Hamburg/Chemnitz. Nach dem Sieg im Pokal und dem Wirbel um Jatta will der Trainer wieder Aufbruchstimmung erzeugen. Sakai vor Wechsel nach Japan.
Es war keine ganz normale Reise für den HSV. Erst um 4.45 Uhr traf der Mannschaftsbus am frühen Montagmorgen wieder in Hamburg ein. Fast sechs Stunden hatte der Tross um Trainer Dieter Hecking gebraucht, um vom Stadion an der Gellertstraße in Chemnitz zurück zum Volksparkstadion in Hamburg zu fahren. Viel Zeit für den HSV-Coach also, im Bus schon einmal die ersten Online-Schlagzeilen zu lesen, die nach dem knappen 8:7-Sieg nach Elfmeterschießen beim Drittligisten aus Sachsen im Netz zu finden waren. Als Hecking dann am Montagmittag nach dem Auslaufen seiner Mannschaft schon wieder am Trainingsplatz vor den Medien stand, war er noch immer leicht verstimmt angesichts seiner nächtlichen Überschriftenlektüre.
„Wenn der 1. FC Köln in Wiesbaden im Elfmeterschießen gewinnt, heißt es: Köln feiert Timo Horn. Wenn wir in Chemnitz im Elfmeterschießen gewinnen, heißt es: HSV duselt sich weiter. Wo war Dusel? Wir haben Chemnitz 120 Minuten bespielt. Es war ein verdienter Sieg. Wenn ich so etwas lesen muss, ärgert mich das“, sagte der verstimmte Hecking und ergänzte: „Aber das ist hier in Hamburg eben normal.“ Eine negative Normalität, die der 54-Jährige nun schon mehrfach angemahnt hat und die er nicht akzeptieren will. „Wir wollen wieder eine Aufbruchstimmung herbeiführen. Wir sind auf einem Weg. Die ersten zwei Kilometer sind gegangen. Aber darauf können wir uns nicht ausruhen.“
Hecking zog erstes Zwischenfazit
Elf Wochen nach seinem Start beim HSV zog Hecking am Montag bereits das erste kleine Zwischenfazit seiner bisherigen Arbeit. Zehn Partien leitete der Trainer bislang inklusive der Vorbereitungsspiele, nur eines (im Trainingslager gegen Huddersfield) ging verloren. Der bislang wichtigste Erfolg aber war für ihn das Weiterkommen in Chemnitz. „Der Sieg kann für uns eine Signalwirkung haben“, sagte Hecking. „Die Mannschaft hat gezeigt, dass sie mit Widerständen und Rückschlägen umgehen kann.“
Und damit meinte der Trainer nicht nur die zweimaligen Rückstände in Chemnitz und das kurzzeitige Hintertreffen im Elfmeterschießen, sondern vor allem den Widerstand durch den Fall Bakery Jatta in den Tagen vor dem Spiel. Der HSV hatte es sich vor der Saison zum großen Ziel gemacht, ausschließlich über Fußball sprechen zu wollen. Doch schon nach zwei Ligaspielen ging es fünf Tage lang einzig um die Identität Jattas, einen gambischen Reisepass und die Vorverurteilung eines Geflüchteten. Das große Ziel von Clubchef Bernd Hoffmann, endlich wieder ein normaler Fußballverein werden zu wollen, war auf einen Schlag wieder nur ein nahezu aussichtsloser Wunsch.
„Spieler ist in erster Linie auch ein Mensch“
Obwohl im Fall Jatta nun auch der DFB-Kontrollausschuss ermittelt und Jatta um eine Stellungnahme gebeten hat, kehrte in dieser Sache am Montag zumindest ein bisschen Ruhe ein. „Wir wollen Klarheit und beteiligen uns natürlich an der Aufarbeitung. Für uns besteht Klarheit. Wir sind nicht in der Bringschuld. Selbst wenn sich herausstellt, dass er etwas Unrechtes getan hat – was wir nicht glauben –, würden wir voll und ganz hinter unserem Spieler stehen“, sagte Hecking zur Causa Jatta.
Noch deutlicher wurde Sportvorstand Jonas Boldt, der sich vom Deutschen Fußball-Bund und der Deutschen Fußball Liga ein klares Bekenntnis erhofft. „Der DFB und die DFL haben sich immer sehr stark gegen Rassismus engagiert. Ich würde mir da mal wünschen, dass ein Statement kommt, dass wir uns als HSV positioniert haben. Wir werden aktuell so ein bisschen im Regen stehen gelassen“, sagte Boldt bei Sky. „Der Spieler ist in erster Linie auch ein Mensch. Wenn wir als Land offen sein wollen für Menschen, die es nicht so einfach gehabt haben wie wir, dann wäre es einfach mal ein gutes Beispiel, wenn ein klares Bekenntnis von allen Seiten folgen würde.“
Die Bilder vom HSV-Sieg in Chemnitz:
HSV: Elfmeter-Drama in Chemnitz
Dass Jatta ein fester Bestandteil des Teams bleibt, bis die Behörden ihre Ermittlungen abgeschlossen haben, wurde bereits in Chemnitz deutlich. Zudem wurde deutlich, dass sich die Mannschaft immer mehr zusammenfindet. Auch wenn es noch Zeit braucht, ehe vor allem in der Offensive die Abläufe gegen defensiv eingestellte Gegner noch besser ineinandergreifen. „Die Mannschaft ist nach den vielen Veränderungen noch immer auf der Suche nach einer Struktur, auch in der Kabine“, sagte Hecking.
- HSV-Podcast: Besters persönliche Eindrücke im Fall Jatta
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Dort wird künftig ein Spieler fehlen, der seit 2015 einen festen Platz hatte: Gotoku Sakai. Der Japaner reiste am Montag in sein Heimatland, um den Wechsel zu Vissel Kobe zu finalisieren. Der von Ex-HSV-Coach Thorsten Fink trainierte Erstligist um Lukas Podolski und Andres Iniesta ist seit Wochen am Rechtsverteidiger dran. Sakai (Vertrag bis 2020) soll nun in Kobe unterschreiben, der HSV eine sechsstellige Ablöse erzielen. Schon im Mai nach dem letzten Spieltag, an dem Sakai böse ausgepfiffen wurde, hatte ihm der Vorstand mitgeteilt, dass der HSV ohne ihn plane.
„Ich finde es unheimlich schade“, sagte Hecking am Montag. „Go hat mir frühzeitig signalisiert, dass es für ihn hier nicht weitergeht. Von der Trainingsleistung her hätte er es verdient gehabt, im Kader zu stehen. Ich glaube, dass wir ihn wieder hinbekommen hätten. Aber ich kann verstehen, dass er einen Neuanfang starten will.“ Für Sakai liegt dieser nun in Japan. Den Neustart des HSV wird Hecking in Hamburg weiter vorantreiben.