Hamburg/Frankfurt. Hamburger Entscheidungsträger beraten über den Fall der Fälle. Politiker warnt vor Befangenheit in Gesundheitsämtern.
Die große Hoffnung des deutschen Profifußballs auf einen problemlosen Neustart in der Bundesliga hielt gerade einmal drei Tage. Nach zwei positiven Coronavirus-Tests bei Zweitligist Dynamo Dresden werden die Fortsetzungspläne der Deutschen Fußball Liga (DFL) schnell massiv auf die Probe gestellt und Hannover 96 muss weiter auf den Wiederbeginn der Saison warten.
Das komplette Team des nächsten Gegners Dynamo muss für zwei Wochen in Quarantäne, das eigentlich für den kommenden Sonntag angesetzte Duell kann nicht stattfinden.
DFL-Boss Seifert bleibt noch gelassen
Der Blick nach Sachsen zeigt: Der Profifußball muss in den kommenden Wochen eine ganz neue Anpassungsfähigkeit unter Beweis stellen, wenn er die Beendigung der Saison überhaupt durchbekommen will.
"Wenn Dresden jetzt 14 Tage in die Quarantäne geht, dann ist das für den Moment noch kein Grund, die Fortführung der Zweiten Liga komplett infrage zu stellen", sagte DFL-Geschäftsführer Christian Seifert am Sonnabend im "Aktuellen Sportstudio" des ZDF. Er kündigte für die kommende Woche Gespräche mit den Zweitligisten an, um die neue Lage zu diskutieren.
Gesundheitsämter als Zünglein an der Waage
Wirkte die Erlaubnis beim Polit-Gipfel um Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) am Mittwoch noch wie eine kleine Erlösung, wird schon eine Woche vor dem geplanten Start die ganz große Schwäche des DFL-Konzepts offengelegt.
Reagieren künftig noch mehr lokale Gesundheitsämter auf positive Fälle so wie in Dresden, könnte geregelter Profifußball im Mai oder Juni schnell zur Utopie werden. Denn sobald der Ball wieder rollt, wären dann bei einem positiven Test schnell zwei ganze Mannschaften involviert.
HSV-Profi Letschert: Keine Zweifel im Team
Beim HSV, der Stand jetzt am 31. Spieltag (um den 14. Juni) zum Geister-Gastspiel nach Dresden reisen müsste, verliefen bislang alle Corona-Tests negativ.
Darüber sei er sehr glücklich, sagte Abwehrspieler Timo Letschert dem niederländischen Rundfunksender NOS. "Jeder unterstützt voll und ganz die Entscheidung, wieder Fußball zu spielen", sagte der 26-Jährige und beteuerte, es gebe weder Angst noch Zweifel im Team.
HSV muss auf Gesundheitsamt Altona hören
Sollte es beim HSV dennoch innerhalb der nächsten Reihen einen positiven Fall geben, würde eine Quarantäne-Entscheidung nach Abendblatt-Informationen stets dem zuständigen Gesundheitsamt Altona obliegen – unabhängig davon, ob die Sars-Cov-2-Infizierung eines Spielers in Hamburg oder etwa rund um ein Auswärtsspiel wie nun in Fürth (Sonntag, 13.30 Uhr/im Liveticker auf abendblatt.de) festgestellt würde.
Welche Anordnung das Gesundheitsamt erteilen würde, scheint derzeit noch nicht absehbar. Nach Corona-Fällen beim 1. FC Köln mussten im Gegensatz zu Hamburgs Liga-Konkurrent Dresden jeweils nur die drei betroffenen Teammitglieder in Quarantäne.
Nach Abendblatt-Informationen beraten nun unter anderem Hamburgs Gesundheitssenatorin Cornelia Prüfer-Storcks und Sportsenator Andy Grote (beide SPD) über das entsprechende Vorgehen. Die Entscheidung soll am Dienstag im Rahmen einer Pressekonferenz kommuniziert werden.
DFL: Möglichst viele Spiele irgendwie durchziehen
Bei der DFL gibt man sich so oder so noch vergleichsweise entspannt. "Von den 81 Spielen sind nur zwei betroffen. Klar ist, es gibt sicherlich eine Größe, dann ist das irgendwann nicht mehr machbar", mahnte Seifert, dessen Ziel weiter eine Beendigung der Spielzeit bis zum 30. Juni ist. Eine konkrete Zahl nannte er nicht.
Lesen und hören Sie auch:
Seifert wählte seine Worte mit Bedacht und versuchte erneut die Demut zu wahren, die er schon seit einiger Zeit von den 36 Vereinen im Profifußball einfordert. Was das Motto für die kommenden Wochen sein wird, machte der Liga-Boss unmissverständlich klar: So viele Spiele wie möglich irgendwie durchzubekommen.
Seifert: Fall Dresden ändert nicht das Ziel
Union Berlins Profi Neven Subotic sieht den zügigen Neustart kritisch und würde sich mehr Mitsprache wünschen. "Wir haben keinen Sitz am Tisch, wir wurden nicht konsultiert", sagte Subotic dem Deutschlandfunk zur Rolle der Profis.
Mit Blick auf das Hygienekonzept der DFL, das nur eine Quarantäne für infizierte Spieler vorsah, sagte Seifert: "Es ist relativ egal, was wir uns mal gedacht haben. Die staatlichen Stellen geben den Takt vor. Momentan hätte ich es mir anders gewünscht."
Man ändere nach dem Fall Dresden dennoch nicht das Ziel, sondern „wenn überhaupt die Pläne“. Die neue Quarantäne-Situation ist auch ein erheblicher Dämpfer für die erhoffte Bundesliga-Normalität, die viele Vereine am Donnerstag und Freitag schon wieder suggeriert haben.
Milliardenschwere DFL ganz plötzlich machtlos
Seiferts Auftritt zeigte auch, wie hilflos die DFL der aktuellen Situation nach der Erlaubnis der Politik ausgesetzt ist. "Kann ich nicht sagen", "die Frage kann ich nicht beantworten" oder "das ist hypothetisch" antwortete der geforderte Bundesliga-Krisenmanager zu Szenarien, die nun bei weiteren Positivtests im Spielbetrieb drohen - und die von der DFL trotz des Konzepts offensichtlich nicht vorbereitet werden können.
Der Dachverband, der das Milliardenschiff Bundesliga jahrelang von Umsatzrekord zu Umsatzrekord steuerte, muss nun dabei zusehen, wie andere Institutionen wichtige Entscheidungen zur nahen Zukunft des Profifußballs treffen.
Wettbewerbsnachteil für Dynamo Dresden
Der Fall Dresden beweist, wie komplex die Fortführung mit neun Spieltagen werden könnte: Während 35 Proficlubs den Trainingsbetrieb fortsetzen, müssen die Profis des Zweitliga-Letzten nicht nur zwei Wochen pausieren, sondern dürfen in dieser Zeit nicht einmal das Haus verlassen.
Nach der Quarantäne hat Dynamo dann nicht nur einen erheblichen Rückstand, sondern auch zwei Spiele nachzuholen. Folgen weitere Fälle einer solchen zweiwöchigen Team-Quarantäne, wird sich unweigerlich die Frage stellen: Welchen sportlichen Wert hat so ein Wettbewerb überhaupt noch?
Dynamo: Haben enormen Aufwand betrieben
Dresdens Sport-Geschäftsführer Ralf Minge sagte: "Wir haben in den zurückliegenden Wochen sowohl personell als auch logistisch einen enormen Aufwand betrieben, um alle vorgeschriebenen medizinischen und hygienischen Maßnahmen strikt umzusetzen."
Doch das reichte offenbar nicht. Man stehe mit dem zugehörigen Gesundheitsamt und der DFL im Austausch, zunächst brauchen die beiden Partien gegen Hannover und Greuther Fürth einen neuen Spieltermin.
BVB-Boss Watzke stößt ins DFL-Horn
Seifert betonte, er sei von einem solchen Fall überhaupt nicht überrascht worden: "Ich interpretiere das nicht als Rückschlag. Es war völlig klar, dass das passieren konnte."
Das sieht auch Hans-Joachim Watzke so. "Wir mussten damit rechnen, dass die Rest-Saison nicht störungsfrei bleibt“, sagte Borussia Dortmunds Geschäftsführer am Sonntag der Funke Mediengruppe. "Dafür haben wir Nachholspieltage eingeplant.“
Hören Sie den HSV-Podcast:
Die Vorstellung, mit dem Neustart mit Geisterspielen kehre Normalität zurück, hält Seifert ohnehin für Unsinn. "Zum einen wurde auch in der Presse oft kommuniziert: Die Bundesliga darf wieder spielen. Ich glaube, das entspricht nicht der Realität. Was Sie da sehen werden, ist ein absoluter Notbetrieb an Bundesliga."
HSV-Gegner wünscht Dresden alles Gute
Der nächste HSV-Gegner Fürth sandte Dynamo Dresden am Sonntag indes die besten Genesungswünsche. "Wir wünschen den Erkrankten gute Besserung und dass der Krankheitsverlauf nicht schwer verläuft“, erklärten die Franken, die auf dem Papier am übernächsten Spieltag bei den Sachsen antreten müssten.
Offiziell abgesagt ist das Spiel noch nicht, auch wenn jetzt schon offensichtlich ist, dass die Partie jetzt nicht wie geplant stattfinden kann. "Alles weitere wird sich in Gesprächen mit der DFL ergeben", teilte die Spielvereinigung mit.
SPD-Vize denkt an Fans in Gesundheitsämtern
Und - was die Franken dabei nicht erwähnten: Es wird sich aus der Entscheidung der jeweiligen Gesundheitsämter ergeben. SPD-Bundesvize Kevin Kühnert rückte dabei am Sonntag noch einen ganz anderen Aspekt in den Blickpunkt.
Schließlich gebe es auch in den Gesundheitsämtern Fußball-Fans und "den politischen und öffentlichen Druck", dass die oder jene Mannschaft auf dem Platz stehen müsse, sagte der 30-Jährige im "Doppelpass" von Sport1.
"Ich möchte niemandem etwas unterstellen. Ob dann aber alle allein nach rationalen Gründen entscheiden?", fragte Kühnert. "Ich stelle mir vor, wenn sich in einem Monat die Tabelle zugespitzt hat und es sind noch drei, vier Spieltage, dann haben wir die Debatte."