Hamburg. Der HSV will gegen Bochum mit neuer Kreativität an die Tabellenspitze stürmen. Doch an eine normale Vorbereitung war nicht zu denken.
Es war kurz vor 12 Uhr, als am Donnerstag ein TV-Team des ZDF vor der Zentrale des Deutschen Fußball-Bundes in Frankfurt auf Fritz Keller wartete. Doch statt des neuen DFB-Präsidenten kam plötzlich Bakery Jatta auf die Reporter zu. Begleitet von den HSV-Vorständen Bernd Hoffmann und Jonas Boldt, Berater Efe Aktas, Anwalt Thomas Bliwier und dem neuen HSV-Justiziar Philipp Winter war Jatta auf dem Weg zur Anhörung durch den DFB-Kontrollausschuss.
Dort musste der HSV-Stürmer Fragen zu seiner Identität beantworten. Die „Sport-Bild“ hatte in der vergangenen Woche darüber berichtet, dass Jatta möglicherweise Bakary Daffeh heiße und nicht 21, sondern 23 Jahre alt sei. Ein auf Indizien basierter Bericht, der ein internationales Echo und eine tagelange politische Debatte ausgelöst hatte.
Während Jatta also beim DFB von Hans E. Lorenz (Sportgericht), Anton Nachreiner (Kontrollausschuss), Andreas Nagel (Direktor Sport & Nachwuchs bei der Deutschen Fußball Liga) und Jürgen Paepke (Direktor Recht bei der DFL) Fragen gestellt bekam, stand gleichzeitig HSV-Trainer Dieter Hecking im Hamburger Volksparkstadion den Medienvertretern Rede und Antwort. Kurz zuvor hatte sich seine Mannschaft unter Ausschluss der Öffentlichkeit in der Arena auf das heutige Heimspiel gegen den VfL Bochum (18.30 Uhr/Sky und Abendblatt-Liveticker) vorbereitet – ohne Jatta. „Unglücklich“ nannte Hecking daher die DFB-Terminierung der ersten Anhörung des Gambiers.
Erste Jatta-Anhörung dauert 90 Minuten
Sportvorstand Boldt machte nach der rund 90-minütigen Sitzung aber gleich deutlich, dass sich der HSV durch die neueste Entwicklung weiterhin nicht davon abhalten lässt, Jatta einzusetzen. „Er hat einen gültigen Pass und eine Spielgenehmigung und ist damit spielberechtigt“, sagte Boldt nach der Anhörung dem Abendblatt. Der 37-Jährige hatte sich bereits in den vergangenen Tagen für Jatta extrem stark gemacht und eine klare Positionierung vom DFB und der DFL gefordert, um Klarheit zu schaffen. „Wir sind ganz froh, dass es zu dieser Anhörung kam. Vielleicht geraten die Dinge jetzt endlich in ruhigere Fahrwasser. Der Rest liegt beim Sportgericht“, sagte Boldt nach der Rückkehr in Hamburg.
Auch Trainer Hecking konnte dem Termin letztlich etwas Gutes abgewinnen. „Ich bin froh, dass es heute ist. Dann hört ihr endlich mal auf, über dieses Thema zu berichten“, sagte der 54-Jährige spürbar genervt von der Jatta-Thematik. Doch so leicht wie von Hecking erhofft, wird der Fall Jatta noch nicht abgeschlossen sein. Auch das für Jatta zuständige Bezirksamt Hamburg-Mitte prüft den Fall „intensiv“ und hat mittlerweile ein Anhörungsverfahren eingeleitet. Der Profi hat noch bis Ende kommender Woche Zeit, einen Fragebogen schriftlich zu beantworten. Dann erwartet der HSV auch den nächsten Schritt des Sportgerichts.
Laut DFB habe es sich am Donnerstag um eine „interne Anhörung innerhalb der Voruntersuchung“ gehandelt. Möglich, dass es im Kontrollausschuss zu einer weiteren Anhörung kommt. Möglich aber auch, dass der Fall in zwei Wochen abgeschlossen ist, weil schlicht und einfach die Beweise fehlen. Das hofft zumindest der HSV.
DFL gewährt Nürnberg Fristverlängerung
Für Ärger sorgte bei den Hamburgern dagegen erneut das Vorgehen des 1. FC Nürnberg. Der Club hatte nach dem 0:4 gegen den HSV vor elf Tagen Einspruch gegen die Spielwertung eingelegt. Diesen hätte er bis heute begründen müssen. Da es aber nach wie vor keine Beweise für eine falsche Identität Jattas gibt, beantragte Nürnbergs Sportvorstand Robert Palikuca eine Fristverlängerung – und bekam sie von der DFL zugesprochen. Die Hamburger Verantwortlichen zeigten sich von diesem Vorgang irritiert und verwundert.
Die beste Nachricht für den HSV: An diesem Freitag wird wieder Fußball gespielt. Mit einem Sieg gegen Bochum wäre Hamburg sogar Tabellenführer – zumindest für eine Nacht. „Natürlich wäre es schön, auf Platz eins zu stehen“, sagte Hecking. Vielmehr aber gehe es darum, das Gesamtgebilde zu stabilisieren.“ Vor drei Wochen hatte der HSV beim Auftakt gegen Darmstadt einen Fehlstart in letzter Sekunde abgewendet. Es folgten das starke 4:0 in Nürnberg und das glückliche, aber verdiente Weiterkommen im Pokal in Chemnitz. Noch ein Sieg gegen Bochum, und der Topstart wäre perfekt.
Dass der VfL dem HSV liegen könnte, liegt vor allem daran, dass Bochum sich in der Regel nicht nur auf das Verteidigen konzentriert. „Bochum ist eine sehr interessante Mannschaft mit guten Spielertypen“, sagt Hecking. „Robin Dutt wählt einen spielerischen Ansatz, mit einem umtriebigen Mittelfeld mit vielen Positionswechseln. Man sieht, dass sie Fußball spielen wollen.“
Hecking warnt vor "blauem Wunder"
Das will auch der HSV. Und hat dafür offenbar die richtigen Spieler gefunden. Insbesondere Adrian Fein, Sonny Kittel und Jeremy Dudziak sprühten zuletzt in Nürnberg und phasenweise auch in Chemnitz vor Spielfreude. Kreativität, die dem HSV in der vergangenen Saison in den Heimspielen so häufig gefehlt hat. „Wir haben jetzt ein paar Spieler, die wissen, wie Fußballspielen geht“, sagt Hecking, um aber gleich einzuschränken: „Das alleine wird nicht reichen. Wenn wir nur über den fußballerischen Ansatz kommen, dann werden wir unser blaues Wunder erleben. Wir brauchen auch körperliche Präsenz und Zweikämpfe.“
Bislang wirkt die Warnung vor dem blauen Wunder. Nach den ersten zwei Spieltagen ist der HSV tatsächlich die zweikampfstärkste Mannschaft der Liga. Bleibt sie das auch gegen Bochum, dürfte die Tabellenspitze die logische Folge sein.
HSV: Heuer Fernandes – Gyamerah, Jung, van Drongelen, Leibold – Fein – Jatta, Dudziak, Kinsombi, Kittel – Hinterseer.
Bochum: Riemann – Kotchap, Lorenz, Decarli, Danilo – Losilla, Janelt – Weilandt, Maier, Lee – Ganvoula.
Schiedsrichter: Dingert (Gries).