Bad Häring/Hamburg. Der HSV hat sich in sein Tiroler Trainingslager und auf die Suche nach einer Spielidee begeben. Ein Blick zurück nach vorn.
Mit einem lauten Pfiff durchbricht Daniel Thioune die fast schon kitschige Szenerie am Montagabend. Gerade als zwischen dem Häringer Hausberg Pölven und Kufsteins Bentling die Sonne in den Wolken verschwindet, erinnert der HSV-Trainer sein Personal in kurzen Hosen lautstark daran, dass es nicht wegen der Sonnenuntergänge in Tirol ist. Ein kurzes Zusammenkommen auf dem leicht aufgeweichten Boden – und die Mission Trainingslager hat begonnen.
Nur ein paar Stunden zuvor stand Jonas Boldt kerzengerade im ersten Stock des Volksparkstadions und sollte und wollte einen Ausblick auf das geben, was den HSV in dieser Woche in Tirol erwartet. 18 Journalisten hörten dem Sportvorstand des HSV ganz genau zu, als der von einer „intensiven Woche mit zwei guten Testgegnern“ sprach, vom „Feinschliff“ und von der „Spielidee“, die der Trainer nun implementieren wolle.
Wo die Mannschaft momentan stehe, fragte ein Medienvertreter. „Der HSV steht mitten in der Vorbereitung“, antwortete Boldt. Seine Hoffnung: Im Hinblick auf die kommende Saison solle in Österreich eine Achse gefunden werden, die durch Neuzugang Simon Terodde (32) im Sturm, Aaron Hunt (33) im zentralen Mittelfeld und Klaus Gjasula (30) im defensiven Mittelfeld bestimmt wird. Dazu solle sich noch ein weiterer Säulenspieler in der Abwehr gesellen.
HSV in Täglich-grüßt-das-Murmeltier-Manier
Es sind Sätze, die man vor gut 400 Tagen schon einmal gehört hatte. Damals reiste der HSV ebenfalls ins einwöchige Trainingslager nach Österreich. Statt mit einem Linienflieger mit einem Privatcharter. Statt ins ordentliche Viersternehotel in einen luxuriösen Fünfsternepalast. Doch Ex-Trainer Dieter Hecking sprach auch damals vom „taktischen Feinschliff“, von seiner „Spielidee“ und von einer „Achse der Guten“.
Die Verantwortlichen „waren in der Analyse der vergangenen Spielzeit zum Schluss gekommen, dass dem HSV Führungsspieler gefehlt haben, die beim verpatzten Zweitliga-Gipfelsturm wetterfest ihren Mann gestanden haben.“ Ein Satz, der seinerzeit im Abendblatt stand und den man in bester Täglich-grüßt-das-Murmeltier-Manier mit Copy und Paste auch diesmal reaktivieren könnte.
HSV-Dauerpatient bleibt ein Wackelkandidat
Und doch ist laut Boldt in diesem Jahr etwas Entscheidendes anders als beim vorangegangenen Betriebsausflug in die Alpenrepublik. „Wir haben keinen Umbruch hinter uns“, sagte Boldt, der an diesem Dienstag über München nach Bad Häring reisen wird. „Wir werden am Ende gucken, was noch in der Kriegskasse drin ist“, sagte Boldt, dessen Priorität nun auf der Suche nach einem Innenverteidiger liegt. „Eine Säule auf dieser Position brauchen wir noch.“
Diese Säule dachte man vor einem Jahr bereits gefunden zu haben. „In der Innenverteidigung soll der erfahrene Neuzugang Ewerton (30) die Rolle des Abwehrchefs übernehmen“, stand seinerzeit im Abendblatt. Doch die Idee der Verantwortlichen ging damals bekanntermaßen nicht auf. Mehr als ein Jahr später war der mittlerweile 31-Jährige auch diesmal an Bord der Maschine LH 2061, die pünktlich um 14.15 Uhr von Hamburg-Fuhlsbüttel abhob und nach einigen Turbulenzen in der Luft eine gute Stunde später in München landete. Ob und wie er in dieser Woche in Tirol aber trainieren werde, wusste der brasilianische Dauerpatient noch nicht.
HSV-Sportdirektor Mutzel hocherfreut
Doch Ewerton ist nicht das einzige Rätsel, das Neu-Trainer Thioune in Tirols Bergen zu lösen hat. So bemühte sich nach dem Coach auch Boldt darum, die Tests in der vergangenen Woche gegen Midtjylland (0:2) und Randers (1:2) nicht überzubewerten. Doch gefallen haben die beiden Auftritte den HSV-Verantwortlichen nicht. „Ein paar Dinge waren gar nicht gut“, sagte Boldt.
Sieben Stunden später steht Sportdirektor Michael Mutzel auf einer Anhöhe und guckt sich Thiounes Training an. „Schönes Panorama, gutes Hotel, guter Platz. Herrlich“, sagt Mutzel, der sich allerdings auch abseits der Rahmenbedingungen einiges von den kommenden Tagen und den Tests gegen den VfB Stuttgart (Mittwoch) und Feyenoord Rotterdam (Freitag) erwartet. „In den vergangenen Wochen hat der Trainer großen Wert auf das Spiel gegen den Ball gelegt. Nun soll der Fokus auf das Spiel mit dem Ball liegen“, sagt Mutzel. „Ich habe das Gefühl, dass er richtig Bock darauf hat.“
Der Sommerfahrplan des HSV
14 Kiebitze beim HSV-Training
Bock haben vor allem auch die 14 handgezählten Fans, die sich von der gegenüberliegenden Seite das wilde Treiben der Hamburger auf dem Platz anschauen. Jedes Wort, jede Ansage ist laut und deutlich zu hören. „Wir müssen Tempo in unsere Aktionen bekommen“, ruft Thioune – und erntet eifriges Kopfnicken der Zuschauer. „Jede Aktion, die wir haben, muss eine Anschlussaktion erfordern“, brüllt Thioune, und: „Ihr müsst euch Optionen offen halten.“
Nach 60 Minuten ist Tag eins in den Bergen beendet. „Morgen geht’s weiter“, ruft Thioune. Oder mit anderen Worten: Tomorrow, my friend, tomorrow …