Hamburg. HSV-Sportdirektor kritisiert die deutsche Nachwuchsarbeit. Auch in Hamburg steht das Leistungszentrum auf dem Prüfstand.
Montag war Familientag im Hause Michael Mutzel. Der Sportdirektor des HSV nutzte den trainingsfreien Tag für die Suche nach einem Kitaplatz für seinen drei Jahre alten Sohn. Seit einigen Wochen ist Mutzel mit seiner Frau Karolin und den drei Kindern nach Groß Flottbek gezogen.
„Es gibt noch viel zu tun“, sagte der seit Freitag 40 Jahre alte Schwabe, als er zwischendrin die Abendblatt-Redaktion besuchte, um im Podcast „HSV – wir müssen reden“ sein erstes Halbjahr in Hamburg zu analysieren.
Dabei wurde deutlich, dass es vor allem in seinem Job reichlich zu tun gibt. 20 Transfers hat Mutzel seit seinem Amtsantritt im April beim HSV abgewickelt. Den wohl größten Kaderumbruch der Clubgeschichte hat er im Sommer maßgeblich mitverantwortet.
HSV musste um Xavier Amaechi kämpfen
„Wir mussten lange und viel kämpfen, an allen Fronten. Das war extrem viel Arbeit“, sagte Mutzel und meinte damit auch den Transfer des 18 Jahre jungen Xavier Amaechi von Arsenal London, für den der HSV in diesem Sommer 2,5 Millionen Euro bezahlte. Amaechi war nach David Kinsombi (3 Millionen) der teuerste von insgesamt zwölf Neuzugängen, der vor allem auf die Überzeugungsarbeit von Mutzel zurückzuführen ist.
Dabei war zunächst gar nicht sicher, dass der begehrte Flügelstürmer auch im Falle des Nichtaufstiegs zum HSV wechseln würde. Als Mutzel im Volkspark startete, war die Transferplanung noch klar auf die Bundesliga ausgerichtet.
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Amaechi soll dem HSV die Tür in England öffnen
Schließlich konnte der Sportdirektor den U19-Nationalspieler Englands durch viele Gespräche in seinem Umfeld überzeugen. „Dass er auch in der Zweiten Liga gekommen ist, war überraschend“, sagt Mutzel. „Das zeigt aber auch, dass der Junge, sein Elternhaus und auch sein Berater ein bisschen mitdenken. Wenn man als 18-Jähriger in der Bundesliga direkt spielen will, dann muss man schon verdammt gut sein. Das ist natürlich in der Zweiten Liga einfacher.“
Gespielt hat Amaechi in der Zweiten Liga bislang aber kaum. Nach seiner Einwechslung gegen Aue wurde zuletzt deutlich, dass er noch Zeit braucht, um im Herrenfußball anzukommen. „Er hat bei Arsenal nur punktuell bei den Profis trainiert. Da wird er natürlich ein wenig brauchen, bis er bei uns so richtig robust wird“, sagt Mutzel. Obwohl Amaechi künftig auch in der Regionalliga bei der U21 Spielpraxis sammeln soll, sagt der Sportdirektor: „Amaechi kann in England ein Türöffner für den HSV sein.“
Mutzel kritisiert deutsche Talente
Für die Hamburger könnte der englische Markt perspektivisch immer wichtiger werden, denn Mutzel hat Defizite in der Nachwuchsarbeit in Deutschland ausgemacht. „Wir müssen uns mal hinterfragen, warum Kai Havertz, der derzeit einzige Outperformer im Jahrgang ’99 ist. Die Jahrgänge, die danach kommen, die sind einfach nicht mehr so stark. Da haben wir nicht mehr so viele Ausnahmetalente“, sagt Mutzel. In England oder Frankreich sei das anders.
Die Gründe sieht der frühere Nachwuchsleiter von 1899 Hoffenheim vor allem in der fehlenden Eigenständigkeit der Talente. „Die Jungs müssen in den heutigen Internaten einfach gar nichts mehr selbst machen. Vielleicht ist das auch ein Grund dafür, dass Jugendspieler bei uns oft ein bisschen zufrieden sind.“
HSV berät über Ausrichtung des Campus
Das gelte auch für den HSV. Deshalb will Mutzel sich gemeinsam mit Sportvorstand Jonas Boldt verstärkt um das Nachwuchsleistungszentrum beim HSV kümmern. Gerade erst gab es im Campus eine Klausurtagung. Dabei ging es um die künftige Ausrichtung.
Der HSV investiert seit Jahren mehr als sechs Millionen Euro pro Saison in den Nachwuchs und seine Trainer. Die Spielzeit der eigenen Talente bei den Profis stehe damit nicht im Einklang, meint Mutzel. Auch wenn sich mit Josha Vagnoman gerade ein Eigengewächs einen festen Platz bei den Profis erspielt hat.
Mutzel als Manager: "Ich war naiv"
Mutzel will sich in seiner Transferstrategie beim HSV mehr an Hoffenheim oder auch Greuther Fürth orientieren. Für beide Clubs arbeitete er vor seinem Wechsel nach Hamburg. Beide definieren sich als Ausbildungsverein. Während Mutzel in Hoffenheim an der Seite seines früheren Teamkollegen Alexander Rosen viele Talente wie Niklas Süle oder Nadiem Amiri aus dem Nachwuchs zu den Profis begleitete und mit ihnen hohe Transfererlöse erzielte, verlief seine Station in Fürth eher unglücklich.
Von 2014 bis 2015 sammelte er bei den Franken erstmals Erfahrungen als Manager in der ersten Reihe. Doch an der Seite von Präsident Helmut Hack und Direktor Sport Martin Meichelbek konnte sich Mutzel in seiner Rolle nicht entfalten. „Ich habe gemerkt, dass ich schon noch ein Stück weit naiv war“, sagt er heute vor dem Wiedersehen mit Fürth am Sonnabend.
Mutzel ist sich einig mit Boldt und Hecking
Beim HSV soll es besser laufen. Auch wenn sein erstes halbes Jahr komplizierter kaum hätte laufen können. Mit Ralf Becker wurde im Mai der Sportvorstand entlassen, der ihn gerade erst nach Hamburg geholt hatte. Doch auch mit Nachfolger Jonas Boldt und Trainer Dieter Hecking stimmt die Chemie. „Ich habe gemerkt, dass ich direkt mit Jonas und mit Dieter eine Wellenlänge hatte.“
Einig sind sich die drei vor allem in ihrer Meinung über die HSV-Zukunft: Es gibt noch sehr, sehr viel zu tun.