Hamburg. Beim Spitzenreiter VfL Bochum ist der Hamburger SV alles andere als der Favorit. Trainer Daniel Thioune gefällt die Rolle.

Am 3. Februar 2020 war Daniel Thioune zuletzt an der Castroper Straße in Bochum. Ein Montagabend, Flutlicht, Regen. Der Fußballlehrer war damals noch Trainer des VfL Osnabrück und schaute sich im Stadion an, wie der HSV nach einem halben Jahr wieder ein Auswärtsspiel gewann. Zeit, dass sich was dreht, lautete das Motto des Abends für die Hamburger, die nach dem 3:1-Sieg am 20. Spieltag im voll besetzten Vonovia-Ruhrstadion mit 37 Punkten auf dem zweiten Platz lagen, während Bochum auf den 16. Rang abstürzte und weiter gegen den Abstieg kämpfen musste.

Rund ein Jahr später hat sich einiges gedreht. Das Stadion in Bochum wird zwölf Monate nach Beginn der Corona-Pandemie in Deutschland weiterhin leer sein. Daniel Thioune ist jetzt Trainer des HSV, und der VfL Bochum ist kein Abstiegskandidat mehr, sondern Tabellenführer der Zweiten Liga.

HSV könnte Anschluss an direkte Aufstiegsplätze verlieren

Mit einem Sieg gegen den HSV (18.30 Uhr/Sky und im Liveticker auf abendblatt.de) könnte der Revierclub mit den Planungen für die Bundesliga beginnen. Die Hamburger dagegen müssen aufpassen, nach fünf sieglosen Spielen nicht den Anschluss an die direkten Aufstiegsplätze zu verlieren. Thioune erinnerte sich daher am Donnerstag auch an den berühmten Songtitel des Bochumers Herbert Grönemeyer und sagte: „Zeit, dass sich was dreht.“

Der HSV steht dabei am Freitag vor einem Novum: Erstmals in dieser Saison wird dem Thioune-Team nicht die Rolle des Favoriten zugeschoben. Bochum ist bislang die Mannschaft der Saison, hat die meisten Siege (15) geholt, das beste Torverhältnis (+21) erspielt und zudem die meisten Punkte im Kalenderjahr 2020 (25) gesammelt. „Der VfL ist meiner Meinung nach die mit Abstand beste Mannschaft der 2. Bundesliga“, sagte der ehemalige VfL- und HSV-Stürmer Lukas Hinterseer bei „Reviersport“.

Favoritenrolle nicht gewünscht

Dem HSV dürfte die Aussage des Österreichers, der in der Winterpause zu Ulsan Hyundai nach Südkorea gewechselt ist, gefallen. Die Verantwortlichen der Hamburger nervt es, dass sie in dieser Saison vor nahezu jedem Spiel vom gegnerischen Trainer oder Sportchef als Favorit dargestellt werden. Zu Recht, könnte man meinen angesichts des finanziellen Aufwands, den der HSV auch im dritten Zweitligajahr noch betreibt. Mit rund 23 Millionen Euro leistet sich der Club vor Hannover 96 und Fortuna Düsseldorf den teuersten Kader der Liga.

Bei genauerem Hinsehen wird man aber schnell merken, dass 20 Prozent des Gehaltsetats alleine auf drei Spieler verfallen, die beim HSV in dieser Saison nur eine geringe bis gar keine Rolle spielen: Bobby Wood, Gideon Jung und Aaron Hunt. Letzterer wird den HSV am Freitag zwar als Kapitän anführen, doch die sportliche Wertigkeit des 34-Jährigen ist in diesem Jahr eine deutlich kleinere. Jung sitzt wieder auf der Bank, Wood kommt nur auf Kurzeinsätze.

Gehaltsetat beim HSV wird sich einpendeln

Ohne die drei Topverdiener würde der HSV in ähnlichen Gehaltsbereichen liegen wie die aktuellen Spitzenteams Holstein Kiel oder Bochum. Ehemalige Bundesligaspieler wie Bochums Spielmacher Robert Zulj (29/Ex-Hoffenheim) oder Kiels Niklas Hauptmann (24/ausgeliehen vom 1. FC Köln) verdienen bei ihren Clubs nicht weniger als die Schlüsselspieler beim HSV wie Jeremy Dudziak, Sonny Kittel oder Tim Leibold.

Noch immer leiden die Hamburger unter den hoch dotierten Verträgen, die in den vergangenen Jahren abgeschlossen wurden. Spätestens nach dieser Saison wird sich der Gehaltsetat aber auf ein Normalmaß einpendeln. Bis dahin wird der HSV damit leben müssen, dass er aufgrund der Kaderkosten immer auch am wirtschaftlichen Aufwand gemessen und als Favorit eingestuft wird.

Favoritenrolle für VfL Bochum

Am Freitag aber ist die Situation eine andere. „Bochum hat einen Kader, der in der Breite schon viel gesehen hat“, sagte HSV-Trainer Thioune und umschrieb damit auch die wirtschaftliche Power der VfL-Mannschaft. Im Gegensatz zum HSV schafft es Bochum aber in der Rückrunde, den finanziellen Aufwand auch auf das Punktekonto zu übertragen. Weil der VfL in der zweiten Saisonhälfte mehr als doppelt so viele Punkte holte wie der HSV, ist die Favoritenrolle am Freitag auf Bochums Seite.

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Thioune kann mit solchen Rollenspielen aber ohnehin nicht viel anfangen. „Es ist mir völlig egal, welche Rolle wir haben. Bochum hat eine richtig, richtig gute Mannschaft und mit Thomas Reis einen richtig guten Trainer. Im Moment stehen sie zu Recht auf dem Platz an der Sonne. Aber da will ich auch wieder hin. Da geht‘s weniger um die Favoritenrolle, auch wenn sie morgen etwas anders verteilt ist“, sagte Thioune am Donnerstag und schob diese damit am Ende doch noch charmant Richtung Bochum.​

HSV-Trainer: „Ich erwarte ein Topspiel“

Keine zwei Meinungen gibt es jedenfalls darüber, dass es sich um das Spitzenspiel des Spieltags handelt. „Ich erwarte ein Topspiel“, sagte Thioune, der diesmal nicht zwischen 25.000 Zuschauern auf der Tribüne sitzt, sondern im leeren Stadion an der Seitenlinie steht. Und nicht nur Herbert Grönemeyer weiß: „Ein schönes Flutlichtspiel an der Castroper Straße kann richtig Spaß machen“, sagt Thioune. Dem Trainer insbesondere dann, wenn sich am Freitagabend für den HSV etwas dreht.