weh.“
HSV: Anssi Suhonens Stärke ist Mentalität
Ein Jahr danach ist Suhonen zurück. Und zwar so, als wäre er nicht weg gewesen. Mit seinem Fleiß, seiner Mentalität und seiner Leidenschaft hat er sich unter Trainer Tim Walter zum heimlichen Gewinner der Vorbereitung entwickelt.
Fragt man den jungen Finnen, warum er wieder ganz der Alte ist, dann nennt er den Kreuzbandriss als Schlüsselerlebnis. Noch während der Reha passierte in Suhonen etwas, das als Wendepunkt seiner Leidenszeit bezeichnet werden darf. Der damals 19-Jährige bemerkte, dass er durch das Muskelaufbautraining eine bessere körperliche Stabilität entwickelte, die seiner Zweikampfführung zugutekommen sollte.
Und so redete er sich ein, dass seine schwere Verletzung auch etwas Positives haben könnte. „Vom Kopf her war ich zum Glück immer mental stark. Ich habe fest daran geglaubt, wieder das Niveau vor meiner Verletzung zu erreichen“, sagt er.
Wie Anssi Suhonen beim HSV landete
Um zu verstehen, wie Suhonen zu seiner mentalen Stärke gekommen ist, genügt ein Blick in die Vergangenheit. Als ihn der HSV 2017 aus Finnland als vielversprechendes Talent verpflichtet hatte und in den Campus einziehen ließ, sprach der damals 16-Jährige kein Wort Deutsch.
„Messer“ war eines seiner ersten Wörter, die er lernte, weil die für die Nachwuchsspieler zuständige Betreuerin beim Mittag energisch auf ein Messer zeigte. „Es war schwer, Deutsch zu lernen“, räumt Suhonen vier Jahre später in solidem Deutsch ein. „Am Anfang konnte ich mir nur mit Google Translate sowie Händen und Füßen behelfen.“
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Doch auch beim Lernen der Fremdsprache zeigte der Youngster den gleichen Eifer wie auf dem Platz. Teilweise drei Stunden am Tag paukte Suhonen Vokabeln – mit Erfolg. Dabei grenzt es an einen glücklichen Umstand, dass er die anderen Talente beim HSV überhaupt als seine Mitspieler bezeichnet. Kurz bevor er sich 2017 für einen Wechsel nach Hamburg entschied, absolvierte er noch ein Probetraining beim 1. FC Köln. Letztlich gab sein gleichaltriger Landsmann Tobias Fagerström, der damals bereits seit einem Jahr im Campus wohnte, den Ausschlag für den HSV. „Er hat mir bei der Eingewöhnung geholfen“, erinnert sich Suhonen.
Ex-HSV-Trainer schwärmt über Anssi Suhonen
Während Fagerström inzwischen nicht mehr beim HSV unter Vertrag steht, spielte sich Suhonen bei seinen Nachwuchstrainern in den Vordergrund. „Anssi hat beim HSV neue Maßstäbe im Nachwuchs gesetzt“, sagt sein damaliger U-19-Coach Daniel Petrowsky. „Er ist für alle im Verein ein Sinnbild für Mentalität, Einsatz und Siegeswille.“ Doch auch seine Wendigkeit und Ausdauer haben Petrowsky imponiert. „Anssi ist wie ein Duracell-Hase mit Photonenantrieb, möchte immer den Ball haben und ist nicht totzukriegen“, sagt der 44-Jährige, dessen Zeit beim HSV vor wenigen Wochen endete, über seinen früheren Schützling. „Im Zweikampf ist er giftig, wie eine Klette.“
Es sind genau diese Eigenschaften, die dazu führten, dass Suhonen nach seiner Reha und gerade einmal drei Trainingseinheit mit der U21 einen Anruf von HSV-II-Trainer Pit Reimers erhielt, der den Youngster über seine Trainingslagerteilnahme unter Tim Walter informierte. „Natürlich habe ich darauf gehofft, aber es war nicht damit zu rechnen. Ich war schließlich ein Jahr lang nicht dabei.“
HSV-Talent Suhonen scheut keinen Zweikampf
Gerade weil sich Suhonen ein Jahr lang zurückkämpfte, ist es umso bemerkenswerter, dass er bei keinem Zweikampf zurückzieht. Häufig tun sich sogar seine Gegenspieler in den direkten Duellen weh – und das trotz seiner überschaubaren Größe von 1,70 Meter. „Anssi ist sehr lernwillig und super fleißig“, sagt auch Sportvorstand Jonas Boldt. „Er ist einer, der viele Extraschichten macht – das hat man schon in der Jugend gemerkt.“
Doch von der Jugend will sich Suhonen nun verabschieden. In allen drei Tests hinterließ er einen erfrischenden Eindruck und verpasste als einziger Spieler gegen Augsburg (2:2) und Silkeborg (1:0) keine Spielminute. Ein Fingerzeig für den Saisonstart beim FC Schalke 04? „Ich möchte in dieser Saison mein Debüt schaffen“, stapelt Suhonen seine Ziele tief. Eine nachvollziehbare Aussage nach seiner Leidenszeit, die nun der Vergangenheit angehört.