Hamburg. Den Vorstandsstreit kann nur der Aufsichtsrat lösen. Ein brisantes Detail im Vertrag des Clubchefs könnte entscheidend sein.
Im Volkspark rollten am Mittwochmorgen die Bagger und Baufahrzeuge an. Es wurde geschuftet und geschwitzt, es war laut. Sowohl auf dem vorderen Trainingsplatz, wo die Bauarbeiter einen neuen Rollrasen verlegten, als auch auf dem hinteren Platz, wo sich die HSV-Profis mit Trainer Dieter Hecking auf das Auswärtsspiel bei Greuther Fürth am Freitag (18.30 Uhr/Sky) vorbereiteten.
Zwischen diesen beiden Plätzen stand Sportvorstand Jonas Boldt und beobachtete in aller Ruhe, was um ihn herum passierte. Bei den Trainingsgästen am Rande ging es in den Gesprächen neben den anstehenden Geisterspielen durch das Coronavirus auch um ihn. Genauer gesagt um den Machtkampf im HSV-Vorstand, über den das Abendblatt am Mittwoch berichtet hatte.
Hoffmann tat nichts, um HSV-Sprecher Müller zu halten
Während Boldt als einer der Protagonisten auf dem Rasen stand, verfolgte Pressesprecher Till Müller das Geschehen im Hintergrund auf der Stadiontreppe. Die Zukunft des 35-Jährigen ist einer von verschiedenen Gründen, warum es im Vorstand zwischen Boldt und Clubchef Bernd Hoffmann in den vergangenen Wochen und Monaten mehrfach krachte.
An diesem Donnerstag wird Bundesligist RB Leipzig die Verpflichtung Müllers bekannt geben. Der HSV-Pressesprecher wechselt zur neuen Saison in der gleichen Funktion zum Champions-League-Viertelfinalisten aus Sachsen. Boldt und Trainer Hecking wollten Müller unbedingt beim HSV halten, Hoffmann soll sich dagegen nach einem ersten Gespräch nicht weiter darum gekümmert haben, mit Müller über einen neuen HSV-Vertrag zu verhandeln.
Aufsichtsrat kann Hoffmanns Vertrag vorzeitig auflösen
Ein Vorgang, der die Kommunikation zwischen den drei Vorständen Boldt, Hoffmann und Frank Wettstein weiter verstimmt hat. Zuvor war es bereits im Fall Douglas Santos, im Fall Bakery Jatta, im Fall Robert Bozenik und auch bei einem Treffen mit Investor Klaus-Michael Kühne zu Unstimmigkeiten gekommen sein. Wie also geht es weiter im Machtkampf beim HSV? Welche Folgen hat der hausinterne Streit, über den jetzt auch öffentlich gesprochen wird?
Ob es nach der Saison nicht nur auf der Position des Pressesprechers, sondern auch im HSV-Vorstand zu personellen Veränderungen kommen wird, hängt entscheidend davon ab, ob die Hamburger in der kommenden Saison wieder mit Müllers neuem Club RB Leipzig in einer Liga spielen. Verpasst der HSV zum zweiten Mal in Folge den Wiederaufstieg, dürften nicht nur wie im Vorjahr der Sportchef und der Trainer zur Diskussion stehen. Dann geht es vor allem auch um Vorstandschef Hoffmann selbst.
Was alle wissen: Der 57-Jährige hat beim HSV noch einen Vertrag bis zum 30. Juni 2021. Was viele nicht wissen: Dieser Vertrag beinhaltet eine brisante Klausel. Im Falle des Nichtaufstiegs hat der Aufsichtsrat nach Abendblatt-Informationen die Möglichkeit, vier Wochen vor Ende des Geschäftsjahres, also nach der Entscheidung über den Wiederaufstieg, den Vertrag mit Hoffmann aufzulösen. Ein spannendes Vertragsdetail, das in diesem Machtkampf eine ganz entscheidende Rolle spielt.
Würde Hoffmann über den Nichtaufstieg stolpern?
Hoffmann selbst wollte sich am Mittwoch auf Nachfrage zu Vertragsinhalten nicht äußern. Konfrontiert mit einzelnen Themen, die zu einem Machtkampf im Vorstand geführt hätten, hatte Hoffmann bereits am Dienstag mitgeteilt: „Wir arbeiten konstruktiv im Team zusammen und werden unserer Verantwortung in jeder zugeschriebenen Rolle gerecht. Fürs Kuscheln werden wir nicht bezahlt, sondern für die bestmögliche Arbeit im Sinne des HSV.“
Wie der Kuschelfaktor und die bestmögliche Arbeit im Sinne des HSV im Vorstand aussehen, wird der Aufsichtsrat der HSV Fußball AG bewerten müssen. Ende kommender Woche trifft sich das Gremium zu einer Sitzung. Darin soll es eigentlich um die Finanzierung der kommenden Saison gehen. Der Club rechnet wie im Vorjahr mit der Lizenz für beide Ligen ohne Auflagen und Bedingungen. Aber auch die aktuelle Stimmung im Vorstand dürfte beim Treffen des Kontrollgremiums ein Thema sein.
Aufsichtsratschef Max-Arnold Köttgen sieht in der Vorstandskonstellation aktuell keinen Handlungsbedarf. Das könnte sich aber ändern, wenn der HSV den Aufstieg verpasst. Denn dann wird das Gremium über die Zukunft von Bernd Hoffmann diskutieren. Und an dieser Stelle wird es spannend. Im siebenköpfigen Aufsichtsrat scheint Hoffmann sowohl Befürworter als auch Gegner zu haben. Eines der beiden Lager soll sich schon seit Wochen immer mal wieder zum persönlichen Austausch treffen.
HSV-Machtkampf: Jansen könnte zur Schlüsselfigur werden
Eine entscheidende Rolle könnte bei einer möglichen Abstimmung im Kontrollgremium Marcell Jansen zukommen, der schon vor seiner Wahl zum Präsidenten in den Aufsichtsrat gewählt wurde, um die sportliche Kompetenz zu erhöhen. Als Vereinspräsident und Mehrheitsgesellschafter ist er zudem für die Besetzung des AG-Aufsichtsrates verantwortlich.
Ob sich Jansen im Zweifel für oder gegen Hoffmann positionieren würde, ist offen. Mit Thomas Schulz und Moritz Schäfer hat Jansen zwei Vizepräsidenten aus dem ehemaligen Team Hoffmann übernommen, mit dem sich dieser vor zwei Jahren an die Spitze des Vereinspräsidiums wählen ließ, ehe er nur wenig später auf den Posten des Vorstandsvorsitzenden zurückkehrte.
Die aktuelle Vorstandskrise erinnert stark an Hoffmanns erste Zeit beim HSV, als er sich 2009 nach den verlorenen Werder-Wochen mit Dietmar Beiersdorfer überwarf und am Ende den Machtkampf gegen den damaligen Sportvorstand gewann. Zwei Jahre später wurde Hoffmann dann selbst vom Aufsichtsrat entmachtet.
Wir der Vorstand auf vier Mitglieder vergrößert?
Und diesmal? Kann der große Knall zwischen Hoffmann und Boldt noch verhindert werden? Vieles wird davon abhängen, in welche Richtung sich der sportliche Erfolg in den kommenden Wochen entwickelt und ob die Vorstände noch einmal eine gemeinsame Perspektive entwickeln können.
Spekuliert wird auch darüber, ob der Aufsichtsrat noch ein weiteres Vorstandsmitglied installiert, das für den Bereich Marketing verantwortlich wäre. Dabei würde sich aber auch die Frage stellen, ob sich der Club einen vierten Vorstand überhaupt leisten kann. Offiziell will sich zu dieser Frage beim HSV niemand äußern.
Die Verantwortlichen des HSV werden all diese Fragen in den kommenden Wochen aber begleiten und Stück für Stück beantworten müssen. Bis Mitte Mai, wenn die Entscheidung über Auf- oder Nichtaufstieg gefallen ist, kann noch viel passieren. Vor allem aber hat der HSV noch neun Spiele Zeit, um zumindest sportlich zu entscheiden, in welche Richtung es im Volkspark geht.