Hamburg. Beim HSV wird gegrübelt, warum man weniger Punkte als im vergangenen Jahr holte. Hecking kritisiert den Aufsichtsrat.
Am Montagabend wurde beim HSV gefeiert. Endlich mal wieder gefeiert, könnte man nach drei Spielen ohne dreifachen Punktgewinn meinen. Ein Sieg konnte zwar auch gestern nicht begossen werden, dafür aber die Weihnachtsfeier. Und da hatten sich die HSV-Profis so richtig ins Zeug gelegt. Unter dem Motto „Casino Royale“ feierten die Mitarbeiter der Geschäftsstelle und die Mannschaft in der Fabrik in Altona. Mediendirektor Christian Pletz hatte extra für den Abend einen Roulette- und einen Black-Jack-Tisch aus dem Casino Schenefeld nach Altona bringen lassen. Die Fußballer hatten sich in Schale geworfen – und auch Trainer Dieter Hecking hatte sich im feinen Zwirn herausgeputzt.
Ein paar Stunden zuvor stand Hecking im Trainingsanzug im Volkspark und war noch gar nicht in Feierlaune. „Im Moment sprechen viele Dinge gegen uns, aber wir lassen uns nicht entmutigen“, sagte der Coach am Morgen nach dem 1:1 in Sandhausen, dem letzten Spiel der Hinrunde. Erneut musste Hecking Fragen beantworten, die ihm schon seit Wochen gestellt werden – und auf die er schon seit Wochen keine wirkliche Antworten parat hat.
Drei Spiele in Folge ohne Sieg sind nicht gut, aber sieben Partien auswärts ohne Erfolg sind tatsächlich schlecht. 31 Grad Celsius im Schatten waren es beim letzten Auswärtserfolg. 4:2 gewann der HSV am 25. August in Karlsruhe – und konnte damals wahrscheinlich noch nicht ahnen, dass es in den sieben Auswärtsspielen darauf fast ausschließlich Schatten statt Sonne auf dem Platz geboten würde.
Statt 31 Grad waren es am Montagvormittag im Volkspark sieben Grad Celsius – doch von einer frostigen Stimmung wollte Dieter Hecking trotzdem nichts wissen. „Wir gehen unseren Weg weiter“, sagte der Trainer kämpferisch, der auf der Suche nach dem verlorenen Erfolg allerdings auch ein wenig ratlos wirkte: „Ich habe kein Patentrezept.“
Hecking: "HSV muss sich Selbstvertrauen erarbeiten"
Natürlich kennt auch Hecking die Zahlen und Statistiken, die direkt nach dem Schlusspfiff in Sandhausen rauf und runter zitiert wurden. So habe seine Mannschaft sieben Punkte weniger als zum gleichen Zeitpunkt in der vergangenen Saison auf dem Konto. „Die Statistik kannte ich gar nicht. Sieben Punkte weniger?“, fragt Christoph Moritz überrascht im Abendblatt-Podcast. „Man kann die Situationen aber nicht vergleichen. Erfahrungstechnisch sind wir richtig gut aufgestellt. Letztes Jahr hatten wir gefühlt zehn Jugendspieler im Training, jetzt sind es drei“, sagt Moritz.
„Dafür haben wir zehn Spieler, die schon mehr als 100 Spiele auf dem Buckel haben.“ Ähnlich wie Hecking sieht auch Moritz trotz der Ergebniskrise keinen Anlass, um in Panik zu verfallen. „Uns bleibt nichts anderes übrig, als die Ruhe zu bewahren. Wenn wir hektisch werden, wird nichts besser. Wir haben ja nicht viel verändert in unserem Spiel. Vielleicht fehlt uns das Selbstverständnis. Das Selbstvertrauen müssen wir uns wieder erarbeiten.“
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Das sah Hecking genauso – und führte vor dem Jahresabschluss am kommenden Sonnabend in Darmstadt auch ganz andere Zahlen und Statistiken an. 24 Torabschlüsse hatten die Hamburger beispielsweise in Sandhausen, 60 Prozent Ballbesitz, vier Kilometer mehr Laufleistung. „Wir haben in den vergangenen drei Spielen 60 Angriffe gefahren“, sagte er. „Aber in der Konsequenz haben wir zu wenige Torabschlüsse.“
Ob ein neuer Stürmer die Konsequenz aus dieser Konsequenz sein kann, wollte Hecking am Montag nicht beantworten. „Wenn einer aus dem Aufsichtsrat sich äußern muss, dann ist das seine Meinung“, sagte der Trainer, dem offenbar missfallen hatte, dass die grundsätzliche Bereitschaft für Wintertransfers durch den Aufsichtsrat öffentlich geworden ist. „Hier entscheiden drei Leute: Jonas Boldt, Michael Mutzel und ich.“
Papadopoulos verlässt den HSV in der Winterpause
Finanzielle Mittel könnten im Winter durch Abgänge frei werden. Kyriakos Papadopoulos soll sich schon von der Mannschaft verabschiedet haben. Auch Torhüter Julian Pollersbeck wird wohl einen weiteren Versuch unternehmen, einen neuen Club zu finden. Eine grundsätzliche Entscheidung über die Statik der Mannschaft hatte Hecking aber bereits ganz alleine getroffen. Bislang hatte er in der zentralen Achse auf Daniel Heuer Fernandes im Tor, Rick van Drongelen in der Abwehr, Adrian Fein im defensiven, Aaron Hunt im offensiven Mittelfeld und Lukas Hinterseer im Sturm geschworen.
Doch bis auf Torhüter Heuer Fernandes stehen derzeit alle zur Disposition. In der Abwehr sind Ewerton und Timo Letschert vorerst gesetzt. Im Mittelfeld ist niemand mehr unantastbar – auch nicht Fein, der erstmals nur von der Bank kam. Und im Sturm schaut der Trainer, wie es so schön heißt, trotz Hinterseers Tor nur von Spiel zu Spiel.
Pluspunkte konnte sich dagegen Gideon Jung als Mittelfeldstaubsauger erarbeiten. Dass der Defensivallrounder von den eigenen Fans kritisch gesehen wird, tangierte Hecking nicht. Im Gegenteil: „Ich finde es sehr anmaßend, was sich einige Leute rausnehmen, die 50 Kilogramm Übergewicht haben und vor dem Computer sitzen, um irgendetwas zu schreiben“, schimpfte der Coach.
Versöhnlich wurde es am Abend in der Fabrik. „Ich freue mich immer auf solche Events wie die Weihnachtsfeier“, sagte Hecking. Richtig gejubelt wird aber erst, wenn es endlich auch auf dem Rasen wieder Grund zum Feiern gibt.