Wiesbaden. Ein Ex-HSV-Spieler vermasselt den Hamburgern den Auswärtssieg bei Wehen Wiesbaden. Rote Karte nach Videobeweis.
Adrian Fein fluchte in Richtung seiner Mitspieler, die enttäuscht auf den Boden blickten. Kapitän Rick van Drongelen stampfte schimpfend in die Kabine. Selten sagte ein Blick in die Gesichter der HSV-Profis so viel über ein Spiel aus, das die Hamburger hätten gewinnen müssen. Doch die Partie bei Wehen Wiesbaden endete 1:1. Der HSV ist mit 25 Punkten zwar noch Tabellenführer, der Club ist nun aber punktgleich mit Bielefeld, das 2:1 gegen Kiel gewann. Der Vorsprung auf den Tabellendritten aus Stuttgart, der 3:1 gegen Dresden siegte, beträgt nur noch zwei Zähler.
Knöll trifft gegen Ex-Club HSV
Es war mal wieder eine dieser „Ausgerechnet“-Geschichten im Fußball. Ex-HSV-Spieler Törles Knöll traf in der Nachspielzeit gegen seinen alten Verein und sicherte Wiesbaden somit einen glücklichen Punktgewinn. „Ich hatte Gänsehaut bei meinem Tor und habe mich riesig gefreut. Ich wollte schon immer gegen den HSV spielen", sagte ein glücklicher Knöll nach der Partie.
Leibold kritisiert "Unvermögen" des HSV
Der HSV muss sich hingegen vorwerfen lassen, trotz zahlreicher Möglichkeiten und einer mehr als 30-minütigen Überzahl nur ein Tor erzielt zu haben. „Es fühlt sich an wie eine Niederlage“, sagte Sonny Kittel. Sportdirektor Michael Mutzel sprach von einem „mega enttäuschenden" Ergebnis. Noch deutlicher wurde Sportvorstand Jonas Boldt: „So kann man ein Spiel nicht angehen. Daraus müssen wir unsere Schlüsse ziehen, das funktioniert so nicht.“
„Aus unserer Sicht war es ein unbefriedigender Nachmittag", sagte Trainer Dieter Hecking. „Wir haben es verpasst, das 2:0 zu machen, und auch die Überzahl nicht gut genug ausgenutzt.“ Ein ähnliches Fazit zog auch Linksverteidiger Tim Leibold: „Das Ergebnis ist extrem ärgerlich und dämlich. Für uns sind es verschenkte Punkte, denn wir hatten in der zweiten Halbzeit viele Möglichkeiten, um das zweite, dritte oder vierte Tor zu machen."
Die Mannschaft hätte die drei Punkte nach Ansicht von Leibold aber auch nicht verdient gehabt. Der HSV habe sich mal wieder gegen einen tief stehenden Gegner schwergetan und sei an ihrem "Unvermögen" gescheitert, klagte der Außenverteidiger.
HSV: Kinsombis emotionale Rückkehr zu Wehen
20 Torschüsse zählten die Statistiker für den HSV, Wiesbaden kam hingegen nur auf neun. Letztlich brachte aber nur David Kinsombi den Ball für die Gäste über die Torlinie. Ausgerechnet Kinsombi, muss man sagen, denn der Mittelfeldspieler ist gerade mal 30 Kilometer entfernt von der Wiesbadener Brita-Arena in Rüdesheim am Rhein aufgewachsen.
Der 23-Jährige kickte in der Jugend für Wehen Wiesbaden, ehe er über die Stationen Mainz 05, Eintracht Frankfurt, Karlsruhe, Magdeburg und Kiel im Sommer den Weg zum HSV fand. Drei Millionen Euro kostete Kinsombi. So viel Geld gaben die Hamburger für keinen anderen der insgesamt zwölf Neuzugänge aus.
Lesen Sie auch...
Dennoch kam Kinsombi bislang nur schleppend in die Saison. Gerade erst nach einem Schienbeinbruch genesen, musste der Führungsspieler während der Vorbereitung drei Wochen wegen eines Muskelfaserrisses pausieren. Am 3. Spieltag gegen Bochum (1:0) stand Kinsombi erstmals in der Startelf. Nach der Derbypleite vier Wochen später beim FC St. Pauli (0:2) verlor er diesen allerdings an Jeremy Dudziak.
Heuer Fernandes verhindert HSV-Rückstand
In Wiesbaden durften diesmal Kinsombi und Dudziak gemeinsam ran. Doch lange Zeit sah es danach aus, als würde diese Maßnahme wirkungslos bleiben. Kinsombi wirkte wie ein Fremdkörper auf dem Platz. In der Folge fehlte es dem HSV an Kreativität im Mittelfeld. Von der offensiven Variabilität, die Heckings Team bislang auszeichnete, war in der ersten Hälfte nur wenig bis gar nichts zu sehen.
Trotzdem hätten die Hanseaten durch Stürmer Lukas Hinterseer, der kurzfristig für den angeschlagenen Martin Harnik (Oberschenkelprobleme) ins Team rückte, in Führung gehen müssen. Der Österreicher stand nach einem einstudierten Freistoß-Trick von Kittel und Leibold frei vor Torhüter Watkowiak, in dem er jedoch seinen Meister fand (9.).
Die besseren Chancen hatten allerdings die Gastgeber. Zunächst näherten sich Lorch (8.) und Dittgen aus spitzem Winkel (13.) an, dann hatte Aigner (21.) die Führung für Wiesbaden auf dem Fuß. Der Offensivmann stahl den Ball vom unaufmerksamen Innenverteidiger Rick van Drongelen und lief alleine auf HSV-Keeper Heuer Fernandes zu. Dabei zeigte der Portugiese wieder einmal seine Stärke in Eins-gegen-Eins-Duellen und parierte mit einem klasse Fußreflex.
Kittel vergibt die beste Torchance
Der Zweitliga-Aufsteiger wirkte in dieser Phase aggressiver und entschlossener als der Tabellenführer aus der Hansestadt. Vor allem in der Defensive unterliefen dem HSV einige Ballverluste nach Konzentrationsschwächen. Dennoch hätte Kittel für den HSV treffen und den Spielverlauf auf den Kopf stellen können, aber Wehens Verteidiger Dams rettete für seinen geschlagenen Torwart auf der Torlinie (27.).
Mit einem aus HSV-Sicht schmeichelhaften 0:0 ging es in die Pause, in der Trainer Hecking die richtigen Worte gefunden haben muss. Denn im zweiten Durchgang war seine Elf nicht mehr wiederzuerkennen. Die Hamburger kamen selbstbewusst aus der Kabine und strahlten mit der ersten Sekunde nach dem Wiederanpfiff endlich Dominanz aus.
HSV im zweiten Durchgang dominant
Für die Belohnung war dann Kinsombi zuständig. Wiesbadens Torhüter Watkowiak wehrte einen Leibold-Distanzschuss unglücklich nach vorne ab, wo Kinsombi schon lauerte und abstaubte (49.). Während sich Fußball-Profis heutzutage kaum noch über Tore gegen ihren Ex-Club freuen, jubelte der zentrale Mittelfeldspieler ausgelassen. Es wirkte so, als fiel die ganze Last der jüngsten Wochen, in denen er nur wenig Einsatzzeit bekam, von ihm ab.
Kinsombis Befreiungsschlag setzte auch beim HSV neue Kräfte frei. Den einzigen Vorwurf, den sich Hamburger gefallen lassen müssen, ist, dass sie die Partie nicht schon lange vor dem Abpfiff entschieden haben. Zumal Aigner wegen einer vermeintlichen Tätlichkeit und der Überführung durch den Videobeweis die Rote Karte sah (58.). Wiesbadens Offensivmann stieg dem am Boden liegenden Leibold unglücklich auf die Rippen. „Aus meiner Sicht war es keine Absicht, der Schiedsrichter hätte etwas mehr Fingerspitzengefühl zeigen können", sagte ein ehrlicher Leibold.
Fortan spielte der HSV mehr als 30 Minuten in Überzahl. Doch Kittel (52.), Fein (67.), der alleine aufs Tor zulaufende Jatta (70.), Hinterseer (77.) und noch mal Jatta (82.) gingen nahezu fahrlässig mit den sich bietenden Chancen um. „Wir wollten in der zweiten Halbzeit mehr machen. Ich denke, das hat man gesehen", sagte Torschütze Kinsombi. Am Ende ist es sehr ärgerlich, dass wir uns nicht mit dem zweiten Tor belohnen. Da sind wir nicht zwingend genug gewesen.“
Hecking: Ausgleich war verdient
Und so kam es, wie es kommen musste. Wiesbaden, das eigentlich stehend K. o. war, erkämpfte sich eine Ecke, aus dieser der just eingewechselte Knöll nach Durcheinander im Strafraum an den Ball kam und ins Tor traf (91.). „Der Ausgleich war aufgrund der kämpferischen Leistung nicht unverdient", sagte Hecking. „Gerade auch, weil wir den Gegner in unseren Szenen am Leben gelassen haben.“
Der zu diesem Zeitpunkt bereits ausgewechselte Kinsombi verfolgte das Gegentor mit versteinerter Miene von der Bank aus. Über sein Tor an alter Wirkungsstätte kann er sich nun nicht mehr freuen.
Die Statistik:
- Wiesbaden: Watkowiak – Mockenhaupt, Dams, Medic – Kuhn (69. Schwede), Niemeyer – Mrowca (80. Ajani), Lorch – Aigner, Dittgen (87. Knöll) – Schäffler. – Trainer: Rehm
- HSV: Heuer Fernandes – Narey, Gideon Jung, van Drongelen, Leibold – Fein – Dudziak (80. Samperio), Kinsombi (86. Moritz) – Jatta, Hinterseer, Kittel (90. David). – Trainer: Hecking
- Schiedsrichter: Rene Rohde (Rostock)
- Tore: 0:1 Kinsombi (48.), 1:1 Knöll (90.+1)
- Zuschauer: 8200 (ausverkauft)
- Rote Karte: Aigner nach einer Tätlichkeit (57., nach Videobeweis)
- Gelbe Karte: Mrowca (4) –
- Torschüsse: 9:20