Hamburg/Bochum. ... und das, obwohl er älter ist. Weggefährten beschreiben den HSV-Zugang als gefährlichen Torjäger – ganz ohne Allüren.
Kurz bevor die Frage-und-Antwort-Runde am Mittwoch in den Katakomben des Volksparkstadions beginnt, hat Lukas Hinterseer selbst noch eine Frage. Ob das in Ordnung wäre, wenn er seine Wasserflasche auf das Podest mit den ganzen Mikrofonen stellen würde, fragt der frühere Bochumer, der am Freitag (18.30 Uhr/Sky) erstmals mit dem HSV wieder auf den VfL trifft, in die Runde der Kameramänner. Ungläubiges Schweigen, dann erklärt der Neuzugang höflich, dass er schließlich nicht ihr Bild ruinieren wolle.
Hinterseer, Lukas. 28 Jahre alt, Österreicher, geboren in Kitzbühel. Professioneller Fußballer, passionierter Skifahrer. Hundebesitzer von Lila und Louie. So weit die Fakten, so weit das Bekannte. Doch wer steckt eigentlich hinter diesem ansteckenden Lächeln, das auch am Mittwochmittag wieder lang, breit, höflich und nett Auskunft gibt? „Der Lukas ist ein Fußballer ganz ohne Allüren. Bescheiden, bodenständig, vernünftig. Für die Medien ist er eher langweilig“, sagt einer, der Hinterseer bestens kennt. Und der selbst in den Medien tätig ist.
„Ein Mittelstürmer der alten Schule“
Günther Pohl, in Bochum nur als der „ewige Günther“ bekannt, denkt lange über die Frage nach, ob ihm eine besondere Geschichte zum früheren VfL-Stürmer einfallen würde. „Der Lukas ist nie durch irgendwelche besonderen Geschichten aufgefallen“, sagt der Radioreporter. „Er fährt keine protzigen Autos, hat keine ausgefallenen Klamotten. Schlagzeilen hat er außerhalb des Spielfeldes eigentlich noch nie produziert.“
Auf dem Spielfeld dafür umso mehr. Plötzlich gerät Pohl ins Schwärmen: „Der Lukas macht immer seine Tore. Er ist ein Mittelstürmer der alten Schule – die sterben ja sonst alle aus.“ Der Kommentator von Radio Bochum weiß, wovon er spricht. 50 seiner 65 Jahre hat er dem VfL Bochum gewidmet. Seit dem 28. April 1990 hat er kein Bochumer Pflichtspiel mehr verpasst – und natürlich wird er auch am Freitagabend im Volkspark dabei sein. „Lukas’ Name wird in Bochum auch in zehn Jahren noch einen guten Klang haben“, sagt Pohl, der auch nach Hinterseers Wechsel vom VfL nach Hamburg noch immer regen WhatsApp-Kontakt mit dem Stürmer pflegt.
35 Tore in 65 Pflichtspielen
„Lukas spielt wie ein jüngerer und beweglicherer Lasogga – obwohl er älter ist“, sagt Pohl. Vor allem würde er aber auf all die Extravaganzen seines Vorgängers verzichten. Keine Doku-Soap, keine Ferrari-fahrende Mama, kein Millionenwechsel in die Wüste. „Der Lukas lässt nicht den Star raushängen“, sagt Pohl. „Man hat ja gesehen, wo der HSV mit all den vermeintlichen Stars gelandet ist. Lukas Hinterseer wird dem HSV guttun. Er ist ein Fußballer zum Anfassen.“
So wie am Mittwoch, als er nach dem Training auf dem Rückweg in die Kabine einen Umweg in Kauf nimmt, um mit einer HSV-Anhängerin und dem Hund Bruno noch ein Foto zu machen.
Doch irgendwelche Anekdoten muss es doch auch über diesen Fußballer zum Anfassen geben. „Statt Anekdoten gibt es eher Fakten“, sagt Bochums Sportchef Sebastian Schindzielorz. „Lukas hatte in Bochum seine bislang erfolgreichste Phase im Profifußball, hat in 65 Pflichtspielen 35 Tore gemacht und zwölf Vorlagen geliefert. So eine Quote findet man im deutschen Fußball nicht oft.“
Seitfallzieher, Aufsetzer, Tor
Nicht oft? Fast nie! Mit einer Torquote von 0,54 Treffern pro Pflichtspiel würde es Hinterseer in die Top Fünf der Clubgeschichte schaffen. Der letzte HSV-Stürmer, der eine vergleichbare Quote hatte, war Bernardo Romeo. Zwischen 2002 und 2005 schoss der kleine Argentinier in 77 Spielen 35 Tore. Und Lasogga? Der hatte eine Torquote von 0,36. Immerhin. 49 Tore in 138 Spielen.
„Lasogga?“, fragt Pohl ungläubig am Telefon. „Terodde!“ Hinterseer sei genauso ein Vollblutstürmer wie der Ex-Bochumer. „Hinterseer ist ein ähnlich guter Torjäger wie Simon Terodde für die Zweite Bundesliga. In der Ersten Liga weiß ich nicht, ob das genauso gut funktionieren würde. Aber noch ist der HSV ja auch nicht in der Ersten Liga.“
Doch genau dorthin will Hinterseer mit dem HSV natürlich früher oder später. Am liebsten mit ähnlichen Toren wie am Montag im Pokal in Chemnitz. Kurze Annahme mit der Brust, Seitfallzieher, Aufsetzer, Tor. „Das Tor war spektakulär“, sagt Ex- und Neu-Kollege Jan Gyamerah. „Solche Tore hat Lukas in Bochum am Fließband geschossen.“
Nur Punkte zählen
Ja, sagt Hinterseer leise, schön sei das Tor schon gewesen. Sein Berater habe ihm den Treffer noch einmal als WhatsApp-Video geschickt. Doch natürlich sei die Mannschaft wichtiger als seine Tore, gibt er brav zu Protokoll: „Tore sind immer schön. Aber es zählen doch nur die drei Punkte.“ Der langweilige Lukas? Schindzielorz formuliert es anders: „Lukas ist ein absoluter Vollprofi, der sich in jeder Situation zurechtfindet.“ Im Strafraum, aber auch vor den Kameras.
Dort muss Hinterseer am Mittwoch noch einmal erklären, ob er wirklich so nett, sympathisch und vernünftig ist, wie er immer tut. Hinterseer lacht. „Eigentlich bin ich immer gut gelaunt“, sagt der Wahlhamburger, der gerade erst mit seiner Familie in seine neue Wohnung nach Rissen gezogen ist. „Ich habe einen Superjob, kann jeden Tag an der frischen Luft sein, verdiene gutes Geld. Warum sollte ich da schlecht gelaunt sein?“
Hinterseer darf sich auf Klassentreffen freuen
Da muss auch Günther Pohl lachen. „Mit Lukas kann man als Club gar nichts falsch machen“, sagt er. Knapp 1100 Bochum-Spiele hat Pohl kommentiert. Und natürlich freut er sich auch auf die Partie am Freitag mit all den Ex-Bochumern beim HSV und all den Ex-Hamburgern in Bochum. „Hinterseer, Gyamerah, Heuer Fernandes beim HSV und Tesche und Janelt beim VfL – das ist ja wie ein Klassentreffen“, sagt der „ewige Günther“. „Der Lukas hat seine Chance beim VfL genutzt. Und nun ist er eben beim HSV.“
Dort muss Hinterseer am Mittwoch alles über seinen Ex-Club berichten. Erst die wichtigen Informationen den Analysten. Und die unterhaltsamen Informationen den Journalisten. „Unsere Bochumer Pokerrunde ist noch immer bei WhatsApp aktiv“, sagt der Fußballer. Über das Spiel am Freitag hätten sie sich aber nicht ausgetauscht. Noch nicht.
Nach einer guten Viertelstunde hat Hinterseer genug gesagt. Er nimmt seine Wasserflasche und verabschiedet sich höflich. Eine letzte Frage hat dann aber doch noch ein Reporter. Eine hypothetische. Wenn er und der seit Tagen in den Medien stehende Bakery Jatta alleine auf das Tor zulaufen, würde er zum frei stehenden Kollegen rüberpassen oder das Tor selber machen? Der Torjäger zögert kurz. „Selber machen“, sagt er schließlich. Na bitte! Ertappt! Gelächter. Doch dann überlegt Hinterseer weiter. „Wenn Baka aber wirklich völlig frei steht“, sagt der nette Herr Hinterseer, „dann muss ich ja vielleicht doch passen.“