Hamburg. Sportchef Becker berichtet über den Krisengipfel. Welche Rolle haben die Spieler am katastrophalen Auftritt gegen Ingolstadt?

Mit einem kräftigen "Moin zusammen" begrüßte HSV-Trainer Hannes Wolf am Sonntag die anwesenden Fans und Medienvertreter, als er pünktlich um 11 Uhr den Trainingsplatz im Volkspark betrat. Am Tag nach dem 0:3-Heimdebakel gegen Ingolstadt fiel es ihm sichtlich schwer, den Leuten dabei in die Augen zu gucken. Die jüngste Entwicklung mit nur drei Punkten aus sieben sieglosen Spielen ist auch an dem 38 Jahre alten Fußballlehrer nicht spurlos vorbei gegangen.

Vor allem die teilweise heftige Kritik der stets treuen Anhänger scheint Wolf aufs Gemüt zu schlagen. Gegen die abstiegsgefährdeten Bayern wurde die eigene Mannschaft verhöhnt – die Höchststrafe für die Spieler. „Ich kann den Unmut verstehen", sagte der HSV-Coach, der seine Profis überreden musste, nach dem Abpfiff zur Nordtribüne zu gehen. "Es ist natürlich richtig bitter, wenn die Aktionen des Gegners bejubelt werden. Aber es war wichtig, dass wir uns dem gestellt haben und noch in die Kurve gegangen sind.“

Becker: "Wir sind total überzeugt von Wolf"

Viele Fans glauben nicht mehr an die Wende unter dem gebürtigen Bochumer. Nach dem spielerischen Offenbarungseid gegen Ingolstadt und dem verpassten Sprung auf Platz zwei reiften zunächst auch im Vorstand die Zweifel an einer Bundesligarückkehr. Rund drei Stunden zogen sich Sportchef Ralf Becker, Clubboss Bernd Hoffmann und Sportdirektor Michael Mutzel zurück, um alle möglichen Szenarien zu besprechen. Für 30 Minuten wurde auch Wolf dazu gebeten, der seine volle Überzeugung äußerte, den Aufstieg noch zu schaffen.

„Dieser sogenannte Krisengipfel war ein ganz normales Gespräch", sagte Becker am Sonntag. Er räumte ein, dass die Situation mit Platz 16 in der Rückrundentabelle "total unbefriedigend" sei, bekräftigte aber auch: "Wir sehen es differenziert, warum wir in den vergangenen sieben Spielen keine Ergebnisse erzielt haben, und sind grundsätzlich total überzeugt von unserem Trainer.“

Wie lange hält der HSV an Wolf fest?

Bei dem am Sonnabend vom Abendblatt betitelten Krisengipfel wurde auch über einen Trainerwechsel diskutiert, auch wenn Becker das öffentlich bestreitet. „Es gab keine Trainerdiskussion.“ Zu einer Abstimmung sei es ebenfalls nicht gekommen. "Wir waren von vornherein einer Meinung", sagte Becker, dessen Worte bei Wolf für Erleichterung sorgten. „Wir haben ein sehr vertrauensvolles, gutes Verhältnis. Die Unterstützung ist die ganze Zeit top – eine fantastische Zusammenarbeit", lobte der Coach.

Am Sonnabend war Becker erstmals öffentlich von seinem Treuebekenntnis zu Wolf abgerückt. „Wir müssen uns jetzt in Ruhe zusammensetzen und die Situation besprechen. Am Ende geht es immer um das Beste für den Verein", sagte der Sportvorstand, der wenige Stunden später eine "klare Entscheidung" pro Wolf gefällt haben will.

Am Ende trafen die Verantwortlichen eine HSV-untypische Entscheidung, in einer der größten Krisen der Vereinsgeschichte am Trainer festzuhalten. „Wir waren uns relativ schnell einig", sagte Becker, der kein Freund von Aktionismus ist. Wolf darf bleiben, obwohl die Mannschaft unter seiner Leitung den Aufstieg zu verspielen droht.

In Fankreisen wird diese Entscheidung kritisch beurteilt. Viele Anhänger fordern eine Beurlaubung von Wolf, doch dieser Ansicht setzt sich Becker zur Wehr. "Die vergangenen zehn Jahre war es hier immer so, dass der Trainer gehen musste, wenn etwas schief lief. Das Ergebnis ist negativ: Mittlerweile sind wir ein Zweitligaverein und haben kein tolles Konto. Deshalb muss man auch so eine Situation mal gemeinsam aushalten. Wir stellen uns der Kritik, sind aber überzeugt, die richtige Entscheidung getroffen zu haben. Wir brauchen Kontinuität. Wenn wir immer direkt unruhig werden, stürzt man irgendwann ins Vollchaos", sagte der Manager.

Becker glaubt an HSV-Sieg in Paderborn

Letztlich fehlte dem Vorstand vor allem die Überzeugung, für die letzten zwei Saisonspiele einen neuen Coach zu installieren. Ein Teil der Wahrheit sei aber auch der Teufelskreislauf der jüngeren Clubgeschichte. "Keiner hat hier richtig Bock hat, dass alle sechs Monate ein neuer Trainer kommt", sagte Wolf. "Das wäre ja eine Never-ending-Story."

Sollte das Saisonziel Bundesligarückkehr jedoch verfehlt werden, ist es fraglich, ob Wolf auch über den Sommer hinaus eine Zukunft in der Hansestadt hat. „Gestern ging es darum, was das Beste für den Verein in der jetzigen Situation ist", äußerte sich Becker vielsagend auf eine entsprechende Frage.

Schon eine Niederlage in Paderborn könnte die Verantwortlichen zum Umdenken zwingen. Doch noch demonstriert die Führungsetage Geschlossenheit. Zumal durch die 1:2-Niederlage von Konkurrent Union Berlin in Darmstadt sogar der direkte Aufstieg noch möglich ist.

Der HSV schöpft seine Hoffnung aus dem 2:0-Sieg im Pokalviertelfinale vor einem Monat beim kommenden Gegner. „Unser letzter Sieg war gegen Paderborn. Wir sind überzeugt davon, dass wir in dieser Konstellation die Kurve kriegen und eine sehr große Chance haben, auch jetzt in Paderborn zu gewinnen", sagte Becker. "Es ist für uns ein Endspiel, aber wir haben ein sehr, sehr gutes Gefühl – auch wenn es aktuell schwerfällt.“

Warum sind die Spieler so verunsichert?

Schwer fällt es momentan vor allem den Profis, ihre Verunsicherung abzulegen. Wolf muss es nun im Endspurt gelingen, seiner Mannschaft mehr Sicherheit zu vermitteln. Weniger Formationswechsel und ein konstantes Einspielen der Startelf im Training könnte dabei schon helfen. „Die Angst der Spieler hat natürlich Gründe, aber darüber will ich nicht öffentlich sprechen", sagte der Übungsleiter, der interne Strukturprobleme sowie viele Negativerlebnisse in der Vergangenheit nicht dementieren wollte.

Schon unmittelbar nach der Pleite gegen Ingolstadt hatte Becker eingeräumt, dass das junge Team „mit dieser entstandenen Drucksituation gerade nicht umgehen" könne. Oder gehen die Spieler nicht an ihre Leistungsgrenze, weil sie ihre Zukunft längst nicht mehr in Hamburg sehen? „Mir ist wichtig, dass keiner ein Alibi hat, das habe ich auch den Spielern gesagt. Aber natürlich müssen wir uns diese Frage stellen", sagte der Sportchef.

Bis zur Saisonanalyse, die zu einem Kaderumbruch führen wird, wolle man die sportlichen Ziele gemeinsam schaffen. Doch was passiert, wenn der HSV auch in Paderborn nicht gewinnt und den Aufstieg verpassen sollte? „Egal, wie es hier am Ende ausgeht, die nächsten Jahr werden für uns eine große Herausforderung. Wir haben einen sehr steinigen Weg vor uns, müssen junge Spieler entwickeln und sie irgendwann verkaufen, weil wir Transfererlöse generieren müssen", sagte Becker. "Das müssen wir uns hart erarbeiten. Dieser Weg ist alternativlos und den müssen wir konsequent gehen.“

Auch Becker und Hoffmann geraten unter Druck

Wegen ihrer konsequenten Haltung, an Trainer Wolf festzuhalten, wächst nun auch der Druck auf die Club-Verantwortlichen. Ein nicht unwesentlicher Anteil der Fans fordert bereits den Rücktritt von Becker und Hoffmann. Eine solche Maßnahme würde den HSV wohl endgültig ins von Becker angesprochene "Vollchaos" stürzen.