Hamburg. Über keinen HSV-Profi wurde 2019 so viel berichtet wie über ihn. Wenige Tage vor Silvester gerät er erneut ins Kreuzfeuer der Medien.
Bakery Jatta ist noch unentschlossen. Obwohl Silvester vor der Tür steht, hat sich der HSV-Profi noch nicht entschieden, wie und wo er den Jahreswechsel feiern will. In Hamburg? In Bremen? Oder ganz woanders? Sicher sei nur, dass er mit ein paar Freunden auf das neue Jahr anstoßen werde – als Muslim aber ohne Alkohol. Sein Wunsch für das neue Jahr? „Ich will mich 2020 einfach nur auf den Sport konzentrieren und mich weiterentwickeln. Mein großer Wunsch für das kommende Jahr ist, dass wir mit dem HSV aufsteigen.“
Sich einfach nur auf den Sport konzentrieren. Was so einfach klingt, war bei keinem HSV-Profi 2019 so schwierig wie bei Bakery Jatta. Niemand geriet im vergangenen Jahr so sehr in die Schlagzeilen wie er. „Sport Bild“ und „Bild“ hatten im vergangenen Sommer über Zweifel an Jattas tatsächlicher Identität berichtet. „Jatta drohen fünf Jahre Haft und die Abschiebung“, hatte die „Bild“ getitelt – bis heute aber keine Beweise für die These vorlegen können, dass Jatta gar nicht Jatta sei.
Trotzdem dauerte es nicht lange, bis sich ganz Fußball-Deutschland, die Verbände und sogar die Ämter mit dem Fall beschäftigten. Und es wurde noch schlimmer: Der Reihe nach legten der 1. FC Nürnberg, der VfL Bochum und der Karlsruher SC Einspruch gegen die Wertung ihrer Spiele gegen den Jatta-HSV ein – mussten diesen aber aus Mangel an Beweisen Wochen später wieder kleinlaut zurückziehen.
HSV-Kapitän Hunt: Medien bei Jatta unmenschlich
„Baka, der so viele Hürden in seinem Leben überwunden hat, wurde als Verbrecher dargestellt, der alle betrogen hat, um hier Fußball zu spielen“, erinnerte sich kürzlich Kapitän Aaron Hunt im HSV-Podcast an diese denkwürdigen Wochen zurück. „Ich fand es nicht in Ordnung, wie gewisse Medien mit dem Fall Bakery Jatta umgegangen sind. Die Berichterstattung einiger war unmenschlich – und ich weiß nicht, wie diese Menschen noch in den Spiegel gucken können. Für einige war der Mensch Baka nicht mehr wichtig.“
Doch als der Fall endgültig abgehakt schien und die deutschen Behörden mehrfach Jattas gültige Papiere bestätigt hatten, legte die „Bild“ am Wochenende noch einmal nach. Nachdem die Zeitung einen Reporter Mitte November ein zweites Mal für mehrere Tage nach Gambia geschickt hatte, um vor Ort nach Beweisen zu suchen, fragte „Bild“ in ihrer Sonnabend-Ausgabe erneut: „Heißt der HSV-Spieler doch Daffeh?“
Eine wirkliche Antwort auf diese Frage bleibt die Zeitung allerdings schuldig. Der Reporter hatte offenbar mit mehreren Spielern vor Ort gesprochen, zitierte aber nur einen früheren U-20-Nationalspieler mit den Worten: „Keine Ahnung, dazu kann ich nichts sagen.“ Lediglich ein früherer Technischer Direktor behauptete, als ihm ein Foto Jattas gezeigt wird: „Natürlich ist das Daffeh.“
Hecking lobt Jattas Riesenschritte beim HSV
Beim HSV will man das Thema des Jahres nicht noch einmal durchkauen. „Die vergangenen Monate sind nicht spurlos an Baka vorbeigegangen“, sagt Trainer Dieter Hecking nur, als das Abendblatt ihn im Auto erwischt. „Wie Baka mit dieser ganzen Situation umgegangen ist, das ist à la bonne heure.“
Trainer Hecking, der genau wie Sportvorstand Jonas Boldt Jatta in all den Monaten wie eine Löwenmutter ihr Junges gegen die medialen Angriffe verteidigt hatte, ist von Jatta beeindruckt. „Der Mensch Bakery Jatta hat im vergangen Jahr einen Riesenschritt in seiner Persönlichkeitsentwicklung gemacht. Und auch fußballerisch ist er den nächsten Schritt gegangen.“
Ein Schritt, der so groß war, dass sogar Deutschlands U-21-Nationaltrainer Stefan Kuntz gehofft hatte, den aus Gambia geflüchteten Fußballer im Schnellverfahren einzubürgern. Ganz so schnell sollte es aber doch nicht gehen. Auch nicht für Gambias Nationaltrainer Tom Saintfiet, der ebenfalls noch auf Jatta als Nationalspieler hofft – sich bislang aber nur einen Korb abholte.
Jatta-Berater: 2019 war extrem emotional
Für HSV-Kapitän Aaron Hunt bleibt es aber auch ohne Nationalmannschaft ein Phänomen, was Jatta trotz des Wirbels so ganz nebenbei auf dem Fußballplatz geleistet hat. „Bakas Entwicklung ist überragend. So etwas habe ich in den 15 oder 16 Jahren, in denen ich Profi bin, noch nie gesehen“, sagt Hunt. „Wenn man sieht, wo er war, als er bei uns zur Probe mittrainiert hat und wo er jetzt ist, dann sind das Welten.“
In der laufenden Saison hat sich Jatta einen Platz als unumstrittener Stammspieler erkämpft und drei Tore erzielt. Nur drei Tore, würde Hecking präzisieren. „Baka hat sich sehr gut entwickelt. Trotzdem kann er sich technisch noch verbessern. Er muss an seiner Ballannahme arbeiten – und kann auch mehr Tore machen.“ Hunt sagt: „Bakas Reise ist noch nicht beendet.“
Das glaubt auch Jattas Berater Efe Aktas. „Das Jahr 2019 war für Bakery ein extrem emotionales Jahr. In nur einem Jahr hat er so ziemlich alle Facetten, die man durchleben kann, durchgemacht“, sagt der Agent im Gespräch mit dem Abendblatt. Und im neuen Jahr, so der große Wunsch von Aktas, soll es dann wirklich nur um Fußball gehen. „Ich wünsche mir für ihn und für den HSV, dass das Jahr 2020 ein ausschließlich sportlich erfolgreiches Jahr wird.“
Wie beliebt Jatta bei den HSV-Fans ist
Versprechen kann das natürlich niemand. Nicht nur medial ist das Interesse an Jatta explodiert. Der Gambier mit der märchenhaften Geschichte des Flüchtlings, der es zu Weltruhm gebracht hat, ist gefragt. Als kurz vor den Festtagen die „Hamburger Weg“-Weihnachtsfeier in den VIP-Räumlichkeiten der Westtribüne gefeiert wurde, konnte sich Jatta vor Autogrammwünschen kaum retten.
Bei Trikotverkäufen rangiert der Afrikaner beim HSV bereits an dritter Stelle. Und auch sonst gibt es immer mehr Menschen, die nur allzu gerne auf den Schnellzug Jatta aufspringen würden.
Jatta ist beliebt – und das ist schön und gefährlich zugleich. Sorgen, dass der Fußballer mit dem plötzlichen Ruhm, dem Interesse an seiner Person und den vielen „neuen Freunden“ nicht umzugehen weiß, hat Berater Aktas aber nicht. „Die vergangenen Monate haben Baka als Person extrem geprägt und auch in seiner Persönlichkeit gestärkt“, sagt er.
Jatta will jetzt einfach nur abschalten
Gestärkt will Jatta auch ab dem 6. Januar wieder auf den Rasen zurückkehren. Bis dahin hat er sich zwischen den Feiertagen vor allem eines vorgenommen: nichts. „Die Pause ist sehr wichtig für mich, um auch mal abzuschalten und ein wenig Ruhe zu finden“, sagt er. „Nach den turbulenten Monaten brauche ich die Pause, um Kraft zu sammeln und im neuen Jahr wieder anzugreifen.“
Die Geschichte Jatta geht weiter.