Hamburg. Einer seiner Ex-Trainer traute Hinterseer den Durchbruch im Profigeschäft nicht zu. Wie der Österreicher daraufhin die Flucht ergriff.
Lukas Hinterseer kommt von der „Gartenarbeit“. Der HSV-Stürmer hat gerade seinen Mähroboter erfolgreich installiert. „Läuft“, sagt Hinterseer, als er zum Gespräch mit dem Abendblatt erscheint. Das gilt auch für den 28-Jährigen. Tabellenführer, vier Siege und drei Tore in Folge – und nun auch noch das Comeback in der Nationalmannschaft Österreichs. Entsprechend locker gibt sich der Mittelstürmer drei Tage vor dem Heimspiel gegen Hannover 96 (Sonntag/13.30 Uhr).
Herr Hinterseer, haben Sie schon Ihren Flug nach Salzburg gebucht?
Lukas Hinterseer: Nein, darum kümmert sich das Teammanagement des ÖFB. Ich weiß nur, dass ich am Montag um 12 Uhr in Saalfelden sein muss.
Wie haben Sie denn von Ihrer Nominierung erfahren? Ruft Nationaltrainer Franco Foda persönlich an?
Hinterseer: Mein Vater hat es im Internet gesehen und mir Bescheid gesagt. Ich habe es dann auch in den sozialen Medien gesehen. Am selben Tag kam dann noch die Einberufungsmail vom Verband. Franco Foda habe ich noch nicht kennen gelernt. Das wird dann nächste Woche passieren.
Sie sind der einzige Zweitligaspieler im Aufgebot. Waren Sie überrascht?
Hinterseer: Ehrlich gesagt hatte ich gar nicht genau auf dem Zettel, an welchem Tag das Aufgebot diese Woche bekannt gegeben wird. Gerechnet habe ich nicht damit, obwohl ich die letzten drei Jahre immer mal wieder auf Abruf stand. Es zeigt, dass ich hier auch ein bisschen was richtig gemacht habe in letzter Zeit.
90 Prozent des ÖFB-Kaders spielt in der Bundesliga. Warum sind Österreicher hier so angesagt?
Hinterseer: Gute Frage. Als ich 2013 zum Nationalteam kam, war das noch anders. Irgendwann gab es dann eine Art Hype um Österreicher. Gefühlt gibt es in Deutschland ja keinen Verein mehr, in dem kein Österreicher spielt. Es ist kein Zufall, dass viele Jungs bei großen Vereinen wichtige Rollen einnehmen. Wir scheinen in der Ausbildung einige Sachen gut zu machen, sonst würden die Deutschen uns ja nicht immer holen (lacht).
Was hat sich denn in Österreich verbessert?
Hinterseer: Wenn ich an meine Ausbildung damals denke und diese dann mit den heutigen Bedingungen vergleiche, auch beim HSV, ist das eine andere Welt. Wir haben in der Jugend häufig mit drei Mannschaften auf einem Platz trainiert. Das ist heute unvorstellbar. Da hat sich auch in Österreich einiges entwickelt. Es wird dort einfach gute Arbeit geleistet.
Auch Trainer aus Österreich sind in der Bundesliga mittlerweile gern gesehen. Haben Sie eine Erklärung dafür?
Hinterseer: Ich kann aus meiner Ingolstadt-Zeit nur über Ralph Hasenhüttl sprechen, der jetzt in England arbeitet. Er hat eine klare Spielidee, eine natürliche Autorität und eine angenehme menschliche Seite. Den gleichen Eindruck macht mir Adi Hütter in Frankfurt. Oder auch Oliver Glasner in Wolfsburg.
Welcher Trainer hat Ihnen am meisten geholfen?
Hinterseer: Da will ich keinen nennen. Es gab aber mal einen Trainer, der mir noch während des Spiels gesagt hat, ich werde nie ein richtiger Erstligaspieler. Walter Kogler bei Wacker Innsbruck. Ich war 17, wurde eingewechselt und habe einen Ball falsch abprallen lassen. Dann hat er mich mitten auf dem Platz zur Sau gemacht. Über die Art war ich schon schockiert.
Die Szene scheint Sie noch heute zu beschäftigen.
Hinterseer: Für mich war das ein prägender Moment. Ich hatte dann wenig Spielzeit und habe mich zweimal verleihen lassen. Er hat sich später nie wieder gemeldet und eine Begegnung vermieden. Ich bin trotzdem meinen Weg gegangen.
Erst mit 23 sind Sie nach Deutschland in die 2. Bundesliga gewechselt. Sind Sie ein Spätstarter?
Hinterseer: Das kann man so oder so sehen. Ich habe mit 21 in Innsbruck schon erste Liga gespielt. Es kann ja nicht jeder mit 17 schon ein Wundertalent sein. Ich musste mich durchkämpfen und bin froh, wie meine Karriere verlaufen ist. Wer weiß, vielleicht hat mir das sogar ganz gut getan. Ich war nie das große Toptalent. Es hat oft geheißen, ich sei ein Durchschnittskicker. Ich habe weiter hart gearbeitet und trotzdem einfach mein Ding durchgezogen.
Täuscht der Eindruck, oder sind die Österreicher etwas lockerer als die Deutschen?
Hinterseer: Wir sind angeblich ein entspanntes Volk. Woran das liegt, kann ich gar nicht sagen. Das kann man auch nicht wirklich verallgemeinern. Woran das liegt, kann ich gar nicht sagen. Ich kann nur über mich sprechen. Ich bin ein lockerer Typ, der sich keinen großen Druck macht. Warum auch?
Viele Spieler sprechen von einem größeren Druck beim HSV. Wie empfinden Sie das nach ihren ersten Wochen?
Hinterseer: Ich kann mir vorstellen, dass es für junge Spieler nicht immer einfach ist, weil du schnell gefeiert wirst, sich die Richtung aber schnell wieder drehen kann. Der Druck von außen berührt mich aber nicht. Mich interessiert es auch nicht, ob ich im Kicker eine 2,5 oder eine 4,5 bekomme. Bei solchen Noten komme ich eh immer schlecht weg (lacht).
Lesen Sie Ihr eigenen Spielbewertungen?
Hinterseer: Nein, nicht mehr. Aber meine Großeltern schicken mir das hin und wieder und beschweren sich, wenn ich trotz drei Torbeteiligungen nur eine 2,5 bekomme. Mir ist das egal. Für mich zählt nur die Meinung der Trainer. Ich bin schon zehn Jahre dabei und lasse mich von öffentlichen Bewertungen nicht beeinflussen.
Können Sie sich eigentlich noch an Ihr erstes Länderspiel erinnern?
Hinterseer: Natürlich. Das erste Länderspiel vergisst man nicht. Das war 2013 gegen die USA mit Jürgen Klinsmann. Ein 1:0-Sieg. Ich habe als Zehner gespielt. Marcel Koller hat 4-2-3-1 spielen lassen und vorne durften meistens andere ran. Ich habe im Nationalteam fast alles gespielt, aber selten als Mittelstürmer. In der Offensive war ohnehin große Konkurrenz zum Beispiel durch Marko Arnautovic oder Martin Harnik.
Apropos Harnik: Hätten Sie Lust, noch einmal mit ihm in Hamburg zusammenzuspielen?
Hinterseer: Er war ja hier schon oft im Gespräch. Martin ist ein guter Kicker. Er war auch immer gut für die Stimmung in der Kabine. Ein guter Kerl. Mal gucken was auf dem Transfermarkt noch passiert. Ich wünsche ihm nur das Beste.
2016 haben Sie bei der EM mit ihm zusammen gegen den späteren Europameister Portugal einen Punkt geholt. War das ihr Spiel des Lebens?
Hinterseer: Ich habe ja nur fünf Minuten gespielt. Trotzdem war es ein Highlight. So viele Punkte hat Österreich bei einer EM ja leider nicht geholt.
Waren sie in der Schule eigentlich gut in Geschichte?
Hinterseer: In Geschichte war ich tatsächlich eher Durchschnitt. Aber für das Abitur hat es gereicht (lacht).
Gut, dann hier eine kleine Geschichtsprüfung: Sagt Ihnen die Schande von Gijon noch etwas?
Hinterseer: Das war der Nichtangriffspakt zwischen Deutschland und Österreich. 0:0 oder?
Nichtangriffspakt ist korrekt. Aber es war ein 1:0-Sieg für Deutschland. WM 1982.
Hinterseer: Diese Geschichten hört man natürlich immer wieder, wenn Deutschland gegen Österreich spielt. So wie letztes Jahr, als wir 2:1 gewonnen haben. Die Schmach von Cordoba kenne ich auch noch. 1978. Wir haben 3:2 gegen den amtierenden Weltmeister Deutschland gewonnen.
Ausgeschieden sind trotzdem beide. Lassen Sie uns lieber über die EM 2008 reden. Erinnern Sie sich noch an das Spiel gegen Deutschland?
Hinterseer: Leider erinnere ich mich noch gut daran. Ein Freistoß von Michael Ballack hat uns den Gnadenstoß versetzt. Ich habe das Spiel beim Public Viewing in Innsbruck geguckt.
Und am Ende gab es ein Frustbier?
Hinterseer: Wir hatten an dem Tag selbst Training, daher gab es wahrscheinlich nur ein Almdudler (lacht).
Was war denn nun Ihr Spiel des Lebens?
Hinterseer: Die EM war sicher ein großer Moment. Aber da fallen mir noch andere Spiele ein. Der Aufstieg mit Ingolstadt gegen Leipzig oder mein erstes Bundesligaspiel. Ein 1:0-Sieg in Mainz. Ich habe das entscheidende Tor gemacht. Das waren die größten Highlights.
Im Sommer könnten zwei Highlights folgen. Der Aufstieg mit dem HSV und dann ihre zweite EM-Teilnahme...
Hinterseer: Das mag Sie enttäuschen, aber im Moment liegt mein Fokus nur auf dem Spiel gegen Hannover 96. Die EM ist noch so weit weg und die Saison mit dem HSV noch sehr lang. Das Spiel gegen Hannover wird schon schwer genug.