Hamburg. St. Pauli gegen den HSV: Beim Stadtderby ohne Zuschauer wird die Rivalität auf dem Sofa gelebt. Doch noch fehlt der Fernseher.

Der türkisgrüne Toyota Starlet von Maj-Britt Stahlschmidt war mit HSV-Aufklebern komplett zugekleistert, als sie im Jahr 2009 mit ihrem ersten Auto zur Arbeit fuhr. „Es sah wirklich grausam aus“, erinnert sich Robert Stahlschmidt. Der 41-Jährige leitet den Standort Hamburg des Logistikunternehmens Gebrüder Weiß. Schon damals war er leidenschaftlicher Fan des FC St. Pauli. Und das „HSV-Mobil“, wie es Maj-Britt nannte, machte Robert ziemlich zu schaffen.

„Spätestens durch das Auto wusste ich, was Sache ist. Es hat mich trotzdem nicht davon abgehalten, Maj-Britt näher kennenzulernen.“ Zwölf Jahre später sind die beiden schon seit sechseinhalb Jahren verheiratet. „Ich habe es in Kauf genommen. Irgendeinen Mangel muss es ja geben“, sagt Robert Stahlschmidt und lacht. „Mangel?“, fragt Maj-Britt. „Das ist eine Aufwertung!“

HSV vs. St. Pauli – Fernseher kaputt vor Derby

Die beiden sitzen im Wohnzimmer ihrer Wohnung in Fuhlsbüttel auf dem Sofa, Robert im Trikot des FC St. Pauli, Maj-Britt im HSV-Shirt mit dem Schriftzug von Naohiro Takahara, ihrem früheren Lieblingsspieler. Im Hintergrund schießen ihre Kinder Henry (4) und Wilma (2) ein Stofftier durch die Wohnung. Erst kürzlich ging, von einer Murmel getroffen, ihr neuer Fernseher kaputt. Das Ersatzgerät wird in dieser Woche geliefert.

Spätestens Montag um 20.30 Uhr muss der Fernseher wieder laufen. Dann gucken die beiden auf Sky das 105. Stadtderby zwischen St. Pauli und dem HSV. „Natürlich mit dem entsprechenden Abstand auf dem Sofa. Das war schon vor Corona so“, sagt Robert. „Gekuschelt wird nicht.“ Beide müssen lachen.

Die Stahlschmidts gehören zu einer seltenen Spezies von Ehepaaren, in denen die Rivalität zwischen den beiden größten Hamburger Fußballclubs in einem Haushalt ausgelebt wird. Und am Montag einmal mehr zusammen auf dem Sofa. Zu gerne hätten sich die beiden auch mal wieder um Karten beworben, um das Spiel im Stadion zu verfolgen. Robert auf der Gegengeraden, Maj-Britt im Fanblock des HSV. So wie früher, als sie noch keine Kinder hatten und regelmäßig ins Stadion gegangen sind.

Derby St. Pauli vs. HSV erstmals ohne Zuschauer

Doch nicht nur Familie Stahlschmidt muss am Montag im Wohnzimmer bleiben. Erstmals in der Geschichte des Hamburger Stadtderbys findet das Duell der Rivalen komplett ohne Publikum statt. Beim 2:2 im Hinspiel Ende Oktober waren zumindest noch 1000 HSV-Fans im Volksparkstadion dabei. Auch in den Kneipen konnten die Anhänger unter Einhaltung der Hygieneregeln gemeinsam das Spiel verfolgen.

Doch dieses Mal ist alles anders. Durch den anhaltenden Lockdown sind nicht nur die Tribünen für die Fans geschlossen, sondern auch sämtliche Gaststätten. Wer das Derby live verfolgen will, dem bleibt nur das Sofa.

Am Millerntor bleibt es am Montag auf den Rängen leer.
Am Millerntor bleibt es am Montag auf den Rängen leer. © WITTERS | TimGroothuis

HSV und St. Pauli rechnen mit Frieden unter Fans

Während sich die Polizei rund um das Millerntor in Bereitschaft hält, geht man beim HSV davon aus, dass sich die aktive Fanszene vom Stadion fernhält. Seit Beginn der Geisterspiele im Mai 2020 hatten sich die HSV-Fans durchgehend an die Corona-Regeln gehalten – trotz der Warnungen von Polizeigewerkschaften. Dass es zu Szenen kommen könnte wie am vergangenen Wochenende in Gelsenkirchen, als Schalke-Ultras nach der 0:4-Derbyniederlage gegen Dortmund die Arena stürmen wollten, glaubt beim FC St. Pauli und beim HSV niemand.

„Es wäre schade, wenn einige das Derby nutzen würden, um Stress und Aggressivität in den Vordergrund zu stellen“, sagt Robert Stahlschmidt. Als der Barsbütteler selbst noch eine Stehplatzdauerkarte am Millerntor hatte und zu den Auswärtsspielen fuhr, geriet er auch mal in einen Konflikt mit HSV-Fans. Er bekam einen Tritt ab, weil er im St.-Pauli-Trikot am falschen Ort stand.

HSVer mit St.-Pauli-Fan verheiratet: Wie geht das?

Zu Hause lebt er mit seiner Frau aber eine friedliche Rivalität. „Für mich geht es eher darum, den HSV zu ärgern. Und meine Frau natürlich auch. Das hat bei den letzten Derbys ja gut geklappt“, sagt Robert und erinnert an die Duelle in der vergangenen Saison, als St. Pauli zweimal 2:0 gewann.

„Ich versuche es zu ignorieren. Ich will schließlich keinen Streit zu Hause“, sagt die 34-Jährige, lenkt das Gespräch aber auf das Derby im März 2019, als der HSV am Millerntor 4:0 siegte. „Das war ein ganz unangenehmer Tag. Ich wollte den Fernseher frühzeitig ausmachen. Aber das hat Maj-Britt verhindert“, erzählt der St.-Pauli-Fan.

HSV oder St. Pauli: Wie entscheiden sich die Kinder?

Es ist 19 Uhr. Die Kinder Henry und Wilma sitzen jetzt in ihren Fußballtrikots auf dem Schoß ihrer Eltern und blättern in Kinderbüchern. Gleich müssen sie ins Bett. „Seit die beiden in unser Leben gekommen sind, ist es etwas ruhiger geworden mit unserer Rivalität“, sagt Mutter Maj-Britt. „Früher bin ich bei Spielen auch mal ausgeflippt. Bei einem HSV-Tor habe ich einmal so laut gejubelt, dass sich Henry richtig erschrocken hat“, sagt sie.

Ihr Sohn spielt bereits leidenschaftlich Fußball, wenn auch meistens nur mit Stofftieren. Welchem Verein er mal den Vorzug gibt, ist aber noch kein Thema. „Sie sollen selbst entscheiden, zu wem sie halten“, sagt Maj-Britt. „Von mir aus können sie auch Bremen-Fan werden“, sagt Robert. Doch das geht seiner Frau zu weit. „Das müssen wir verhindern“, sagt sie und lacht.

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Als die Stahlschmidts im Schloss Reinbek heirateten, sagte selbst der Standesbeamte im Spaß, dass er hoffe, die Ehe gehe unter diesen Voraussetzungen gut. Aber ein wirkliches Problem wurde es nie. „Wenn wir es nicht mit Humor nehmen würden, wären wir schon getrennt“, sagt Maj-Britt. Jetzt müssen sie nur hoffen, dass bis Montagabend der neue Fernseher ankommt.